Wien: Eindrucksvoller Marsch für die verfolgten Christen und für Religionsfreiheit

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Foto ©: csi.or.at

Wien, 13.12.17 (poi) Mehr als 1.000 Menschen beteiligten sich am Dienstagabend beim Fackelzug „Stopp der Christenverfolgung“ durch die Straßen der Wiener Innenstadt von der Oper zum Stephansdom. Mit dem Kreuzträger – einem syrisch-orthodoxen Diakon – gingen Weihbischof Franzl Scharl und weitere Repräsentanten verschiedener christlicher Kirchen an der Spitze des Zuges. Gebetet wurde ausdrücklich für „Verfolgte und Verfolger“ (in Erinnerung daran, dass vor nahezu 2.000 Jahren der Heilige Paulus vom „Verfolger“ zum „Verkünder“ geworden war). Auf Plakaten wurde Religionsfreiheit für Christen in aller Welt gefordert und daran erinnert, dass mit dem Fackelzug versucht werde, „jenen eine Stimme zu geben, die keine Stimme haben“. Die Organisatoren des Fackelzugs – die Plattform „Solidarität mit verfolgten Christen“ – verwiesen darauf, dass laut jüngstem „Weltverfolgungsindex“ mehr als 200 Millionen Christen in Verfolgungssituationen leben müssen.

Zum Auftakt des Fackelzugs verlas der Nationalratsabgeordnete Wolfgang Gerstl eine Solidaritätsbotschaft von Außenminister Sebastian Kurz, in der die Menschenrechte – angefangen von der Religionsfreiheit – als „Fundament der europäischen Idee“ bezeichnet werden. Die österreichische Politik werde sich in Zukunft – auch auf EU- und UN-Ebene – verstärkt für die Respektierung der Religionsfreiheit einsetzen. „Wir sind zutiefst betroffen über die Gewalt gegen Christen und über die Rede vom sogenannten ‚Heiligen Krieg‘“, hieß es in der Solidaritätsbotschaft. Den fundamentalistischen Strömungen müsse Einhalt geboten werden, „sie dürfen keinen Spielraum haben“. Es sei ein Prinzip der Außenpolitik Wiens, einen Beitrag zur Beendigung der Gewalt im Nahen Osten zu leisten. Zugleich wolle man auch auf die Verwirklichung der „Marrakesch-Erklärung“ von 2016 dringen. In der „Marrakesch-Erklärung“ plädierten führende muslimische Staatsmänner und Gelehrte für eine neue Haltung gegenüber Andersgläubigen in muslimisch dominierten Ländern; diese Haltung solle vom Konzept der gleichberechtigten Staatsbürgerschaft ausgehen und etwa auch die Lehrpläne auf diskriminierende Äußerungen gegenüber anderen Religionen durchforsten. Auf diesem Hintergrund plädierte Kurz in seiner Grußbotschaft an die Teilnehmenden des Fackelzugs für eine Schulbuchreform in den Ländern des Nahen Ostens, damit die Präsenz des Christentums in diesem Gebiet nicht länger verschwiegen wird.

Wörtlich hieß es in der von Wolfgang Gerstl überbrachten Botschaft des Außenministers: „Österreich schafft den Freiraum für Glaubens- und Gewissensfreiheit des Einzelnen und beschützt diese Freiheit vor Missbrauch und Gewalt. Religionsfreiheit ist ein universales Menschenrecht. Dass Christen im Nahen Osten schweren Verfolgungen ausgesetzt werden und ihnen diese Freiheit heute nicht mehr zu Teil wird, ist umso bedauerlicher, weil über nahezu tausend Jahre das Zusammenleben in dieser Region von Toleranz geprägt war. Migration und Verfolgung drohen nunmehr diese Diversität in der arabischen Welt endgültig zu gefährden und bedeuten einen nicht wieder gutzumachenden Verlust für den sozialen und kulturellen Reichtum der Region“.

Österreich sei – wie alle Staaten in der Europäischen Union – ein säkularer Staat, hieß es in der Solidaritätsbotschaft des Außenministers weiter: „Wir trennen zwischen Staat und Recht auf der einen Seite und Religion, Philosophie und Moral auf der anderen. Gesetze entstehen aber aus Werthaltungen, die von Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern getragen werden. Die Grundlagen individueller moralischer Orientierungsfähigkeit dürfen daher auch einem Staat nicht gleichgültig sein“.

