Algier-Vatikanstadt, 08.12.18(poi) 19 katholische Märtyrerinnen und Märtyrer, die in den Jahren 1994-1996 der Gewalttätigkeit der Islamisten zum Opfer fielen, wurden am 8. Dezember im Heiligtum Notre-Dame de Santa Cruz auf dem Mont Aidour über Oran selig gesprochen. Papst Franziskus sagte am Samstag beim Angelus-Gebet: „Diese Märtyrer unserer Zeit waren treue Verkünder des Evangeliums, demütige Erbauerdes Friedens und heroische Zeugen der christlichen Liebe: ein Bischof,Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen, Laien. Ihr mutiges Zeugnis ist Quelle der Hoffnung für die katholische Gemeinschaft Algeriens und Same des Dialogs für die ganze Gesellschaft. Diese Seligsprechung möge für alle ein Antrieb zum Aufbau einer Welt der Geschwisterlichkeit und der Solidarität sein“. Auf dieWorte des Papstes folgte stürmischer Applaus.
Im Namen des Papstes nahm der Präfekt der Heiligsprechungskongregation, Kardinal Giovanni Angelo Becciu, dieSeligsprechung in dem Heiligtum auf dem Mont Aidour vor, dessen Gründung auf ein Gelöbnis angesichts der dramatischen Choleraepidemie von 1849 in Oran zurückgeht. Kardinal Becciu verlas eine Botschaft des Papstes, in der es u.a.hieß, mit der Seligsprechung der 19 auf algerischer Erde gestorbenen katholischen Märtyrer solle deren Treue zum „Friedensprojekt Gottes“ gefeiert werden. Das Gebet gelte aber auch den vielen Söhnen und Töchtern Algeriens, die Opfer der gleichen Gewalt wurden, weil sie „mit Treue und Respekt“ ihre Pflicht als Gläubige und Bürger erfüllt hätten.
Die katholische Kirche in Algerien wisse sich – „mit der ganzen algerischen Nation“ – als Erbin der„großen Botschaft der Liebe“, die der Heilige Augustinus, „einer der zahlreichen geistlichen Meister dieses Landes“, vorgetragen habe, hieß es in der Papstbotschaft weiter. In dieser Zeit, in der alle Völker die Sehnsucht nach „Zusammenleben in Frieden“ verwirklichen wollen, sei es der Wunsch der Kirche, in besonderer Weise dieser Botschaft zu dienen. Mit der Seligsprechung der 19 Märtyrer bezeuge die Kirche ihren Wunsch, weiterhin für den Dialog, den Zusammenhalt und die Freundschaft zu arbeiten.
Ausdrücklich dankte der Papstauch dem algerischen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika und dessen Mitarbeitern, weil sie die Seligsprechung von Bischof Pierre Claverie und der anderen 18 Märtyrerinnen und Märtyrer auf algerischer Erde möglich gemacht hätten. Zugleich brachte er seine Zuneigung zum algerischen Volk zum Ausdruck, das während der gesellschaftlichen Krise in den letzten Jahren des 20. Jahrhundertsso viel habe leiden müssen.
In seiner Predigt erinnerte Kardinal Becciu daran, dass die 19 Märtyrerinnen und Märtyrer in Algerien die bedingungslose Liebe Gottes zu den Armen und Ausgegrenzten verkündet und ihre Zugehörigkeit zu Christus und zur Kirche bis zum Martyrium bezeugt hatten. Heute seien sie unter denen, „die aus der großen Bedrängnis kommen und ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht haben“, wie es in derOffenbarung des Johannes heiße. Die aus acht verschiedenen Gemeinschaften kommenden Ordensleute hätten in Algerien verschiedene Aufgaben erfüllt, „sie waren stark und ausdauernd im Dienst am Evangelium und an der Bevölkerung, trotz des feindlichen Klimas der Gewalt und Unterdrückung, von dem sie umgeben waren“. Bei der Lektüre ihrer Biografien sei man betroffen von ihrer mutigen Entschlossenheit, bis zum Schluss auf ihrem Posten zu bleiben, obwohl ihnen das Risiko bewusst war. Wörtlich fügte der Präfekt der vatikanischen Heiligsprechungskongregation hinzu: „Der tragische Tod von Pierre Claverie und der anderen 18 Märtyrer sei ein in einem schwierigen Moment ausgestreuter Same, der – fruchtbar gemacht durch das Leid – Früchte der Versöhnung und Gerechtigkeit bringen wird. Das ist unsere Aufgabe als Christen: jeden Tag den Samen des evangelischen Friedens ausstreuen, um sich an den Früchten der Gerechtigkeit zu erfreuen. Mit dieser Seligsprechung möchten wir dem ganzen Algerien nur eines sagen: Die Kirche wünscht nichts anderes, als dem algerischen Volk zu dienen und gegenüber allen Liebe unter Beweis zu stellen“.
