Moskauer Patriarch Kyrill übt scharfe Kritik an den Vorgängen in Kiew

„Alles, was man jetzt in den Medien sieht und liest, bezeugt eine beispiellose Einmischung des ukrainischen Staates in kirchliche Angelegenheiten“

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Foto: © (Quelle: Wikimedia; Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported)

Moskau, 08.12.18 (poi) Scharfe Kritik an den Vorgängen in Kiew hat der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. im Moskauer Danielskloster bei der 20-Jahr-Feier des Russischen Interreligiösen Rates geübt. Wörtlich sagte er vor der Festversammlung der Oberhäupter der Religionsgemeinschaften Russlands: „Alles, was man jetzt im Fernsehen und in der Presse sieht,  bezeugt eine beispiellose Einmischung des ukrainischen Staates – eines Staates, der seine europäische Ausrichtung betont – in kirchliche Angelegenheiten. In der europäischen Kultur hat aber die Idee eines säkularen Staates eine außerordentlich große Bedeutung. In Europa gibt es keine religiöse Staaten, es gibt nur säkulare Staaten. Nichts von dem, was Herr Poroschenko heute tut, ist vom Gesetz erlaubt“.

Vor den im Danielskloster versammelten Delegierten der Religionsgemeinschaften berichtete der Patriarch, dass er wenige Stunden zuvor mit dem Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes, Peter Maurer, zusammengetroffen sei, wobei es am Rande auch um die Ukraine ging: „Ich habe ihm gesagt: Können Sie sich vorstellen, dass Putin ein Bischofskonzil für 15. Dezember einberuft und sagt: Diese Kirche gefällt uns und jene nicht? Was für eine Aufregung würde in der Welt herrschen? Man würde die Verteidiger der Menschenrechte hören, was für eine starke Welle der Kritik gäbe es. Aber Poroschenko, der die Verfassung seines Landes verletzt, wird von niemandem kritisiert!  Er verletzt die Verfassung, er greift in religiöse Probleme ein, er versucht, die Kirche und religiöse Prozesse zu dirigieren. Das ist absolut unannehmbar. Und während er all das tut, redet er über die Entscheidung für Europa“. Es gehe aber nicht um die Entscheidung für Europa, sondern um selbstsüchtige Ziele, vor allem darum, an der Macht zu bleiben, stellte Patriarch Kyrill fest. Was mit der Ukraine und ihrem Volk durch die derzeitigen ukrainischen Machthaber geschehen könne, vermöge heute niemand vorauszusagen.

 

Wie weit geht die geplante Autokephalie?

Inzwischen ist es in Kiew auch zu einer Auseinandersetzung über die Natur der Autokephalie der geplanten neuen orthodoxen Kirche der Ukraine gekommen. Präsidenberater Rostislaw Pawlenko – der bei der jüngsten Tagung des Heiligen Synods von Konstantinopel im Phanar anwesend war – wies Vermutungen zurück, diese Autokephalie werde nur eine „partielle Unabhängigkeit“ sein.  Bei diesen Vermutungen handle es sich um „Mythen“. Natürlich sei das Ökumenische Patriarchat die oberste Appellationsinstanz bei Konflikten, die auf der Ebene der Partikularkirche nicht gelöst werden können. Die Ausübung dieses Vorrechts Konstantinopels habe Millionen von orthodoxen Ukrainern die Rückkehr in die „panorthodoxe Gemeinschaft“ ermöglicht, sagte Pawlenko unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Heiligen Synods von Konstantinopel vom 11. Oktober, mit der die von Moskau verhängte Laisierung und Exkommunikation der beiden schismatischen Bischöfe Filaret (Denisenko) und Makarij (Maletytsch) aufgehoben wurde.

Zur Frage, welchen Titel das Oberhaupt der neuen ukrainischen Kirche tragen solle, antwortete Pawlenko, das Wichtigste sei die Schaffung einer unabhängigen Kirche (die Anhänger von Filaret Denisenko bestehen auf dem Patriarchentitel). Derzeit gebe es 14 autokephale orthodoxe Kirchen, die meisten würden von Patriarchen geleitet, einige aber auch von Erzbischöfen oder Metropoliten. Beim „Vereinigungskonzil“ am 15. Dezember würden alle teilnehmenden Bischöfe gleich behandelt werden, egal aus welcher Jurisdiktion sie kommen, fügte der Präsidentenberater hinzu.

Die ukrainische Online-Publikation „Westi“ hatte am vergangenen Dienstag berichtet, der vom Heiligen Synod in Konstantinopel ausgearbeitete Statutenentwurf für die neue ukrainische Kirche sehe keine umfassende Autokephalie vor. Die neue Kirche werde vielmehr als Metropolie vollkommen vom Patriarchat in Konstantinopel abhängig sein. Das Oberhaupt der Kirche werde daher auch „nur“ den Titel Metropolit tragen. Der Kontakt zur orthodoxen Welt werde über das Patriarchat von Konstantinopel erfolgen (so wie jetzt der Kontakt der von Metropolit Onufrij geleiteten ukrainisch-orthodoxen Kirche zur orthodoxen Welt über das Moskauer Patriarchat geschehe).

Der Statutenentwurf sehe außerdem vor, dass die Bischofsversammlung der neuen Kirche in allen wichtigen Fragen den Phanar konsultieren muss. Entscheidungen Konstantinopels müssten nicht begründet werden.

Von hoher symbolischer Bedeutung sei auch die vorgesehene Bestimmung, wonach die neue ukrainische Kirche den Chrisam (das heilige Salböl für die Sakramentenspendung) ausschließlich aus Konstantinopel erhalten werde, womit zum Ausdruck gebracht werde, dass die Kiewer Kirche nicht vollkommen selbständig ist. Ebenso werde die neue Kirche nicht in Eigenregie Heiligsprechungen durchführen können; sie könne nur Vorschläge machen, die vom Heiligen Synod in Konstantinopel zu beraten sind.