Metropolit Hilarion erneuerte vor Papst Franziskus Wunsch nach kirchlicher Zusammenarbeit

Der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats hatte zuvor in London einen vielbeachteten Vortrag über die „Christliche Zukunft Europas“ gehalten – Russischer Metropolit überbrachte in Rom auch die Glückwünsche seines Patriarchen zum 90. Geburtstag des emeritierten Papstes Benedikt XVI.

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Foto ©: Osservatore Romano

Vatikanstadt-London, 26.09.17 (poi) Papst Franziskus hat am Dienstag in der Casa Santa Marta den Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion (Alfejew), empfangen. Im Mittelpunkt des Gesprächs standen die von der geistigen und gesellschaftlichen Entwicklung in Europa ausgelösten Herausforderungen für die christlichen Kirchen. Der Metropolit hatte am Freitag in London bei einem internationalen Symposion über die „Christliche Zukunft Europas“ betont, er sei zutiefst überzeugt, dass „ein Europa, das Christus verleugnet, nicht imstande sein wird, seine kulturelle und spirituelle Identität zu bewahren“. Auf diesem Hintergrund plädierte der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats neuerlich für Zusammenarbeit der Kirchen. Zugleich bedankte sich Metropolit Hilarion im Auftrag von Patriarch Kyrill I. dafür, dass Papst Franziskus die „Pilgerfahrt“ von Reliquien des Heiligen Nikolaus nach Russland ermöglicht hatte.

Metropolit Hilarion hatte seinen Arbeitsbesuch in Rom – von London kommend – am Sonntag begonnen. Am Montag, 25. September, besuchte er den emeritierten Papst Benedikt XVI. und überbrachte diesem die Wünsche von Patriarch Kyrill zum 90. Geburtstag. Der Metropolit informierte Benedikt XVI. über die Entwicklung der Beziehungen zwischen der russisch-orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche und über die „Renaissance“ des kirchlichen Lebens in Russland und den anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion nach den Jahrzehnten der kommunistischen Kirchenverfolgung. Außerdem übergab Metropolit Hilarion dem emeritierten Papst ein Exemplar der vom Verlag des Moskauer Patriarchats herausgebrachten russischen Ausgabe des Werkes von Benedikt XVI. „Die Theologie der Liturgie“.

In London hatte Metropolit Hilarion beim Symposion über die „Christliche Zukunft Europas“ – das in der russischen Botschaft stattfand – auf die dramatischen Veränderungen der religiösen Landschaft Europas verwiesen. Er zitierte eine 2016 durchgeführte Umfrage des britischen „National Centre for Social Research“, bei der 53 Prozent der 2.942 Befragten zu Protokoll gaben, keiner religiösen Konfession anzugehören. Bei den 18- bis 25-jährigen seien es sogar 71 Prozent gewesen. In osteuropäischen Ländern wie Russland gebe es eine gegenteilige Tendenz: So sei bei einer „Levada“-Umfrage im Juli in Russland der Anteil der Atheisten und Nichtglaubenden auf 13 Prozent gesunken, was freilich nicht bedeute, dass 87 Prozent praktizierende Gläubige seien, wie der Metropolit anmerkte. Aber viele von ihnen fühlten sich mit einer der großen Religionsgemeinschaften verbunden.

Als alarmierend bezeichnete der russische Metropolit auch wissenschaftliche Untersuchungen, die einen deutlichen Rückgang der Zahl der Christen in Europa prognostizieren. U.a. verwies er auf eine Studie des US-amerikanischen „Gordon-Cornwell Theological College“, die davon ausgeht, dass die Zahl der Christen in Europa von 560 Millionen im Jahr 2015 auf 501 Millionen im Jahr 2050 zurückgehen wird.

Parallelen zur russischen Geschichte

Metropolit Hilarion zog Parallelen zu den tragischen Ereignissen der russischen Geschichte im 20. Jahrhundert. Niemand in Russland habe sich vor 1917 vorstellen können, dass das christlich geprägte Russische Reich durch ein atheistisches totalitäres Regime ersetzt werden würde. Die historische Katastrophe der Oktoberrevolution von 1917 habe zu einem brudermörderischen Bürgerkrieg, Terror, dem Exodus der besten Repräsentanten der Nation in die Emigration und zur Vernichtung ganzer gesellschaftlicher Gruppen, der Aristokratie, der Kosaken, des Klerus und der Kulaken (der selbständigen Bauern) geführt. Die Revolution und die nachfolgenden Ereignisse hätten tiefe sowohl spirituelle als auch gesellschaftliche und politische Ursachen gehabt, so der Metropolit. Denn vor 1917 hätten die führenden Gesellschaftsschichten und die „Intelligentsia“ Jahrzehnte hindurch den Glauben aufgegeben, viele Menschen seien ihnen darin gefolgt.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg habe Europa ein ganz anderes Bild geboten, erinnerte der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats. Damals habe das Christentum im beginnenden Prozess der europäischen Einigung eine wesentliche Rolle gespielt. Man sei überzeugt gewesen, dass die westliche Kultur eng mit christlichen Werten verbunden ist, die es gegen die kommunistische Bedrohung zu verteidigen gelte. Die Architekten der Europäischen Union – Robert Schuman, Konrad Adenauer, Alcide De Gasperi – seien zutiefst religiöse Menschen gewesen. Auch der erste deutsche Bundespräsident Theodor Heuss habe das Bild von den drei Hügeln geprägt, auf denen Europa errichtet sei: Die Akropolis (für Freiheit, Philosophie und Demokratie), das Kapitol (für das Recht) und Golgotha (für das Christentum).

