Aufregung um Dokumentarfilm über die „islamisierten“ Armenier in der Türkei

Der Film „Das verborgene Kreuz“ wurde im Kongresszentrum der ostanatolischen Stadt Diyarbakir erstmals öffentlich gezeigt – Islamistische Tageszeitung attackiert die beiden journalistischen Gestalter des Dokumentarfilms

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Foto: © Ziegler175 (Quelle: Wikimedia; Lizenz: Attribution-Share Alike 4.0 International)

Ankara, 01.07.19 (poi) Der Dokumentarfilm „Das verborgene Kreuz“ der beiden Journalisten Altan Sancar und Serhat Temel, der das Leben der „islamisierten“ Armenier nach den Massakern von 1915 in Ostanatolien nachzeichnet, wurde vor 14 Tagen im Kongresszentrum von Diyarbakir erstmals öffentlich gezeigt. Nach der Erstaufführung kam es – wie die katholische Nachrichtenagentur „Fides“ berichtet – zu einer Reihe kritischer Artikel in der türkischen Tageszeitung „Yeni Akit“, in denen der Dokumentarfilm verunglimpft und als „antitürkische Operation“ bezeichnet wurde, die von pro-westlichen Kreisen und kurdischen Gruppen inspiriert sei.

„Kreise, die der kurdischen Organisation PKK nahestehen, unterstützen die westlichen Thesen und beschuldigen die Türkei, den Völkermord an den Armeniern begangen zu haben“, hieß es in „Yeni Akit“: „Diese Kreise bezeichnen den Exodus von 1915 als Massaker an den Armeniern und unterstützen diejenigen im Ausland, die versuchen, die Türkei in eine bestimmte Ecke zu drängen“. Der Regisseur Altan Sancar, der sich als Neffe eines Armeniers präsentiert, kündigte auf seinem Twitter-Account die Absicht an, ein Gerichtsverfahren gegen die Tageszeitung „Yeni Akit“ anzustrengen, um festzuhalten, dass die islamistische Zeitung für eventuelle Angriffe auf ihn oder seinen Kollegen Serhat Temel verantwortlich ist.

In den letzten Jahren häufen sich Studien, die sich mit dem Phänomen der sogenannten „versteckten Armenier“ oder „armenischen Untergrundgläubigen“ befassen, bei denen es sich um Nachkommen zwangsbekehrter Armenier handelt (zu denen auch die armenischen Kinder zu rechnen sind, die von türkischen oder kurdischen Familien nach dem Tod ihrer leiblichen Eltern adoptiert wurden und erst später von ihren Wurzeln erfuhren).

Dass der Film erstmals in Diyarbakir (Amida) gezeigt wurde, hat mit der dramatischen Geschichte der Stadt mit ihren eindrucksvollen schwarzen Basaltstadtmauern aus römischer Zeit zu tun. Diyarbakir hatte bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs – wie viele andere anatolische Städte – noch eine zu 50 Prozent christliche Bevölkerung. Aber der Vali (Gouverneur) von Diyarbakir, Mehmet Reschid Bey (ein Arzt aus tscherkessischer Familie), entwickelte eine mörderische Strategie zur Ausrottung aller Christen in seinem Bereich. Er war stolz darauf, sein Vilayet (Provinz) „christenfrei“ gemacht zu haben.

Reschid Bey war einer der Mitbegründer des „Komitees für Einheit und Fortschritt“ (Ittihad ve Terakki), das während des Ersten Weltkriegs die osmanische Regierung stellte. 1909 gab er den Arztberuf auf und trat in den Staatsdienst ein, 1915 wurde er zum Vali von Diyarbakir ernannt. Als ihn der „Ittihad“-Generalsekretär Mithat Şükrü Bleda später fragte, wie er als Arzt das Herz haben konnte, so viele Menschen zu töten, soll Reschid geantwortet haben: „Die armenischen Banditen waren eine Menge schädlicher Mikroben, die den Körper des Vaterlandes befallen hatten. War es nicht die Pflicht des Arztes, die Mikroben zu töten?“ Als einer der wenigen Täter des Völkermordes an den Christen wurde Reschid Bey 1918 verhaftet, um vor ein Kriegsgericht in Konstantinopel gestellt zu werden. Unter ungeklärten Umständen hatte er Gelegenheit, sich am 6. Februar 1919 im Gefängnis zu erschießen.