Größere Einheit der Christen dient auch dem Frieden in einer von Spannungen geprägten Welt

Pro Oriente“-Präsident Kloss bei der Podiumsdiskussion über „Religion und Staat am Balkan“ – „Internationale Aufmerksamkeit darf sich nicht zu schnell von sensiblen Regionen abwenden“

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Foto: © Bwag/CC-BY-SA-4.0 (Quelle: Wikimedia; Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International)

Wien, 23.11.18 (poi) Eine größere Einheit der Christen dient auch dem Frieden in einer Welt, die von zahlreichen Spannungen und Konflikten geprägt ist. Dies betonte „Pro Oriente“-Präsident Alfons M. Kloss am Donnerstagabend im Institut für osteuropäische Studien der Universität Wien bei der Eröffnung einer Podiumsdiskussion über „Religion und Staat am Balkan“, die im Rahmen der aktuellen Tagung der „Pro Oriente“-Historikerkommission „Von der Spannung zur Versöhnung“ stattfand. „Pro Oriente“ habe sich von Anfang an als „unabhängige Plattform bei der Vermittlung in religionsrelevanten Konflikten“ verstanden, auch als Ort des Dialogs bzw. der Aufarbeitung von Hintergründen zu aktuellen Spannungen. Die Situation in Südosteuropa sei schon sehr früh in den Fokus von „Pro Oriente“ gekommen. Bereits zu Beginn der 1990er-Jahre wurden Friedensinitiativen zu den Vorgängen im damaligen Jugoslawien gestartet, Vermittlungs- und Gesprächsinitiativen im kirchlichen Bereich, so Kloss. Nach und nach habe sich die Frage nach einer strukturierteren Bearbeitung auch der historischen Hintergründe gestellt, was zur Gründung der „Pro Oriente-Kommission für südosteuropäische Geschichte“ führte. Ihre Aufgabe sei die Aufarbeitung von Geschichtsbildern „,mit dem Ziel eines konkreten Beitrags zur Versöhnung in der Region“.

Kritisch merkte der „Pro Oriente“-Präsident an, dass sich die internationale Aufmerksamkeit, „ein sehr fragiles Wesen“, nicht zu schnell von sensiblen Regionen abwenden dürfe, sobald etwa ein unmittelbarer Konflikt befriedet ist. Im Gegenteil sei eine entsprechende Begleitung durch die internationale Gemeinschaft – insbesondere durch die Europäische Union – für Südosteuropa weiterhin sehr wichtig. Die Pluralität des Zusammenlebens in Südosteuropa sei ein „besonders wertvolles und schützenswertes Gut“. In allen europäischen Ländern müsse an „gelebter Pluralität im gesellschaftlichen und politischen Diskurs“ dazu gelernt werden. Dazu gehöre auch, so Kloss, sich künftig eingehender mit der Rolle von Religionen als relevante Faktoren im gesellschaftlichen Umfeld zu beschäftigen. Ein interessantes Indiz sei, dass in den letzten Jahren in Außenministerien wichtiger Länder eigene Beratungsstellen für Religionsfragen eingerichtet wurden.

Im Hinblick auf seine römischen Erfahrungen – Kloss war in den letzten Jahren als österreichischer Botschafter beim Heiligen Stuhl tätig – erinnerte der „Pro Oriente“-Präsident an den mehrfach wiederholten Appell von Papst Franziskus zu einer „Ökumene der Tat“, einem geeinten Wirken der Christen in der Welt von heute. Christen seien aufgerufen, als „committed citizens“ überall ihren Beitrag zu leisten, vor allem für Verständigung, Dialog und Versöhnung. In diesem Sinn werde sich „Pro Oriente“ weiter engagieren.

 

„Auf allen Seiten Täter und Opfer“

Bei der Podiumsdiskussion gab es spannende Einblicke in wenig bekannte Aspekte des ökumenischen und interreligiösen Miteinanders in Südosteuropa. Es wurden aber auch strukturelle Problemstellungen des Balkans deutlich: Die gelebte Vielfalt war vor 40 Jahren intensiver als heute, die dramatisch zunehmende Auswanderung der Jugend nach West- und Mitteleuropa bedroht die zukünftige Entwicklung, die internationale und europäische Politik hat die Bedeutung der Religionsgemeinschaften (und auch der Zivilgesellschaft) ausgeblendet, aus Brüssel floss kein Geld, um Initiativen der Kirchen und Religionsgemeinschaften zu stützen. Bei der Beurteilung der kriegerischen Auseinandersetzungen im ex-jugoslawischen Raum müsse man sich zur Erkenntnis durchringen, dass es „auf allen Seiten Täter und Opfer gegeben hat“.