Auf diesem Hintergrund habe man erwarten könne, dass 50 Jahre später in die Verfassung der Europäischen Union die Rolle des Christentums als eines der grundlegenden europäischen Werte festgeschrieben würde. Das aber sei nicht geschehen, bedauerte Metropolit Hilarion. Heute werde Europa vom „Monopol des Säkularismus“ beherrscht. Ein Merkmal dieser Situation sei die Vertreibung der religiösen Weltanschauung aus dem öffentlichen Diskurs. Freilich könne sich in Europa jeder formal zu einer Religion bekennen, aber wenn er versuche, seine Handlungen durch religiösen Glauben und Gewissensfreiheit zu motivieren und womöglich andere ermutige, in Übereinstimmung mit ihrem Glauben zu handeln, dann werde er bestenfalls zensuriert, schlimmstenfalls müsse er mit gerichtlicher Verfolgung rechnen. Zum Beispiel habe ein evangelischer Pastor in einem Land, in dem gleichgeschlechtliche Verbindungen legal sind, wenig Chancen, solchen Paaren ungestraft eine kirchliche Trauung zu verweigern. In diesem Zusammenhang zitierte der Metropolit den schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven, der gemeint habe, jeder Pfarrer der (evangelisch-lutherischen) Kirche von Schweden müsse „verpflichtet“ sein, kirchliche Trauungen für gleichgeschlechtliche Paare zu halten ebenso wie Hebammen sich nicht weigern dürften, Abtreibungen vorzunehmen. Solche Politiker seien das genaue Gegenteil der Gründergestalten der Europäischen Union, stellte Metropolit Hilarion fest. Nach seiner Auffassung sei die Rhetorik, wie sie etwa Löfven angewendet habe, „selbstmörderisch für den Kontinent Europa“.

„Schulter an Schulter“

Wenn Christen auf ihrem Recht zur Beteiligung in Fragen der Öffentlichkeit bestehen, werde oft mit „Hassrede“ geantwortet, bedauerte der Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats. Aber die Christen hätten ebenso das Recht, zu Wort zu kommen, wie Atheisten oder Agnostiker. Im modernen Europa habe sich der militante Säkularismus in eine autonome Macht verwandelt, „die keinen Dissens toleriert“. Gut organisierte Minderheitengruppen könnten auf diese Weise – „unter dem Vorwand der Respektierung der Menschenrechte“ – der Mehrheit erfolgreich ihren Willen aufdrängen. Es gehe dabei nicht um isolierte Einzelfälle, sondern um ein Wertesystem, das mittlerweile vom Staat und supranationalen Institutionen wie der EU unterstützt werde. In einer Situation, „die vom aggressiven Druck jener Gruppen gekennzeichnet ist, die für die christliche Moral inakzeptable Ideen propagieren“, sei es von entscheidender Bedeutung, dass die Kirchen ihre Anstrengungen vereinen, gemeinsam in den Medien und in der juridischen Auseinandersetzung mit den negativen Tendenzen auftreten und die gemeinsamen christlichen Werte auf allen Ebenen verkünden, unterstrich der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats. Es sei wichtig, dass die Kirchen ihre Erfahrungen austauschen und Modelle der Zusammenarbeit der kirchlichen Menschenrechtsorganisationen entwickeln.

Abschließend sagte Metropolit Hilarion wörtlich: „Ich glaube, dass es wichtig ist, wenn die Christen Europas Schulter an Schulter zusammenstehen, um jene Werte zu verteidigen, auf denen das Leben des Kontinents Jahrhunderte hindurch aufgebaut war. Zugleich sollten sie die Bedrängnisse der Christen in aller Welt als ihre eigenen betrachten“. Ko-Referent des Metropoliten bei der Veranstaltung in der russischen Botschaft war der anglikanische Bischof Jonathan Goodall, der zur anglokatholischen Strömung zählt. Unter den anwesenden Diplomaten, Wissenschaftlern und Kirchenleuten waren u.a. der Apostolische Nuntius in London, Erzbischof Edward Joseph Adams, die beiden in Großbritannien wirkenden Metropoliten des Ökumenischen Patriarchats, Gregorios (Hadjifotis) und Kallistos (Ware), und der für Großbritannien zuständige koptische Generalbischof Angaelos.