Istanbul: Nuntius besuchte den neuen Bürgermeister Imamoglu

Bei der Begegnung ging es auch um den Bau der neuen syrisch-orthodoxen Kirche in Yesilköy (dem einstigen Santo Stefano) – Staatspräsident Erdogan bezeichnete bei der Grundsteinlegung die Kirche als „neuen Reichtum“ für Istanbul – „Jeder, der Zuneigung und Loyalität zur Türkei hat, ist ein Bürger erster Klasse“

0
474
Foto: © VOA (Quelle: Wikimedia; Lizenz: public domain/ public domain in the United States )

Istanbul, 10.08.19 (poi) Der Apostolische Nuntius in der Türkei, Erzbischof Paul Fitzpatrick Russell, ist mit dem neugewählten Bürgermeister der „Megalopolis“ am Bosporus, Ekrem Imamoglu, zusammengetroffen. Der Nuntius überbrachte die Grüße von Papst Franziskus, der Istanbul besonders schätzt. Imamoglu betonte seinerseits den Beitrag der Religionsgemeinschaften. Der Bürgermeister machte klar, dass er – wie mittlerweile viele Politiker im nahöstlichen Raum – das auf bestimmte religiöse oder ethnische Gruppen abgestimmte Konzept der „Minderheit“ ablehne. Bei der Begegnung wurde auch über den Bau der neuen syrisch-orthodoxen Kirche in Yesilköy (dem einstigen Santo Stefano) gesprochen. Am 3. August hatte Staatspräsident Recep T. Erdogan – in Anwesenheit des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I., des syrisch-orthodoxen Metropoliten Mor Philoxenos Yusuf Cetin und von Nuntius Russell – den Grundstein der Kirche gelegt. Es handelt sich um den ersten Kirchenneubau in Istanbul seit der Proklamation der Republik 1923.

Der Kirchenneubau ist durch das starke Wachstum der syrisch-orthodoxen Gemeinde in Istanbul infolge der Fluchtbewegung aus Syrien und dem Irak bedingt. Die Zahl der syrisch-orthodoxen Christen in der Bosporus-Metropole wird mittlerweile auf 20.000 geschätzt. Erdogan sagte bei der Grundsteinlegung der Mor Efrem-Kirche, dass die Türkei mehr als drei Millionen Flüchtlinge vor allem muslimischer, christlich-orthodoxer und jesidischer Konfession aus Syrien und dem Irak aufgenommen habe. Aber es habe niemals „Raum für Diskriminierung gegen die Flüchtlinge“ gegeben und es werde das auch in Zukunft nicht geben. Die Türkei könne auf eine jahrhundertelange Tradition der Aufnahme der Unterdrückten, etwa aus Spanien oder Nordafrika, verweisen. Die neue syrisch-orthodoxe Kirche werde ein „neuer Reichtum“ für die große Stadt sein. Der türkische Präsident, dessen Familie selbst aus dem Tal von Hemshin stammt, betonte, dass es eine „Pflicht der Republik“ sei, für die religiösen Bedürfnisse der Christen syrischer Tradition zu sorgen. Wörtlich sagte Erdogan: „Wir gebieten über diese Region seit fast 1.000 Jahren und über Istanbul seit 566 Jahren. In dieser langen Geschichte ist die Region immer ein Zentrum der religiösen, ethnischen und kulturellen Diversität gewesen“. Die Leiden der letzten 150 Jahre hätten viele Schwierigkeiten und ein großes Maß an Zerstörung mit sich gebracht, aber es habe nie „das leiseste Abgehen vom Willen zur Koexistenz“ gegeben. „Für uns ist jeder, der Zuneigung und Loyalität zur Türkei hat, ein Bürger erster Klasse“, sagte der türkische Präsident wörtlich.

Die Bauzeit der neuen Kirche wird auf zwei Jahre eingeschätzt. Bisher konnten die syrisch-orthodoxen Christen in Istanbul nur in der im Bezirk Beyoglu gelegenen, ursprünglich armenischen Surp-Azdvadzadzin-Kirche Gottesdienst feiern, die für den Zustrom der Kirchgänger zu klein ist. Mor Philoxenos, der über hervorragende Beziehungen in Regierungskreise in Ankara verfügt, sagte bei der Grundsteinlegung in Yesilköy, es gebe in der Türkei „verschiedene Religionen und ethnische Wurzeln“, aber alle seien stolz, „unter der türkischen Flagge zu leben“. Der Metropolit stammt aus dem Städtchen Kerburan in der Provinz Mardin. Vor 1915 bestand die Stadtbevölkerung aus je einem Drittel Kurden, Christen syrischer Tradition und Armeniern. Nach der Ermordung des Bürgermeisters Andreas Demir Lahdik Ende der 1970er-Jahre flohen die meisten Christen aus dem Städtchen.