Der Erzbischof von Algier, PaulDesfarges, betonte, wie sehr den Katholiken daran gelegen sei, die Seligsprechung der Märtyrer „gemeinsam mit vielen muslimischen Freunden“ zu feiern. Für viele Muslime seien die in Algerien Mitte der 1990er-Jahre ermordeten katholischen Märtyrer „Brüder und Schwestern, die sie anerkennen und mit Dankbarkeit ehren“. Die Teilnahme an den Seligsprechungsfeiern sei für diese Muslime eine Möglichkeit, darauf zu verweisen, dass es „nicht der Islamist, der tötet, sondern eine Ideologie, die diese Religion entstellt“. Die Mörder hätten, so Erzbischof Desfarges, den Islam in „eine Karikatur seinerselbst“ verwandelt, eine „Ideologie der Gewalt und des Todes“. In der jüngsten Geschichte Algeriens habe sich die Gewalt nicht nur gegen die Christen gerichtet, sondern auch gegen die Muslime. Die 19 Märtyrer seien ermordet worden, weil sie ihrem Gewissen treu geblieben seien. Dass erstmals christliche Märtyrer in einem islamisch dominierten Land selig gesprochen werden, zeige, dass auch das offizielle Algerien den Sinn verstanden habe, den die Kirche dieser Feier geben wolle: „Das Zeugnis dafür, dass es möglich ist, zusammenzuleben, als Gläubige an der Seite von Gläubigen zu gehen“. Die Präsenz von staatlichen Repräsentanten und Imamen bei den Feiern zeige das „wahre Bild des Islam, den der größte Teil des algerischen Volkes lebe und praktiziere: Ein Islam der Toleranz, des Friedens und der Begegnung mit der katholischen Kirche und anderen Religionsgemeinschaften“.
Durch die Seligsprechung würden die 19 Märtyrer als „Modelle des evangelischen Zeugnisses in diesem Land, in dem wir leben“, vorgestellt, unterstrich Erzbischof Desfarges: „Sie waren Männer und Frauen, die ihr Leben Gott anvertraut haben, sie waren alle Tage in einer Beziehung des Dienstes, der Freundschaft, der Begegnung, der Geschwisterlichkeit“. Im Augenblick der Prüfung hätten sie nicht daran gedacht, ihr Leben zu schützen, sondern die Entscheidung getroffen, weiterhin Gefährten der algerischen Brüder und Schwestern zu sein, die zu diesem Zeitpunkt die gleiche Gewalt, die gleiche Unsicherheit erleben mussten. Die Märtyrer seien normale Menschen gewesen, keine Helden, so der Erzbischof: „Sie haben nie daran gedacht, Märtyrer oder Selige werden zu wollen, aber sie haben ihr Leben gegeben“. Bei der Ankündigung der Seligsprechung der Märtyrer hatten die algerischen Bischöfe einen berühmten Satz aus dem geistlichen Testament von P. Christian de Cherge, dem Prior von Tibehirine, zitiert: „Ich möchte, dass sich meine Gemeinschaft, meine Kirche, meine Familie daran erinnern, dass mein Leben Gott und diesem Land geschenkt war“. Die Bischöfe knüpften daran die Hoffnung, dass die Seligsprechung der 19 Märtyrerinnen und Märtyrer für die Kirche und die Welt ein Appell zum Aufbau einer Gesellschaft des Friedens und der Geschwisterlichkeit sein möge.
