Christen syrischer Tradition in Sorge über Brände im Tur Abdin und türkische Truppenkonzentrationen an der Grenze

Das Herzland syrisch-christlicher Tradition wird von zwei aktuellen Entwicklungen bedroht – Einmarsch in der Djazira würde die Nachfahren der „Sayfo“-Flüchtlinge besonders betreffen

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Foto: © (Quelle: Wikimedia; Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic)

Ankara, 04.08.19 (poi) In den Diaspora-Gemeinschaften der Christen syrischer Tradition herrscht große Besorgnis im Hinblick auf zwei aktuelle Entwicklungen im türkisch-syrischen Grenzgebiet: Die Brände im Tur Abdin und die türkischen Truppenkonzentrationen an der Grenze zur syrischen Djazira. Der gesamte Raum ist ein ursprüngliches Herzland der syrisch-christlichen Tradition, das erst seit 1923 durch eine künstliche Grenze getrennt ist, die entlang des Bahndamms der Bagdad-Bahn verläuft .

Bei den Bränden im Tur Abdin vermuten auch die türkischen Behörden, das Brandstifter am Werk waren. Die Taktik des Abbrennens landwirtschaftlicher Nutzflächen wurde heuer auch von untergetauchten „Daesh“ (IS)-Terroristen vor allem in der Djazira in Nordsyrien an der türkischen Grenze in großem Maßstab angewendet. In Syrien ist die Rede davon, dass in der Djazira 50.000 Hektar von den terroristischen Brandanschlägen betroffen waren, was zu großen Ernteausfällen geführt hat. In der Nacht vom 26. auf den 27. Juli gerieten dann die Ölbaum-Gärten des syrisch-orthodoxen Klosters Der-ul-Zafaran, zehn Kilometer außerhalb von Mardin, in Brand. Die Mönche und Christen aus der Umgebung bemühten sich, das Feuer unter Kontrolle zu bringen, auch die Feuerwehr aus Mardin war relativ rasch zur Stelle. Trotzdem fielen hunderte von Ölbäumen und Mandelbäumen dem Feuer zum Opfer, was einen großen wirtschaftlichen Schaden für das Kloster bedeutet, das auf das 5. Jahrhundert zurückgeht und als einstige Patriarchenresidenz große symbolische Bedeutung für die syrisch-orthodoxe Kirche hat.

Ein weiteres Feuer brach am 27. Juli in den Bergen von Bagok zwischen Nusaybin (Nisibis) und Midyat aus. Durch den Wind kamen die Flammen dem Dorf Kafro (türkisch: Elbegendi) nahe. Einige Stunden war der Ort, in dem auch syrisch-orthodoxe „Rückkehrer“ aus der europäischen Diaspora leben, durch die Flammen und die starke Rauchentwicklung  in größter Gefahr. Aber den Dorfbewohnern gelang es, ein Übergreifen des Brandes auf die Häuser zu verhindern – die Feuerwehr traf erst mit großer Verspätung ein. Außer Kafro waren auch die Dörfer Güzelsu, Dibek, Üc und Dagici vom Feuer bedroht. In Midin (türkisch: Ögündük) verbrannten 100 Hektar Weingärten und Erdnußbaumplantagen.

In der syrisch-orthodoxen Community gibt es die Befürchtung, dass die von den „Daesh“-Terroristen in Nordsyrien entwickelte Taktik der Brandstiftung auch auf das türkische Gebiet übergeschwappt ist. Evgil Türker, der Obmann der „Federation of Syriac Associations“, sagte,  man erwarte gespannt die Ergebnisse der Untersuchungen der türkischen Gendarmerie. Der wirtschaftliche Schaden durch die Brandserie sei jedenfalls sehr groß, vor allem, was die nur langsam nachwachsenden Ölbäume und die Weingärten betrifft. In der Community gibt es aber auch Befürchtungen, dass die Rückkehrbewegung der Christen syrischer Tradition, die auf eine ausdrückliche Einladung des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit im Jahr  2001 zurückgeht, islamistischen Gruppierungen in der Türkei nicht gefällt. Die Brandstiftungen könnten dann als „Warnsignale“ gemeint sein.

Trotz des „Sayfo“, der systematischen Ausrottungspolitik des jungtürkischen Regimes gegen die Christen syrischer Tradition im Ersten Weltkrieg, war der Tur Abdin bis in die 1960er-Jahre stark christlich geprägt, es war die Rede von mehr als 200.000 christlichen Bewohnern. Im Zug der Gastarbeiterbewegung emigrierten aber dann viele Christen aus dem Tur Abdin auf der Suche nach besseren politischen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen nach Deutschland, Schweden, in die Niederlande usw. Schwer betroffen waren die Christen aber auch durch die Kämpfe zwischen türkischen Truppen und der kurdischen PKK in den 1980er-Jahren. Damals verstärkte sich die Emigrationsbewegung der Christen, viele Dörfer sind seither verlassen.

Die Sorge der syrisch-orthodoxen Community – die auch von syrisch-katholischen und chaldäisch-katholischen Christen und von den Angehörigen der Apostolischen Kirche des Ostens geteilt wird – bezieht sich aber auch auf die türkischen Truppenkonzentrationen. Im Bereich von Tell Abyad seien bereits alle Grenzbefestigungen demontiert worden, das weise auf Einmarschpläne in die Djazira hin. In der Djazira leben viele Nachkommen von Christen, die im Zug des „Sayfo“ aus ihren weiter nördlich gelegenen ursprünglichen Heimatorten vertrieben wurden und dann in dem französisch kontrollierten  Gebiet zwischen Euphrat und Tigris Zuflucht suchten. In Erklärungen christlicher Politiker aus der Djazira wurde offen ausgesprochen, dass sie einen türkischen Einmarsch als „Fortsetzung“ des „Sayfo“ betrachten.

Der Journalist Simon Jacob, Vorsitzender des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland, veröffentlichte am 29. Juli ein Interview mit Gabriel Kino, dem Pressesprecher der „Syrian Demcratic Forces“ (SDF), einer Militärformation, die sich aus Kurden, Christen der syrischen Tradition, muslimischen Arabern und weiteren Ethnien zusammensetzt. Kino, der selbst Christ ist, verweist im Interview auf die in der internationalen Berichterstattung oft ausgeblendete plurale Zusammensetzung der SDF. In der türkischen Optik werde die angebliche Dominanz der Kurden in der YPG – und damit auch in den SDF – als Bedrohung der türkischen Südgrenze und des Friedens in Ostanatolien dargestellt. Man setzte jetzt darauf,  dass die USA – als Schutzmacht der SDF-Einheiten – Druck auf Ankara ausübt, damit es zu keinem militärischen Einfall in der Djazira kommt.