
Wien, 22.10.19 (poi) Am Wiener Erzbischöflichen Palais wird am 12. November eine Gedenktafel für den Einsatz von Kardinal-Erzbischof Theodor Innitzer zugunsten der Opfer des Hungermordes (Holodomor) in der Ukraine und anderen Teilen der damaligen Sowjetunion enthüllt. In der Einladung zum Festakt schreibt Kardinal Christoph Schönborn: „Der Appell zu einer Hilfeleistung, der im Herbst 1933 vom Erzbischöflichen Palais in Wien in die Welt hinausgegangen ist – unter anderem an den Völkerbund (die Vorgängerorganisation der Vereinten Nationen) – war einer der großen humanitären Akte des 20. Jahrhunderts, der die Rettung von Menschenleben, die Linderung des Leids und die Erhaltung der menschlichen Würde zum Ziel hatte. Der Appell von Kardinal Innitzer zusammen mit Repräsentanten der christlichen Kirchen und der Israelitischen Kultusgemeinde gab den Millionen schuldloser, vom Hungertod bedrohter und sterbender Menschen eine Stimme. Dieses starke Zeugnis der Solidarität in der Vergangenheit soll unsere Überzeugung in der Gegenwart bestärken, dass die gemeinsame Stimme das Schicksal von Millionen Menschen wenden kann“.
Der Festakt beginnt um 14:30 Uhr im „Club Stephansplatz 4“ mit Grußworten der Repräsentanten der christlichen Kirchen und der Israelitischen Kultusgemeinde. Der an der Universität Yale und am Wiener „Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ (IWM) lehrende Historiker Timothy D. Snyder (der sich in seinem Werk „Bloodlands“ mit der dramatischen Geschichte Osteuropas in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt hat) hält um 15:30 Uhr einen Vortrag zum Thema „A Forgotten Witness: Archbishop Innitzer and Suffering Ukraine“. Um 16:15 Uhr erfolgt die Enthüllung der Gedenktafel durch Kardinal Schönborn. Um 20:30 Uhr findet im Stephansdom ein Konzert ukrainischer Sakralmusik mit dem nationalen Knaben- und Männerchor der Ukraine „Dudaryk“ und der an der Wiener Staatsoper tätigen Mezzosopranistin Zoryana Kuschpler statt.
Die Hungerkatastrophe der Jahre 1932/33 in der Ukraine, in Südrussland und im nördlichen Kasachstan wurde vom stalinistischen Regime ausgelöst, als den „Kulaken“, den wohlhabenderen selbständigen Bauern der Kampf angesagt wurde, um sie zum Eintritt in die Kolchosen und Sowchosen zu zwingen. Nach Schätzungen kamen mindestens fünf Millionen Menschen ums Leben. Der damalige Wiener Erzbischof, Kardinal Theodor Innitzer, rief eine internationale und interkonfessionelle Hilfsaktion für die Hungeropfer in der Sowjetunion ins Leben. Der Kardinal stützte sich in seinem Appell auf Augenzeugenberichte, die u.a. der damalige griechisch-katholische Metropolit von Lemberg (Lwiw), Andreas Scheptytzkyj, gesammelt hatte. Lemberg gehörte damals zu Polen, aber der Metropolit hatte gute Verbindungen über die Grenze in die Sowjetukraine.
Am 16. Oktober 1933 versammelten sich Repräsentanten der katholischen, der orthodoxen und der evangelischen Kirche sowie der Israelitischen Kultusgemeinde auf Einladung Kardinal Innitzers im Erzbischöflichen Palais. In seiner Ansprache sagte der Kardinal, es sei die Mission Wiens, „wo Angehörige aller Konfessionen und Nationalitäten zusammenleben, entsprechend seiner uralten Funktion als Mittler zwischen West und Ost aufklärend zu wirken und die Weltöffentlichkeit zu einer Hilfeleistung für die vom Hunger bedrohten Mitmenschen in Russland einträchtig aufzurufen“. Am 16./17. Dezember 1933 fand dann – wieder auf Einladung Kardinal Innitzers – im Wiener Erzbischöflichen Palais eine internationale Konferenz der Vertreter aller Organisationen statt, die an der Hilfeleistung für die in der Sowjetunion verhungernden Menschen beteiligt waren. In seiner Eröffnungsansprache erklärte der Kardinal, dass es der Zweck der Konferenz sei, das Weltgewissen gegenüber dem Hungersterben in der Sowjetunion aufzurütteln.
In der Einladung zur Enthüllung der Gedenktafel wird aus einem Aufruf Kardinal Innitzers zitiert, der in der Tageszeitung „Reichspost“ am 20. August 1933 erschienen war: „Im Interesse der ewig gültigen Gesetze der Menschlichkeit und der Nächstenliebe erhebt der Unterzeichnete seine Stimme und appelliert an alle, insbesondere an jene Organisationen und Kreise der Welt, deren Arbeit im Dienste der Humanität und Gerechtigkeit steht, damit sie, ehe es zu spät wird, in wirkungsvoller Weise auf übernationaler und interkonfessioneller Grundlage ein allgemeines Hilfswerk für die in Russland (Sowjetunion) vom Hungertode bedrohten Menschen in die Wege leiten. Keine Ableugnungsversuche können die Tatsache widerlegen, dass hunderttausende, ja Millionen von Menschen in den letzten Monaten in Sowjetrussland am Hunger zugrunde gegangen sind“.