Konstantinopel löst Exarchat für Gemeinden russisch-orthodoxer Tradition in Europa auf

Erzbischof Jean (Renneteau) wurde „überrascht“ – Die Gemeinden russisch-orthodoxer Tradition hatten wesentlichen Anteil an der theologischen Renaissance der Orthodoxie im 20. Jahrhundert

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Foto: © GenuineMongol (Quelle: Wikimedia; Lizenz: public domain)

Paris-Konstantinopel, 30.11.18 (poi) Die innerorthodoxe Auseinandersetzung zwischen Konstantinopel und Moskau hat an einer Nebenfront ein prominentes Opfer gefordert: Der Heilige Synod von Konstantinopel hat bei seiner am Donnerstag beendeten Sitzung beschlossen, die Erzeparchie für die Gemeinden russisch-orthodoxer Tradition in Europa aufzulösen. Der entsprechende Tomos von 1999 über die Beauftragung eines Erzbischof-Exarchen für diese Gemeinden  – zuletzt Bischof Jean (Renneteau) – wurde zurückgezogen. Entscheidend dafür seien die „pastoralen und spirituellen Notwendigkeiten der Gegenwart“ gewesen – „unter Respektierung des Kirchenrechts und der spirituellen Verantwortung“.

In der Erklärung des konstantinopolitanischen Synods wird auf die historische Entwicklung Bezug genommen. Die Umstände, die zur Gründung der Erzeparchie nach der Oktoberrevolution geführt hätten, seien andere geworden. Die Gemeinden hätten sich unermüdlich um die Bewahrung der „reichen spirituellen Tradition Russlands“ nach der „blutigen Verfolgung durch das neue atheistische Regime“ bemüht. Die Mutterkirche von Konstantinopel habe diesen Gemeinden kirchenrechtlichen Schutz gewährt und ihnen so eine Freiheit gewährt, die „dem Leben im Heiligen Geist“ gleichkommt.

Die jetzige Entscheidung ziele darauf ab, die Verbindung der Pfarrgemeinden russischer Tradition mit der Mutterkirche von Konstantinopel zu stärken. Alle diese Gemeinden hätten unter dem Druck der dramatischen Geschichte von Verfolgung und Exil ein spirituelles Erbe aufgebaut und an der theologischen Renaissance der Orthodoxie im 20. Jahrhundert teilgenommen. Durch theologische, philosophische, künstlerische Persönlichkeiten der russischen Diaspora habe der orthodoxe Glaube in Westeuropa und darüber hinaus ausgestrahlt.

Nur aus „pastoraler Sorge“ habe Konstantinopel  entschieden, die Pfarrgemeinden russischer Tradition den örtlichen Eparchien des Ökumenischen Patriarchats einzugliedern. Abschließend heißt es in der Erklärung wörtlich: „Wir bitten den Herrn, dass ihr dem Ökumenischen Patriarchat treu bleibt, so wie die Mutterkirche von Konstantinopel euch zugewandt ist. Wir hoffen, dass ihr weiterhin Zeugen des orthodoxen Glaubens in Westeuropa durch die Erfüllung der Prinzipien des Evangeliums sein werdet“. Eine Abschlusszeile wird auch dem bisherigen Erzbischof-Exarchen Jean (Renneteau) gewidmet, der die Gemeinden russischer Tradition bis zu „diesem neuen Abschnitt ihrer Geschichte“ in „Liebe und Loyalität“ begleitet habe.

Bereits am Mittwoch hatte die Verwaltung der Erzeparchie für die Gemeinden russisch-orthodoxer Tradition in Europa Mediengerüchte bestätigt, dass das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel die Struktur auflösen wolle. In der Mitteilung hieß es zugleich, Erzbischof Jean (Renneteau) sei „überrascht“ gewesen, als ihm der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. persönlich diese Entscheidung mittteilte. In der Mitteilung wurde unterstrichen, dass es seitens der Erzeparchie keinerlei Bestrebungen zur Auflösung gegeben habe. Auch Erzbischof Jean (Renneteau) sei nicht vorab konsultiert worden. Der Erzbischof sei bei seinem Arbeitsbesuch im Phanar, wo er mit der zuständigen Synodalkommission über aktuelle Fragen sprechen wollte, über die Entscheidung informiert worden. Der Erzbischof habe daraufhin an Klerus und Gläubige appelliert, „ruhig zu bleiben und im Gebet zu verharren“.

In der „Blogosphäre“ war der Auflösungsbeschluss in Konstantinopel mit der Entscheidung der Florentiner Pfarrgemeinde Geburt Christi in Verbindung gebracht worden, die wegen der Auseinandersetzungen um die Ukraine von der Jurisdiktion der von Erzbischof Jean (Renneteau) geleiteten Erzeparchie in die der russischen Auslandskirche (ROCOR) wechselte. Konstantinopel habe mit der Auflösung der Erzeparchie eine befürchtete „Fluchtbewegung“ in Richtung ROCOR oder Moskauer Patriarchat einbremsen wollen.

Tatsächlich hat der stellvertretende Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats, Erzpriester Nikolaj Balaschow, am Mittwoch – nach Bekanntwerden des konstantinopolitanischen Beschlusses – daran erinnert, dass der damalige Moskauer Patriarch Aleksij II. vor 15 Jahren – im Frühling 2003 – an Bischöfe und Pfarrgemeinden russischer Tradition in Westeuropa appelliert hatte, sich im Rahmen einer selbständigen Metropolie wieder mit der russisch-orthodoxen Kirche zu vereinen.  Es sei Zeit, diese Einladung wieder zu hören, so Balaschow.

Der stellvertretende Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats betonte zugleich, man dürfe nicht „überrascht“ sein. Im Fall der Ukraine seien weder Bischöfe noch Klerus, Mönche oder gläubige Laien gefragt worden, ob sie nach 300 Jahren unter die Jurisdiktion Konstantinopels zurückkehren wollen. Auch das Pariser Exarchat sei ohne jede Befragung von Bischof, Klerus, Laien abgeschafft worden. Die Tinte auf dem Tomos aus Konstantinopel von 1999 sei „praktisch noch nicht trocken“ gewesen, trotzdem habe man ihn abgeschafft.

Das Pariser Exarchat geht auf die Fluchtbewegung aus Sowjetrussland ab 1918 zurück.  1921 ernannte der Moskauer Patriarch Tichon den in Paris residierenden Metropoliten Jewlogij (Georgijewskij; 1868-1946) zu seinem Repräsentanten in Westeuropa. 1927 untersagte der im jugoslawischen Sremski Karlovci residierende Heilige Synod der russischen Kirche im Ausland dem Metropoliten die Ausübung seiner bischöflichen Rechte. Daraufhin kam es zu einer Spaltung in der russischen Emigration. 1931 unterstellte sich der Metropolit „zeitweise“ – um dem Druck der sowjetischen Politik zu entgehen – dem Omophorion des Ökumenischen Patriarchen. Ein Jahr vor seinem Tod kehrte er in die Jurisdiktion der russisch-orthodoxen Kirche zurück. Die meisten Priester und Gläubigen blieben aber unter Konstantinopel. Das Exarchat umfasst derzeit 65 Pfarrgemeinden, zwei Klöster und sieben Sketes. 100 Priester und 30n Diakone sind in der Seelsorge tätig.