Die ursprüngliche Hoffnung auf eine persönliche Präsenz von Papst Franziskus bei der Seligsprechung in Notre-Dame de Santa-Cruz auf dem Mont Aidour über Oran musste im Hinblick auf die delikate innenpolitische Situation Algeriens aufgegeben werden. Präsident Bouteflika, der der Armee nahesteht und das Land seit 20 Jahren führt, ist heute alt und schwer krank. 2019 stehen Präsidentschaftswahlen bevor, niemand kann sagen, wie diese Wahlen vor sich gehen werden.
Die 19 Märtyrer sind Bischof Pierre Claverie, die sieben Mönche von Tibehirine sowie weitere zehn Geistliche und Ordensleuter, deren gewaltsamen Tod die katholische Kirche in Algerien zwischen 1994 und 1996 zu beklagen hatte. Im Einzelnen handelt es sich um Henri Vergès, Paul-Hélène Saint-Raymond, Esther Paniagua Alonso, Caridad Alvarez Martín, Jean Chevillard, Alain Dieulangard, Charles Deckers, Christian Chessel, Angele-Marie Littlejohn, Bibiane Leclercq, Odette Prevost, Luc Dochier, Christian de Cherge, Christophe Lebreton, Michel Fleury, Bruno Lemarchand, Celestin Ringeard, Paul Favre-Miville. Der Ort der Seligsprechung im Heiligtum Notre-Dame de Santa-Cruz auf dem Mont Aidour über Oran ist ein direkter Verweis auf Bischof Pierre Claverie, der am 1. August 1996 gemeinsam mit seinem muslimischen Fahrer im Hof des Bischofssitzes einer Bombe zum Opfer gefallen war. Er war gerade von einer Gedenkmesse für die sieben ermordeten Trappistenmönche zurückgekommen. An die Geschichte der im März 1996 entführten und anschließend ermordeten Mönche erinnert auch der Film „Von Menschen und Göttern“, der 2010 in Cannes ausgezeichnet wurde. In den 1990er-Jahren (1992-2002) herrschte in Algerien ein blutiger Bürgerkrieg, der mit zahlreichen islamistisch motivierten Attentaten einherging. Verschiedene Quellen sprechen von insgesamt 200.000 Opfern der Auseinandersetzungen. Viele Menschen flüchteten vor der Gewalt der Islamisten nach Frankreich oder in den französischsprachigen Teil Kanadas.
Der emeritierte Erzbischof von Algier, Henri Antoine Teissier, betonte im Vorfeld der nunmehrigen Seligsprechung, dass das Seligsprechungsverfahren für „Pierre Claverie und 18 Gefährten“ tatsächlich allen Opfern, auch den muslimischen, der islamistischen Gewalt im Algerien der 1990er-Jahre gewidmet sei. Nach Angaben von Teissier entstand der Wunsch nach einer Seligsprechung der algerischen Märtyrer bei einer Pilgerfahrt nach Rom im Heiligen Jahr 2000. Papst Johannes Paul II. habe damals bei einer Gedenkfeier im Kolosseum für die Märtyrer des 20. Jahrhunderts auch die Trappisten von Tibehirine erwähnt.
Allerdings, so Erzbischof Teissier, habe es zu Beginn keineswegs Einstimmigkeit in der Frage gegeben. Manche Ordensgemeinschaften, etwa die Weißen Väter, verwiesen darauf, dass es in anderen Ländern Afrikas ebenfalls Opfer gegeben habe, so im Kongooder in Ruanda. Es habe Jahre gebraucht, bis das Verfahren schließlich 2007 tatsächlich aufgenommen wurde. Das es nun so schnell ging, hält der Erzbischof allerdings für wenig erstaunlich: Das Glaubenszeugnisder algerischen Märtyrer sei „von großer Aktualität“; siehe auch die Ermordung des französischen Priesters Jacques Hamel durch zwei islamistisch indoktrinierte kabylische Jugendliche im Juli 2016. Hamel, der als junger Mannin Algerien diente, hatte eine starke geistliche Bindung zu den Mönchen von Tibehirine.