Ein Unionskonzil zwischen Triumph und Scheitern

Forschungskolloquium von „Pro Oriente“ und Ostkirchenzentrum der Universität Fribourg über das Konzil von Florenz am Ort des einstigen Geschehens – Das Konzil von Ferrara-Florenz brachte konträre Narrative hervor und wirkt bis heute nach

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Florenz, 13.09.18 (poi) Das bedeutendste konziliare Unionsgeschehen zwischen Ost- und Westkirche im Mittelalter, das Konzil von Ferrara-Florenz (1438/39), stand im Mittelpunkt eines Experten-Kolloquiums, das die Stiftung „Pro Oriente“ in Kooperation mit dem Zentrum St. Nikolaus für das Studium der Ostkirchen (Universität Fribourg) von 9. bis 12. September am historischen Schauplatz der Unterzeichnung der Unionsbulle in Florenz veranstaltet hat. 20 Theologinnen und Theologen bzw. Historikerinnen und Historiker widmeten sich in Vorträgen und Diskussionen dem Konzil selbst, seinen Vorbedingungen und seiner (Nicht-)Rezeption, wobei dem Charakter der de facto unterzeichneten Union besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Kaum ein anderes Ereignis der Beziehungsgeschichte zwischen Ost- und Westkirche des zweiten Millenniums brachte rückblickend derart konträre Narrative hervor wie die Union von Florenz, und kaum ein anderes Ereignis ist derart zentral für die Ekklesiologie(n), die die Basis jedes ökumenischen Gesprächs bis heute bilden. Bereits im Eröffnungsvortrag des orthodoxen Ko-Vorsitzenden der Internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche, Erzbischof Job (Getcha), wurde deutlich, dass Ferrara-Florenz für Dynamiken zwischen Triumph und Scheitern gleichermaßen steht: Beide Fragestellungen – warum das Konzil (vor allem hinsichtlich seiner Akzeptanz) gescheitert sei, und warum das Konzil (beispielsweise hinsichtlich der Ökumenizität seiner Zusammensetzung und der erfolgten Unterzeichnung der Unionsbulle) erfolgreich war – verlangten zuallererst nach einer profunden Sichtung und Kenntnis des Quellenmaterials. Die heutige Zeit unterscheide sich diesbezüglich, so Erzbischof Job, von vorangegangenen Jahrhunderten darin, dass mit der historisch-kritischen Methode eine viel bessere Einordnung des zur Verfügung stehenden Quellenmaterials möglich sei. So könne berücksichtigt werden, in welcher Weise die Texte der jeweiligen lateinischen oder byzantinischen Autoren Narrative wiedergäben bzw. auch mitkonstituierten, bei deren Verständnis die jeweiligen politischen, wirtschaftlichen, theologischen und (wirkungs-)geschichtlichen Kontexte zu berücksichtigen seien.

Der Fokus auf die Rolle bzw. den Stellenwert des Konzils von Ferrara-Florenz in der heutigen ökumenischen Verständigung blieb in allen folgenden Arbeitseinheiten präsent. Die Teilnehmenden aus den Bereichen Geschichtswissenschaft und Theologie thematisierten in ihren Beiträgen Struktur und Selbstverständnis des Konzils, die Vorbereitungen der Konzilsteilnehmer und die pragmatisch-ökonomischen Rahmenbedingungen, die ein solches Großereignis überhaupt erst ermöglichten. So wurde in einem Beitrag die enorme wirtschaftliche Bedeutung der Familie Medici im damaligen Florenz verdeutlicht, deren finanzielles Engagement für das Konzil dessen Durchführung erst ermöglicht habe – wovon die Familie allerdings auch deutlich profitierte.

Die Rezeption der Union und ihre kanonischen, ekklesiologischen und praktischen Konsequenzen spielten in den weiteren Vorträgen ebenso eine Rolle wie die theologischen Konfliktpunkte, die sich neben der Einfügung des „filioque“ im Glaubensbekenntnis der lateinischen Kirche vor allem hinsichtlich des Verhältnisses von Primat des Bischofs von Rom und Synodalität in der Kirche ergaben. Diese Frage, die im damaligen Zeitalter des „Konziliarismus“ in der Westkirche hoch umstritten war, erhielt durch die Teilnahme der byzantinischen Teilnehmer am Konzil in Ferrara (zu dem der Papst eingeladen hatte) und nicht am „Gegenkonzil“ in Basel (zu dem die dort noch versammelten primatskritischen Bischöfe der Westkirche eingeladen hatten), eine primatsfreundliche Akzentuierung von Seiten der Ostkirche. „Wie würde man sich heute in den orthodoxen Kirchen entscheiden, wenn man angesichts der beiden Einladungen vor eine derartige Alternative gestellt wäre?“, fragte Erzbischof Job in seinem Beitrag nicht ohne Nachdenklichkeit. Interessante Einblicke in die Zeit der Vorbereitung und Durchführung des Zweiten Vatikanischen Konzils lieferte ein Beitrag, der die Referenzen zum Konzil von Ferrara-Florenz thematisierte, auf das die vatikanischen Konzilsväter aufgrund der kritischen Rezeption von Ferrara-Florenz in der byzantinischen Kirche nur sehr behutsam zurückgegriffen hätten.

Den Abschluss des Kolloquiums bildete ein Rundgang durch das historische Stadtzentrum von Florenz, bei dem die Teilnehmenden historische Stätten des Konzils besichtigen konnten, besonders die Kirche Santa Maria Novella, in der die Unionsbulle unterschrieben und die Union feierlich proklamiert worden war. Auch das Grabmal des während des Konzils verstorbenen Ökumenischen Patriarchen Joseph II., das sich bis zum heutigen Tag in einem Seitenschiff dieser Kirche befindet, konnten die Teilnehmenden besichtigen. Die Organisatorinnen der Tagung – Prof. Barbara Hallensleben (Fribourg) und Andrea Riedl (München-Wien) – hatten bewusst das Format eines Forschungskolloquiums gewählt, das sich als Initiative für eine weiterführende katholisch-orthodoxe Zusammenarbeit zum Konzil von Ferrara-Florenz versteht. Forschungsdesiderate und Veranstaltungsvorschläge wurden gesammelt, die Publikation der Beiträge ist angebahnt.