„Nicht blind sein für den Lazarus vor unserer Tür“

Kardinal Schönborn feierte im Stephansdom Festgottesdienst zum Sonntag der Völker – „Wiederinbesitznahme“ der Regenborgenflagge

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Foto: © (Quelle: Wikimedia; Lizenz: public domain)

Wien, 29.09.19 (poi) „Wir dürfen nicht blind sein für den Lazarus vor unserer Tür“, sagte Kardinal Christoph Schönborn beim Festgottesdienst zum „Sonntag der Völker“ im Wiener Stephansdom. Der Wiener Kardinal betonte am Sonntag – bei dem auch des 28. Jahrestages seiner Bischofsweihe im Stephansdom gedacht wurde – , wie sehr es darauf ankomme, im Hinblick auf die Armen von der „Welt  des Wegschauens“  zur „Welt des Hinschauens“ zu gelangen. Die „Armen wie Lazarus  vor der Tür“ seien dabei nicht nur die Flüchtlinge, sondern  auch die Einsamen, die seelisch Verwundeten in der Großstadt, betonte der Wiener Erzbischof.

Kardinal Schönborn erinnerte daran, dass der „Sonntag  der Völker“ auch der „Sonntag der Migranten und Flüchtlinge“ ist. Auch sie seien wie „der Lazarus in der biblischen Erzählung  vor der  Tür des Reichen“ vor „unser aller Tür“. Im Mittelpunkt des Tagesevangeliums stand die Erzählung aus dem Lukasevangelium vom Reichen, der den armen Lazarus vor seiner Tür nicht beachtet und dafür nach seinem Tod zur Rechenschaft gezogen wird. Mit diesem Gleichnis wolle Jesus nicht etwa einen Blick auf das Jenseits eröffnen, sondern vielmehr aufzeigen, dass es auf ein gerechtes und barmherziges Handeln in der Gegenwart ankomme, so Schönborn. Heute gelte es, die Rufe der Armen und Bedürftigen wahrzunehmen.

Es gebe keine präzise Vorstellung über das Jenseits, sagte Kardinal Schönborn, aber gewiss sei, dass „wir Rechenschaft über unser irdisches Dasein ablegen“ müssen. Daher gebe es den Hinweis, nicht blind zu sein „für den Lazarus vor der Haustür“, ob er nun  ein Fremder, ein Einsamer, ein  Flüchtling, ein Migrant sei. Schönborn erinnerte daran, dass er selbst auch als Kleinkind ein Flüchtling gewesen war. Es sei keine Sünde, reich zu sein und im Wohlstand zu leben, aber man müsse auf das Wort Gottes hören und zum teilen bereit sein.

Der Gottesdienst im Stephansdom war geprägt vom Miteinander der verschiedenen Sprachgruppen. Rektor Johannes Gönner, der Leiter des Wiener Referats für die anderssprachigen  Gemeinden, erinnerte eingangs daran, dass in der Konzelebration im Stephansdom auch die Wertschätzung für die anderssprachigen Gemeinden zum Ausdruck komme. Viele Christen, die aus aller Welt neu nach Wien kommen, seien bestrebt, auf der Suche nach Gemeinden in ihrer Muttersprache „Glauben und Überzeugung“ als Schätze in ihre neue Heimat einzubringen. In diesem Vorgang zeige sich immer wieder, dass die „Sprache des Herzens“ die wahre „Weltmuttersprache“ sei.

Am Beginn des Gottesdienstes zogen sechs Gemeinden mit  je einer Farbe  des Regenbogens ein  und  brachten sie zum Altar, wo sie zur Regenbogenflagge drapiert wurden. Damit wurde die Regebogenflagge, die in den letzten Jahrzehnten von unterschiedlichen säkularen Gruppierungen vereinnahmt worden ist, wieder auf ihre ursprüngliche, im Ersten Testament der Bibel festgelegte Bedeutung zurückgeführt: Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Menschen.

Der „Sonntag der Völker“ steht im Zeichen der Vielfalt der Nationen innerhalb der katholischen Kirche. Heuer war das Motto „Trennendes überbrücken“; dabei sollte ein bewusstes Zeichen für Integration gesetzt werden. Auf Wunsch vieler Bischofskonferenzen hatte Papst Franziskus den kirchlichen „Welttag der Migranten und Flüchtlinge“ auf den letzten Sonntag im September verschoben, somit gleichzeitig auf den  „Sonntag der Völker“. Der 1914 von Papst Benedikt XV. (1914-1922) eingeführte „Welttag der Flüchtlinge“ fand heuer  zum 105. Mal statt.