Rom-Moskau, 30.04.19 (poi) 100 katholische Priester aus der Diözese Rom besuchen derzeit unter Leitung von Kardinal-Vikar Angelo De Donatis die russische Hauptstadt. Die bis zum 3. Mai anberaumte Pilgerfahrt nach Moskau und zu den umliegenden heiligen Stätten der russischen Orthodoxie wird von dem Jesuitenpater Germano Marani vom „Russicum“ und von der an der Päpstlichen Gregoriana-Universität lehrenden Theologin Michelina Tenace begleitet. Eine Begegnung mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. ist vorgesehen. „Mit dieser Pilgerfahrt wollen wir – wie im Vorjahr in der Türkei – die Kenntnis der Orthodoxie und ihrer spirituellen und künstlerischen Tradition vertiefen“, stellte Kardinal De Donatis fest. Zugleich stelle die Pilgerfahrt eine gute Gelegenheit zum Wachstum in der priesterlichen Gemeinschaft und für das Zeugnis des Evangeliums dar.
Am Dienstag zelebrierten die Priester aus Rom mit Kardinal De Donatis in der Moskauer katholischen Marienkathedrale. Anschließend standen die Kreml-Kathedralen und die Basilius-Kathedrale auf dem Roten Platz auf dem Programm. Am 1. Mai besuchen die römischen Geistlichen die Tretjakow-Galerie und sind dann in der orthodoxen Erlöserkathedrale zu Gast. Am 2. Mai ist ein Besuch im Nowodewitschi-Kloster vorgesehen, wo die Priester auch am Grab des Ökumene-Vordenkers Wladimir Solowjew beten wollen. Weitere Besuche gelten dem Danielskloster (dem Amtssitz des Moskauer Patriarchen) und dem Sretenskij-Kloster (mit der 2017 geweihten großen Kirche der „Neumärtyrer“). Am Abend des 2. Mai konzelebrieren die römischen Priester mit dem katholischen Erzbischof in Moskau, Paolo Pezzi.
Am 3. Mai pilgern die Priester aus Rom mit Kardinal De Donatis in die Lawra von Sergijew Posad östlich von Moskau. Dort ist die Begegnung mit dem Patriarch Kyrill vorgesehen. In Semchos machen die römischen Pilger Station, um des orthodoxen Priesters und Theologen Aleksandr Men zu gedenken, der dort gewirkt und gelebt hatte. Er wurde am 9. September 1990 ermordet, als er auf dem Weg in die Pfarrkirche war, um die Göttliche Liturgie zu zelebrieren.
Men zählte zu den führenden russisch-orthodoxen Theologen des 20. Jahrhunderts. Er war der Sohn eines jüdischen Textilingenieurs und einer orthodoxen Mutter. Schon in seiner Schulzeit las er die großen Werke der christlichen Theologie. Neben seinem Biologiestudium studierte er privat Theologie und Philosophie. 1958 wurde er zum Diakon und zum Priester geweiht und nahm erst danach das formale Theologiestudium an den Geistlichen Akademien in St. Petersburg und Moskau auf. 1968 dissertierte er über das Thema „Monotheismus und vorchristliche Religionen“. Unter Pseudonym veröffentlichte er im „Samizdat“ wichtige Werke wie die fundamentaltheologische Reihe „Auf der Suche nach dem Weg, der Wahrheit und dem Leben“, eine Einführung in das Christentum und eine Abhandlung zur Entstehung und Entwicklung orthodoxer Feste.
Seine Auffassung, dass Menschen ohne Gott verloren seien, machte ihn zum Hoffnungsträger oppositioneller Kreise, die eine dem Sozialismus entgegengesetzte Lebensphilosophie suchten. In den 1970er- und 1980er-Jahren leitete Men die Gemeinde in Tarassowka bei Moskau und betätigte sich aktiv missionarisch. Er übte Einfluss unter Jugendlichen und in der wissenschaftlichen Intelligenz aus. In seiner Dorfkirche taufte er mehrere tausend Menschen. Er gab die Zeitschrift „Welt der Bibel“ heraus, gründete 1989 in Moskau eine Freie Orthodoxe Universität und setzte sich für die Ökumene ein. Seit den 1960er-Jahren wurde er vom KGB überwacht. Seine Ermordung in Semchos wurde nie aufgeklärt.