Der Bau der Mor Efrem-Kirche in Yesilköy hätte (laut Ankündigung des damaligen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu bei einer Begegnung mit Repräsentanten der Kirchen im Dolmabahce-Palast) bereits 2015 beginnen sollen, aber dann gab es Schwierigkeiten mit dem Baugrund. Denn dieser – ein Friedhof mit einer kleinen Kirche – hatte ursprünglich einer anderen christlichen Konfession gehört, der römisch-katholischen (vor allem italienischsprachigen) Gemeinde von Santo Stefano. Die letzten Begräbnisse auf dem Friedhof in Santo Stefano fanden 1950 statt, dann wurde das Gelände vom türkischen Staat beschlagnahmt. Als das türkische Schatzamt den Grund 2015 an die syrisch-orthodoxe Kirche übereignete, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Syrisch-Orthodoxen und den Römisch-Katholischen. Es bedurfte des Eingreifens von Papst Franziskus, der 2017 den Bau einer syrisch-orthodoxen Kirche auf dem einst katholischen Kirchengelände sanktionierte.

Sait Susin, der Vorsitzende der syrisch-orthodoxen „Jungfrau Maria-Stiftung“, die für den Kirchenneubau in Yesilköy zuständig ist, teilte im Gespräch mit „Al Monitor“ mit, das die Gräber des katholischen Friedhofs erhalten bleiben werden. Auch die ganz verfallene kleine katholische Kirche werde renoviert und der katholischen Gemeinde übergeben werden. Susin äußerte sich lobend über die Stadtverwaltung von Istanbul unter der früheren AKP-Gestion, die sich bei dem diffizilen Prozess der Erteilung der Baugenehmigungen für die Mor Efrem-Kirche als sehr hilfreich erwiesen habe.

Bereits am 8. Jänner hatte der zuständige Bezirksbürgermeister von Bakirköy, Bülent Kerimoglu, nach einer Begegnung mit Mor Philoxenos öffentlich angekündigt, die Bauarbeiten zur Errichtung der Mor Efrem-Kirche würden im Februar beginnen. Offensichtlich gab es dann weitere Schwierigkeiten.

Dass die neue syrisch-orthodoxe Kirche in Yesilköy errichtet wird, hat manche historische Spekulationen ausgelöst. Santo Stefano (das 1926 wie unzählige andere Orte in der Türkei einen amtlich verordneten „türkischen“ Namen erhielt, das benachbarte Florya durfte seinen absolut nicht türkischen Namen bis heute behalten) hat eine große Geschichte. 1203 landete in dem Ort am Marmara-Meer die lateinische Kreuzfahrer-Armee, die ein Jahr später Konstantinopel erobern sollte. Während des Krim-Kriegs waren französische Truppen in Santo Stefano stationiert, am Ende des russisch-türkischen Kriegs von 1877/78 stoppten die Truppen des Zaren in dem Ort, weil sie nicht in die Kaiserstadt einmarschieren wollten. In Santo Stefano wurde dann auch der Friedensvertrag zwischen St. Petersburg und Konstantinopel unterzeichnet, der kurz darauf durch die Einmischung der „Mächte“ – Großbritannien, Frankreich, Deutsches Reich, Österreich-Ungarn – wieder obsolet wurde. 1909 fasste der Zentralausschuss des jungtürkischen „Komitees für Einheit und Fortschritt“ (Ittihad ve Terakki) in Santo Stefano den Beschluss, Sultan Abdulhamid II. ins Exil zu schicken.

Im 19. Jahrhundert gehörte Santo Stefano der einflussreichen armenischen Industriellen-Familie Dadian, deren Mitglieder am Hof des Sultans ein und aus gingen. Ein Dadian schenkte dann auch der örtlichen römisch-katholischen Gemeinde das Friedhofsgelände (wo u.a. der aus Malta stammende Graf Amedeo Preziosi beigesetzt ist, einer der emsigsten Maler Konstantinopels im 19. Jahrhundert). An der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert war Santo Stefano als Badeort eine Top-Destination der osmanisch-griechisch-armenisch-levantinischen „Upper Class“ von Konstantinopel. Aus dieser Zeit stammen die zahlreichen Miethäuser und Villen des Orts, die mehr dem italienischen „Stilo floreale“ als dem Wiener „Jugendstil“ entsprechen. In Erinnerung an diesen kosmopolitischen Charakter gibt es in Santo Stefano auch heute etliche armenische und griechische Kirchen.