Kardinal Rai verweist auf dramatische Auswirkungen der Syrien-Krise auf den Libanon

Scharfe Kritik des maronitischen Patriarchen an der internationalen Gemeinschaft, an der westlichen Propaganda und an der UNO

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Foto: © Piotr Rymuza (Quelle: Wikimedia, Lizenz: Creative Commons Attribution 3.0 Unported)

Beirut, 16.0.18 (poi) Auf die dramatischen Auswirkungen der Syrien-Krise auf den Libanon hat der maronitische Patriarch, Kardinal Bechara Boutros Rai, in einem Interview mit „Vatican News“ verwiesen. Alle Straßen aus dem Libanon in die arabische Welt seien durch den Krieg blockiert, sagte der Kardinal-Patriarch: „Wir haben keinen Zugang für unsere landwirtschaftlichen und industriellen Produkte nach Syrien, nach dem Irak, nach Jordanien und in die Golf-Staaten“. Zugleich müssten die libanesischen Steuerzahler für 1,7 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufkommen. Dabei würde ein Drittel der Libanesen bereits jetzt unter der Armutsgrenze leben, daher suchten viele Bewohner des Landes ihre Zukunft in der Emigration. Für die Syrien-Krise sei eine „diplomatische und politische Lösung“ überfällig, sagte Rai: „Wir sind nicht einverstanden mit der kriegerischen Auseinandersetzung, auch wenn wir nicht gehört werden“.

Das libanesische Volk unterstütze die syrischen Flüchtlinge aus menschlichen Gründen, unterstrich der Kardinal-Patriarch. Aber die Frage sei, wie lange das die kleine Zedern-Republik bewältigen könne. Rai: „Die Großmächte und die westlichen Länder lösen Kriege aus und wir Libanesen müssen die Konsequenzen tragen. Das ist nicht möglich und nicht annehmbar“.

Leider spreche niemand – „keiner der Verantwortlichen der USA, der Russischen Föderation, des Iran und der respektiven Verbündeten“ – vom Frieden in Syrien, bedauerte der libanesische Kardinal. Nur Papst Franziskus habe davon gesprochen und zugleich den Finger auf die Wunde gelegt: „Es geht um Waffenexport, die ‚Mächte‘ haben Interesse, Krieg zu führen, um Waffen zu verkaufen“. Alles andere bedeute nur, den Menschen „Sand in die Augen zu streuen“: „Die politisch Verantwortlichen wollen darlegen, dass sie etwas tun. Aber in Wahrheit zerstören sie nur alles“.

Um Reformen in Syrien durchzuführen oder einen neuen Präsidenten zu finden, müsse man nicht ganz Syrien zerstören und Millionen Flüchtlinge in die Welt schicken, sagte der Kardinal-Patriarch sarkastisch. Leider seien die Gewissen in der Welt „tot“, bedauerte Rai: „Alles, was wir erleben, ist regionale und internationale Interessenpolitik. Unsere Pflicht ist es, entschlossen Nein zum Krieg zu sagen. Dieser Krieg hat keinen Sinn“. Scharf ging der Kardinal-Patriarch mit der westlichen Propaganda ins Gericht, es gehe in Syrien – und im Irak – um die Implementierung der Demokratie: „Wenn man Demokratie will, muss man sie anwenden und hören, was die Leute sagen“. Es sei nicht Aufgabe der Ausländer, zu entscheiden, wer Präsident in Syrien, im Irak oder im Libanon wird.

In dieser Situation sei es die Aufgabe der Kirche, den Krieg anzuprangern und „entschieden nein zu sagen“, betonte Rai. Zugleich müsse die Kirche „alles für das Volk tun“: „Unsere Leute müssen essen, leben“. Deshalb seien in der schwer mitgenommenen Stadt Aleppo die Bischöfe, Priester, Ordensleute geblieben: „Sie sind nicht geflohen, weil sie den Leuten helfen wollten, zu bleiben“. Der maronitische Erzbischof von Aleppo, Joseph Tobji, habe ihm erzählt, wie schwer es war, unter dem täglichen Bombenhagel der Jihadisten zu leben, „im Keller ohne Wasser und Strom“.

Skeptisch äußerte sich der maronitische Patriarch von Antiochien über die UNO. Sie habe ihre Existenzberechtigung verloren, das habe schon Papst Johannes Paul II. gespürt. Die UNO sei mittlerweile zu einem „Instrument der Großen“ geworden, damit sie „tun können, was sie wollen“.