Geistliches Wort bei der Doxologie anlässlich des 50-jährigen Bestehen des Freundeskreises Philoxenia

0
689

„Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen…“
Dieses Wort aus dem Matthäus-Evangelium, das wir soeben gehört haben, schwebte Ilse Friedeberg, der Gründerin des Freundeskreises vor, als sie vor 50 Jahren die Gründung der PHILOXENIA in Angriff nahm, also ein Zitat aus der Rede unseres Herrn über das Weltgericht. Unter den Werken der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit (der griechische Urtext verwendet das Wort „διακονεῖν“) ist hier neben dem Stillen des Hungers und des Durstes der Mitmenschen, neben dem Besuch der Kranken und der Gefangenen auch die Aufnahme der Fremden angeführt, die eben so wie die anderen Tätigkeiten, letztendlich entscheidend für uns sein werden beim Endgericht.

„Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen…“
Für diejenigen, die sich an ihren Griechisch-Unterricht in der Schule oder im Studium erinnern, ist klar: in Philoxenia stecken die beiden griechischen Wörter φίλος und ξένος. PHILOS, der Freund, man muss eigentlich sagen: der liebende Freund, denn die PHILIA des klassischen Griechisch bedeutet eine der Grundformen der Liebe, neben AGAPE und EROS. Und XENOS, das ist der Fremde, der neu Hinzukommende, und gleichzeitig dann auch der Gast, der Aufgenommene, der Angekommene und Angenommene. Man hat ganze Abhandlungen über diese doppelte Bedeutung des Wortes geschrieben, die ja dann zu einer Programmatik des Freundeskreises PHILOXENIA wurden.

„Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen…“
Und gleichzeitig gibt es auch eine Schwierigkeit mit dem Wort PHILOXENIA: Wie mir Vater Miron als Augenzeuge berichtet hat, war es kein geringerer als der große und unvergessene rumänische Theologe Dumitru Stăniloae,  der bei einer PHILOXENIA-Tagung auf dem Schwanberg 1974 bemerkte, dass der Name PHILOXENIA bereits ein Haltbarkeitsdatum in sich trägt. Selbst wenn ich den Gast, den XENOS, wie meinesgleichen behandle und liebe, bleibt er, so lange ich ihn so bezeichne, doch immer ein Fremder. Vater Dumitru sagte damals: nennen wir den Freundeskreis doch statt PHILOXENIA besser PHILADELPHIA, denn aus der Liebe zu den Fremden bzw. Gästen müsste die Liebe zu Geschwistern werden. Dieser Vorschlag fiel seinerzeit unter den Tisch; vielleicht sollte dies so sein. Das Anliegen, das aber dahinter steht, ist meines Erachtens auch heute noch einen Augenblick des Nachdenkens wert. Denn in allen Bereichen der Ökumene stellen wir uns ja zur Zeit die Frage: Was haben wir erreicht? Wo stehen wir? Wie geht es weiter? So auch hier: Ein nicht–orthodoxes Mitglied von PHILOXENIA kann (und muss!) sich fragen: Wie sehe ich eigentlich meine  orthodoxen Mitchristinnen und -christen? Nach wie vor als Gäste oder gar Fremde in diesem Land? Und ein orthodoxer Christ muss sich seinerseits fragen: was habe ich denn dafür getan, in diesem Land nicht nur anzukommen und integriert zu werden, sondern auch darüber hinaus zu geschwisterlicher Liebe, zur PHILADELPHIA zu gelangen.

„Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen…“
Die Begegnung mit dem Anderen ist für uns Christen immer eine Begegnung mit Christus selbst. Diese Begegnung mit der Person des Anderen ist keine Einbahnstraße, für beide, den Suchenden und den Gefundenen, wird die Gestalt des Herrn im Anderen sichtbar, erfahrbar, spürbar. Nikolaj Gogol, der große russische Schriftsteller, der neben seinen literarischen Werken auch einen wunderschönen Kommentar zur Göttlichen Liturgie der Orthodoxen Kirche verfasst hat, beschreibt darin, das spirituelle Resultat der Eucharistiefeier folgendermaßen: „Verlässt er das Gotteshaus, wo er am göttlichen Liebesmahl teilgenommen hat, so erblickt er in allen seine Brüder. Ob er nun seinen alltäglichen Beschäftigungen nachgeht, sei es im Dienst, im Hause oder irgendwo, er wird unwillkürlich in seiner Seele das hohe Beispiel eines liebevollen Umgangs mit Menschen vorgezeichnet finden und bewahren, so wie es der Gottmensch vom Himmel gebracht hat.“
Ich glaube, dies kann und sollte auch als Überschrift über die ersten 50  Jahre des Freundeskreises PHILOXENIA stehen.

Dafür danken wir Gott und feiern die heutige Doxologie. Amen.

Metropolit Augoustinos von Deutschland Vorsitzender der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD)


(Köln, 15. Oktober 2016)