Die Glaubens- und Gewissensfreiheit sei wesentlicher Ausdruck der Achtung der persönlichen Identität eines Menschen und seiner Menschenwürde, so Kurz: „Diese Würde (‚dignitas humana‘) leiten wir Christen aus der Gottebenbildlichkeit des Menschen ab. Diese kann nicht nur durch staatliche Sicherheitsmaßnahmen garantiert werden, sondern braucht die aktive Stärkung durch die Gesellschaft als Ganzes“.

Viele Österreicherinnen und Österreicher seien zu Recht „entsetzt, alarmiert und betroffen“ über Gewalt gegen christliche Minderheiten. Die Rede vom „Heiligen Krieg“ zersetze den Glauben an das Gute im Menschen und an das moralische Anliegen von Religionen. Religiöse Würdenträger müssten sich klar und deutlich gegen gewalttätige und Gewalt schürende Interpretationen ihres Glaubens aussprechen. Diese Forderung habe der UNO-Generalsekretär bereits im letzten Jahr deutlich erhoben.

Österreich sei auch aus diesem Grund seit Jahrzehnten im interreligiösen Dialog aktiv, so der Außenminister: „Wir stützen uns dabei auf die Pflicht, uns selbst treu zu sein und andere in ihrer Identität zu respektieren. Wir haben diesen Dialogansatz zu einem Prinzip unserer Außenpolitik gemacht, da auch Staaten sich für Toleranz und Respekt gegenüber Andersgläubigen einsetzen müssen, damit Gewalt gegen Gläubige im Nahen Osten und anderenorts endet“.

Die Europäische Union sei eine wichtige Stütze im Ringen um Religionsfreiheit weltweit. Der Sonderbeauftragte für die Förderung von Religions- und Weltanschauungsfreiheit außerhalb der Europäischen Union, Jan Figel, leiste hier wertvolle Arbeit, erinnerte der Außenminister. Auf Ebene der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU achte Wien auf die Wirksamkeit der Umsetzung der Leitlinien für Religions- und Gewissensfreiheit aus dem Jahr 2013. Auf UN-Ebene werde das Mandat des Sonderberichterstatters für Minderheitenfragen unterstützt.

Abschließend hieß es in der Grußbotschaft: „Religion ist ein Teil der Lösung und muss ein Teil der Lösung bleiben. Wir sind in Österreich auf einem guten Weg. Unser Mitgefühl und unsere Unterstützung gelten all jenen Christen, die aufgrund ihres Glaubens verfolgt und wegen ihrer religiösen Überzeugung Opfer von Gewalt werden. Unser Respekt gilt denen, die ihre Religion, ihren Glauben, ihre Überzeugung in den Dienst des Friedens stellen. Dazu gehört auch, einander im Dialog zu begegnen und über die Grenzen einer Gemeinschaft hinweg für Versöhnung und Verständigung zu arbeiten“.

Vaterunser auf arabisch

In einer „statio“ vor der Kapuzinerkirche am Neuen Markt betonte der Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich, P. Karl Wallner, die Überzeugung der Christen, dass Gott „ein Vater aller Menschen ist“. Im Bewusstsein der gleichen Würde aller Menschen seien die Christen „beschämt“ über die Verbrechen, die in der Vergangenheit gegen Andersgläubige begangen worden seien, zugleich müsse aber auch darauf verwiesen werden, dass heute in vielen Ländern der Welt Christen „bedroht, bedrängt und verfolgt“ werden. Der Westen schaue „wie gelähmt“ zu. Vermutlich hänge das damit zusammen, dass der christliche Glaube in vielen westlichen Ländern „schwach“ geworden sei und dass es in der Öffentlichkeit dieser Länder etwas wie eine „Grundstimmung der Abwehr“ gegen das Christentum gebe. An die Stelle des Glaubens an Christus sei vielfach ein „säkularer Humanismus und naiver Tolerantismus“ getreten. Die Christenverfolgung sei aber „blutige Wirklichkeit“, so der „Missio“-Nationaldirektor. Sein Gewissen verbiete es ihm, zu schweigen. Das Wegschauen und Schweigen sei keine Lösung, vielmehr gehe es darum, in „friedvoller christlicher Solidarität für die verfolgten Christen einzutreten“: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen um ihres Glaubens willen verfolgt werden“.