Mihail Cekov von der evangelisch-methodistischen Kirche Mazedoniens berichtete, dass es unter der kommunistischen Herrschaft in der kleinen Republik gute Kontakte zwischen den Religionsgemeinschaften gab. Auch die staatliche Religionskommission habe positive Initiativen gesetzt, indem sie etwa die Anregung zu gegenseitigen Besuchen bei den großen Festen der einzelnen Kirchen und Religionsgemeinschaften gab. Auch unmittelbar nach der Unabhängigkeit sei die gute ökumenische und interreligiöse Zusammenarbeit zunächst weitergegangen. 2002 wurde ein interreligiöser Rat gegründet, 2007 erarbeiteten die Religionsgemeinschaften gemeinsam das neue Religionsgesetz. Es gab ein „lebhaftes Leben“, wechselseitige Vorurteile wurden aufgearbeitet. Dann seien die Oberhäupter der Kirchen und Religionsgemeinschaften in den interreligiösen Rat eingetreten, seither würden die Aktivitäten allenthalben beschnitten. Negativ wirke sich auch der Einfluss radikal-nationaler Politiker der albanischen Minderheit aus.

Der ebenfalls aus Mazedonien stammende bayrische Imam Benjamin Idriz erinnerte daran, dass es in Bosnien ein bemerkenswertes Toleranzdokument gab. Der Franziskanerpater Andjeo Zvizdovic, Oberer (Kustos) der bosnischen Franziskaner, erhielt 1463 vom osmanischen Sultan Mehmed II., dem „Sieger“, ein „Ahidname“ (Urkunde), mit dem der katholische Klerus in Bosnien gesetzlich anerkannt und unter den Schutz des Sultans gestellt wurde. Jahrhunderte später habe dann Kaiser Franz Joseph I. nach der österreichisch-ungarischen Annexion von Bosnien-Hercegovina 1908 die Rechte der Muslime anerkannt, womit die Antwort auf die islamisch-theologische Frage, ob Muslime unter einem nichtmuslimischen Herrscher leben dürfen, erleichtert wurde. Heute sei es am Balkan ein großes Problem, dass jahrzehntelang nicht gelernt worden sei, wie man mit Vielfalt umgehen soll. Hier komme der Erziehung eine besondere Aufgabe zu.

Botschafterin a.D. Gudrun Steinacker, die Vizepräsidentin der deutschen Südosteuropa-Gesellschaft (sie hatte die Bundesrepublik Deutschland u.a. in Montenegro und in Mazedonien vertreten), plädierte für einen „nüchternen Blick“ und eine „kritische Auseinandersetzung“ im Hinblick auf das Verhältnis von Staat und Religion am Balkan. Sie habe etwa die Vermischung religiöser Anliegen mit Machtinteressen und finanziellen Ansprüchen als sehr problematisch empfunden. Notwendig seien ein „offener Dialog“ und eine „konkrete Benennung der Probleme“.

Der österreichische Botschafter i.R. Christian Prosl bezeichnete Bosnien-Hercegovina unter der österreichischen Administration als Modell, wie eine große muslimische Bevölkerungsgruppe die Loyalität zum Staat mit einer Religiosität verbinden kann, die sich dem sozialen und historischen Kontext anpasst. Im Grund gehe es darum, den Anspruch aufzugeben, dass die Religion alles dominieren soll. Der Westen dürfe aber nicht „belehrend“ auftreten, es brauche „Geduld“.

Der Wiener serbisch-orthodoxe Bischof Andrej (Cilerdzic) bedauerte, dass sich die Religionsgemeinschaften vielfach vom Nationalismus instrumentalisieren lassen. Im ex-jugoslawischen Bereich sei heute eine wirtschaftliche Annäherung festzustellen, aber in Sachen Vielfalt „tun sich die Völker und ihre Repräsentanten von sich aus schwer, zusammenzukommen“. Es bedürfe der Impulse von außen – wie sie etwa von der römischen Gemeinschaft Sant’Egidio gesetzt werden – , um einander näher zu kommen. Positiv sei aber, dass etwa in Serbien bei der Wiedereinführung des schulischen Religionsunterrichts und der Militärseelsorge die Kirchen und Religionsgemeinschaften eng kooperiert hätten.