
Abu Dhabi, 15.06.19 (poi) Der frühchristliche Klosterkomplex auf der Insel Schir Bani Yas in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) wurde für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bisher konnte das Gelände des großen Klosters nicht betreten werden. Nach umfangreichen Arbeiten wurde der Klosterkomplex am 13. Juni in Anwesenheit des „Toleranz-Ministers“ der VAE, Scheich Nahyan bin Mubarak, offiziell eröffnet. In seiner Eröffnungsansprache sagte der Scheich laut Bericht der katholischen Nachrichtenagentur „Fides“: „Kirche und Kloster von Schir Bani Yas werfen ein Licht auf die kulturelle Geschichte unseres Landes, wir sind stolz auf sie“. Der auf das 7. Jahrhundert zurückgehende Klosterkomplex unterstand der Apostolischen Kirche des Ostens und dürfte an der Jahrtausendwende aufgegeben worden sein. „Die Existenz dieser historischen Stätte ist die Bestätigung dafür, dass in unserem Land die Toleranz und die Akzeptanz des anderen seit langer Zeit präsente Werte sind“, betonte der „Toleranz-Minister“.
Die Mönche von Schir Bani Yas gehörten zu jenem dichten Netz christlicher Gemeinden und klösterlicher Niederlassungen, das sich seit frühchristlicher Zeit östlich der Grenzen des Römischen Reiches bis hin nach China und Japan entwickelt hatte, betonte don Lorenzo Cappelletti, Professor an der Päpstlichen Universität Antonianum. Im Westen seien diese Gemeinschaften der Apostolischen Kirche des Ostens in oberflächlicher Weise oft als „Nestorianer“ bezeichnet worden. Zurückzuführen sei das auf die Tatsache, dass die Apostolische Kirche des Ostens zum Zeitpunkt des Konzils von Ephesos im Jahr 431, bei dem der damalige konstantinopolitanische Patriarch Nestorios verurteilt wurde, der antiochenischen theologischen Tradition treu bleiben wollte, aus der Nestorios hervorgegangen war, während sich beim Konzil in Ephesos die alexandrinische theologische Richtung durchsetzte.
Aber schon vor dem Konzil von Ephesos habe die Apostolische Kirche des Ostens aus politischen Gründen sich von der offiziellen Kirche des Römischen Reiches distanzieren wollen. Cappelletti verwies darauf, dass diese Kirche bereits ab dem 3. Jahrhundert ihren Mittelpunkt in der damaligen persischen Hauptstadt Seleukia-Ctesiphon (südlich vom heutigen Bagdad) hatte. Das Römische und das Persische Reich seien in der Antike die beiden verfeindeten Supermächte gewesen. Die Christen im sassanidischen Reich hätten danach getrachtet, jeden Verdacht einer Sympathie mit den „Römern“ zu zerstreuen, um Verfolgungen zu entgehen.
Auf Grund der jüngsten wissenschaftlichen Untersuchungen in Schir Bani Yas wird davon ausgegangen, dass das Kloster mindestens 200 Jahren aktiv war und auch nach dem Siegeszug des Islam auf der Arabischen Halbinsel noch lange Zeit eine gastliche Stätte für Händler, Reisende und Pilger darstellte. Der katholische Bischof Paul Hinder, der für Abu Dhabi zuständig ist und bei der Eröffnung der archäologischen Stätte anwesend war, verwies darauf, dass es relativ lange auch in diesem Teil Arabiens „gegenseitige Toleranz“ gegeben haben muss. Die Ruinen des Klosters wurden erst 1992 entdeckt. Im Lauf der nächsten Jahre wurden Grundmauern der Klosterkirche, des Refektoriums, des Dormitoriums sowie die Anlage eines Friedhofs entdeckt.