Bei einer weiteren „statio“ vor der Malteserkirche an der Kärntner Straße verwies Kurt Igler von „Open doors“ auf die Leiden der christlichen Konvertiten, die aus dem Islam kommen. Sie würden oft von ihren Familien und ihrer Umwelt schwer bedrängt und misshandelt und verdienten daher besonderen Schutz. Es handle sich dabei um kein Randphänomen, wenn man bedenke, dass es zum Beispiel im Iran in der „Hauskirchen-Bewegung“ wahrscheinlich rund eine Million Neuchristen gebe. Zum Abschluss dieser „statio“ stimmte Weihbischof Scharl das Vaterunser als Fürbittgebet für die Konvertiten an. Zuvor hatte schon der Diakon auf dem Weg von der Kapuziner- zur Malteserkirche das Vaterunser auf arabisch gesungen.

Bei der letzten „statio“ vor dem Stephansdom ortete die Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler einen Zusammenhang zwischen der mangelnden Reaktion Europas auf die Christenverfolgung und der Abneigung der europäischen Eliten gegenüber christlichen Positionen in der Öffentlichkeit. Sie bedauerte zugleich, dass durch Vorgänge im Zusammenhang mit der Asylgewährung und der Situation in Flüchtlingsheimen Phänomene der Christenverfolgung gleichsam nach Europa „importiert“ worden seien. Gudrun Kugler stellte drei Frauen vor, die an vorderster Linie im Einsatz für die Religionsfreiheit stehen: Die Wiener Sozialethikerin Prof. Ingeborg Gabriel, die auch als für Diskriminierungsfragen zuständige Repräsentantin von Außenminister Sebastian Kurz in dessen Funktion als OSZE-Vorsitzender tätig ist, Gudrun Kuglers Nachfolgerin im Gemeinderat, Caroline Hungerländer, die sich für die Anliegen der verfolgten Christen einsetzt und Ellen Krüger-Fantini, die Leiterin des “Dokumentationsarchivs der Intoleranz gegen Christen in Europa”. Das Archiv hat in 42 Gesetzen von 15 europäischen Ländern Bestimmungen entdeckt, die die Religions- und Gewissensfreiheit von Christen einschränken.

Im Stephansdom hielt der syrisch-orthodoxe Chorepiskopos Emanel Aydin beim ökumenischen Wortgottesdienst (der vom Pfarrer und CV-Seelsorger Gregor Jansen geleitet wurde) die Predigt. Wörtlich sagte der Chorepiskopos: “Zum zehnten Mal treffen wir uns an diesem Ort, um für die verfolgten Christen und für ihre Verfolger zu beten. Wenn wir in die Welt blicken, müssen wir feststellen, dass die Situation in den zehn Jahren nicht besser geworden ist. Die Verfolgung hat sich verschärft. Das orientalische Christentum schrumpft zusammen. Die Geopolitik der führenden Mächte hat kein Interesse an den Christen im Orient. Die Verfolgung ist näher gekommen. Christliche Flüchtlinge, die vor der Verfolgung in ihren Heimatländern nach Österreich, nach Deutschland, nach Schweden geflohen sind, fühlen sich nicht mehr sicher”.

Aydin verwies auf die Parallelen zwischen der Situation der frühchristlichen Gemeinden, die in der “Offenbarung des Johannes” (dem letzten Buch der Bibel) angesprochen werden, und der heutigen Lage. Es zeige sich, dass die Christenverfolgung eine “geistliche Dimension” habe, die damit zusammenhänge, dass “ganze Nationen vom christlichen Glauben abfallen”. Viele hätten auf Gott vergessen und schenkten “falschen Propheten” Gehör. Es fehle die “Rückkehr zur ersten Liebe”, zur “unbefangenen Offenheit, zum Vertrauen auf Gott”.

Die Gebote Gottes würden vielfach relativiert, bedauerte der Chorepiskopos. Weil die Christen die “Heiligkeit des Lebens” und die “Heiligkeit des Leibes” bezeugen, schlage ihnen Aggressivität entgegen. Aydin plädierte dafür, auch in der Politik Maß am Evangelium zu nehmen. Wer das tue, werde nicht enttäuscht. Vielmehr wirke sich eine solche Haltung segensreich für das eigene Land, ja für ganz Europa aus.

Die Kollekte beim Gottesdienst erbrachte mehr als 2.000 Euro für die “Aktion Heimkehr”, mit der die “Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände” (AKV) zusammen mit “Christian Solidarity”-Österreich (CSI), der “Initiative Christlicher Orient” (ICO) und der Kardinal-König-Stiftung ein christliches Dorf in der Ninive-Ebene revitalisiert.