Orthodoxer Kirchenstreit: Schönborn in großer Sorge

Kardinal sagte in "Kathpress"-Interview, dass er angesichts der „tiefen Wunden“ durch die jüngste Entwicklung geweint habe – Auch schwierige Situation für die Ökumene

0
430
Foto: © BambooBeast (Quelle: Wikimedia; Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported)

Wien, 22.12. 18 (poi) Als „tragisch“ hat Kardinal Christoph Schönborn die Auseinandersetzungen um die orthodoxe Kirche in der Ukraine bezeichnet. Zum einen verstehe er, dass es gemäß dem orthodoxen Kirchenverständnis bei der politischen Unabhängigkeit eines Staates auch eine eigenständige orthodoxe Landeskirche geben könne. Darauf gebe es einen Anspruch und darauf würden sich in der Ukraine auch viele Orthodoxe berufen. Zum anderen wisse er freilich auch um die engen Verbindungen zwischen Russland und der Ukraine und um die große Bedeutung, die die Ukraine für die russisch-orthodoxe Kirche habe und welch „tiefe Wunde“ damit in diese Kirche gerissen wird. Schönborn äußerte sich im Weihnachtsinterview mit der katholischen Nachrichtenagentur „Kathpress“ und den Medien der Erzdiözese Wien.

Die Entscheidung von Patriarch Bartholomaios I., der orthodoxen Kirche in der Ukraine die Autokephalie zu verleihen, sei kirchenrechtlich in Ordnung, unterstrich Schönborn. Er stellte zugleich aber wörtlich fest: „Nicht, dass ich es der Ukraine nicht gönnen würde, aber ich empfinde es als tragisch, denn es reißt tiefe Wunden in die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ukraine und Russland. Und deshalb war meine erste Reaktion so, dass ich bei dieser Nachricht geweint habe“.

Die Ukraine war nicht nur die Kornkammer Russlands sondern auch der „Saatboden für das kirchliche Leben“ der russischen Kirche, erinnerte der Kardinal. Sehr viele russisch-orthodoxe Pfarren würden sich in der Ukraine befinden, und auch viele bedeutende Bischöfe stammten aus der Ukraine. Kiew sei der Geburtsort der russischen Orthodoxie. Schönborn: „Mit der Ukraine würde die russisch-orthodoxe Kirche ein Kernland verlieren“. Die traditionelle enge Verbindung zwischen Russland und der Ukraine zeige sich nicht zuletzt auch daran, dass vor allem in der Ostukraine die meisten Menschen Russisch als Muttersprache hätten.

Kritisch äußerte sich der Wiener Erzbischof zur Politik des Westens: Der Westen habe die Ukraine zwar zur Unabhängigkeit ermutigt, zugleich aber nicht in gleicher Weise zur Bewahrung der Verbundenheit mit Russland gedrängt. Das westliche Konzept einer „Ukraine als Bollwerk gegen Russland“ müsse von Russland psychologisch und politisch als Aggression gedeutet werden. Aufgabe der Ukraine müsste es seiner Meinung nach vielmehr sein, als „Brücke zwischen Russland und dem Westen“ zu fungieren, betonte der Kardinal.

Nun habe man einen „unseligen Konflikt“ vor sich, die Schuld liege auf allen Seiten, und er wisse auch keine Lösung, so der Wiener Erzbischof: „Ich bete, dass Gott einen Weg findet, dass aus diesem Streit wieder herausgefunden werden kann“.

Auch für die katholische Kirche sei die aktuelle Situation sehr schwierig, erläuterte Schönborn: „Wie soll der Vatikan mit der neuen ‚Orthodoxen Kirche der Ukraine‘ umgehen? Wenn er sie anerkennt, kommt es zum Konflikt mit dem Moskauer Patriarchat. Tut er es nicht, gibt es einen Konflikt mit dem Ökumenischen Patriarchat“. Der eigentlich innerorthodoxe Streit führe deshalb auch zu einer tiefen Wunde für die Ökumene, „die eigentlich vermeidbar gewesen wäre“.