Armenischer Katholikos Aram I. verlangt Rückgabe aller Kirchen in der Türkei

„Es geht nicht nur um die Anerkennung des Völkermords ab 1915, sondern auch um die Wiedergutmachung der Schäden, soweit das möglich ist“

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Foto ©: Martin C. Barry (Quelle: Wikimedia, Lizenz: use for any purpose, provided that the copyright holder is properly attributed.)

Beirut, 25.04.18 (poi) Der armenisch-apostolische Katholikos von Kilikien, Aram I., hat in einem Interview mit der libanesischen Zeitung „L’Orient-Le Jour“ die Rückgabe aller im damaligen Osmanischen Reich zwischen 1915 und 1922 enteigneten armenischen Kirchen, Klöster, Schulen, Krankenhäuser usw. eingefordert (1914 stand allein der armenische Patriarch von Konstantinopel 55 Diözesen mit 1.778 Pfarrgemeinden vor). In dem Interview aus Anlass des 24. April – an dem die armenische Gemeinschaft in aller Welt des Beginns des Völkermords durch eine Verhaftungsaktion der osmanischen Geheimpolizei in Konstantinopel in den frühen Morgenstunden jenes Tages im Jahr 1915 gedenkt – sagte der Katholikos, den Armeniern gehe es nicht nur um die Anerkennung des Völkermords durch die offizielle Türkei, sondern auch um die „Wiedergutmachung aller Schäden“, soweit das möglich sei.

Am 24. April 1915 waren auf Anordnung der mit dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn verbündeten kaiserlich-osmanischen Regierung – die damals vom jungtürkischen „Komitee für Einheit und Fortschritt“ (Ittihad ve Terakki) gestellt wurde – in Konstantinopel führende armenische Politiker (auch Abgeordnete), Industrielle, Wissenschaftler, Geistliche, Journalisten und Künstler verhaftet worden. Sie wurden vom Bahnhof Haydarpasa am asiatischen Ufer des Bosporus aus in Güterzügen nach Anatolien deportiert, die meisten wurden ermordet. In der Folge wurde auf Grund von chiffrierten Telegrammen überall im Osmanischen Reich die „Verschickung“ der armenischen Bürgerinnen und Bürger durchgeführt, die Zahl der Todesopfer wird auf 1,5 Millionen geschätzt.

Für Aram I. wäre eine Rückgabe der Kirchen und Klöster der „erste Schritt“ einer Wiedergutmachung. Derzeit versuche die offizielle Türkei jedesmal, wenn in irgendeinem Land der Völkermord an den Armeniern beim Namen genannt werde, Drohungen auszusprechen. Tatsächlich habe aber die türkische Zivilgesellschaft längst begonnen, diese dunkle Seite der türkischen Geschichte des 20. Jahrhunderts mit dem zutreffenden Namen Völkermord zu belegen, so der Katholikos. Ankara müsse seine Politik der Leugnung des Verbrechens am armenischen Volk endlich aufgeben.

In dem Interview dankte Aram I. zugleich den „arabischen Brüdern und Schwestern, Christen und Muslimen“, die damals vor mehr als 100 Jahren die armenischen Überlebenden und Waisenkinder aufgenommen hätten. Darin sei zum Ausdruck gekommen, dass die Koexistenz zwischen unterschiedlichen Religionen und Kulturen „in dieser pluralistischen Welt“ eine Notwendigkeit darstellt.

Am Abend des 24. April fand im Libanon ein Gedenkmarsch unter Beteiligung von tausenden Armeniern statt. Der Marsch begann in Borj Hammoud und führte nach Antelias, wo Aram I. seinen Sitz hat. Bei der Abschlusskundgebung betonten die Repräsentanten aller armenischen Parteien im Libanon, dass Ankara endlich die Verantwortung für den Völkermord an den Armeniern im sterbenden Osmanischen Reich übernehmen müsse.

Nach Angaben der katholischen Nachrichtenagentur „AsiaNews“ waren bei den Gedenkfeiern im Libanon auch Repräsentanten der Armenier aus Diyarbakir (Amida) anwesend. In dieser ostanatolischen Stadt seien zu Beginn des 20. Jahrhunderts 50 Prozent der Bewohner Armenier gewesen, heute seien es nur mehr 20 Prozent, von denen sich aber längst nicht alle als Armenier zu erkennen geben. Von besonderem Interesse sei die Veränderung der Haltung der Kurden, die heute immer öfter die Vergebungsbitte für die Beteiligung ihrer Vorfahren an den Gräueltaten der jungtürkischen Machthaber ab 1915 als „Verpflichtung“ ansehen. Zugleich gebe es immer mehr Nachfahren von damals zwangsislamisierten Armeniern, die sich heute wieder zum Christentum bekennen. Katholikos Aram I. habe in diesem Zusammenhang betont, dass die Armenier als osmanische Bürger in Frieden und gegenseitigem Respekt mit den Muslimen gelebt hätten. Erst an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert seien sie Opfer des „rassistischen Projekts“ der „panturanistisch“ eingestellten „Jungtürken“ geworden.