
Konstantinopel-Moskau, 01.02.19 (poi) Am 1. Februar wurde das zehnjährige Amtsjubiläum des Moskauer Patriarchen Kyrill begangen, am 3. Februar steht in Kiew die Amtseinführung des Oberhaupts der neugegründeten „Orthodoxen Kirche der Ukraine“, Metropolit Epifanij (Dumenko), in Anwesenheit des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. bevor. Das Zusammentreffen der beiden Daten hat eine Fülle von hochrangigen Stellungnahmen ausgelöst. Der Ökumenische Patriarch nahm in seiner Predigt am Fest der Heiligen Drei Hierarchen (Gregor von Nazianz, Basilius der Große, Johannes Chrysostomus) am 30. Jänner in Konstantinopel auf die Ukraine Bezug. Dabei erinnerte er daran, dass Konstantinopel 1923 der orthodoxen Kirche von Estland (die Jahrhunderte hindurch Teil der russisch-orthodoxen Kirche war) die Autonomie verliehen habe, die nach Wiedergewinnung der estnischen Unabhängigkeit in den 1990er Jahren erneuert wurde. Trotz der „ungerechten Beleidigungen“ aus Moskau habe er sich damals bemüht, gerecht zu handeln, im Sinn der „Weisheit der tausendjährigen orthodoxen Tradition“ des „primus inter pares“. Auf dieser Spur habe er dann „unseren orthodoxen ukrainischen Brüdern“ die Autokephalie verliehen, denen 30 Jahre hindurch die sakramentale Gemeinschaft mit den anderen orthodoxen Kirchen verwehrt worden sei, „nur um Filaret (früherer russisch-orthodoxer Metropolit von Kiew und Kandidat für den Moskauer Patriarchenstuhl 1990, Red.) zu bestrafen, weil er es gewagt hatte, von Moskau die Autokephalie zu verlangen“. Hinter dem Verlangen Filarets seien keine dogmatischen oder lehrmäßigen Divergenzen gestanden, er habe die Autokephalie nur als Ausdruck des „Bewusstseins des Volkes“ nach der „Unabhängigkeit von 45 Millionen Ukrainern vom sowjetischen Regime“ gesehen.
Filaret habe nur den Fehler begangen, die Autokephalie von Moskau zu verlangen, sagte Bartholomaios I. Er hätte sich stattdessen an die Mutterkirche in Konstantinopel wenden sollen, die den Ukrainern die Taufe, die Kultur und das cyrillische Alphabet gegeben habe und die daher als einzige „das Recht und das Privileg“ zur Zuerkennung der Autokephalie gehabt habe. Aus Moskau sei Filaret als Antwort exkommuniziert worden, daher habe sich jetzt Konstantinopel als Mutterkirche veranlasst gesehen, das von den Ukrainern erlittene Unrecht wieder gut zu machen. Alles andere seien Fehlinformationen.
Am selben Tag – 30. Jänner – sprach eine Delegation des Ökumenischen Patriarchats unter Leitung des Pariser Metropoliten Emmanuel (Adamakis) in Sachen Anerkennung der neuen ukrainischen Kirche beim georgischen Patriarchen Ilia (Elias) II. in Tiflis vor. Die Aussprache blieb ergebnislos. Vor Journalisten sagte der Pariser Metropolit: „Wir haben die vitalen Fragen der orthodoxen Kirche besprochen. Das wichtigste Ziel aller orthodoxen Kirchen ist es, unsere Einheit zu bewahren“. Die Frage der ukrainischen Autokephalie sei natürlich besprochen worden, „wir wollten einander über einige Details informieren“. Es sei nur ein „Informationstreffen“ gewesen. Der georgische Katholikos-Patriarch habe sehr viel Weisheit und könne die richtige Entscheidung treffen.
Der „locum tenens“ des georgischen Patriarchats, Metropolit Schio (Mudschirij), betonte vor den Journalisten, die Delegation des Ökumenischen Patriarchen habe nicht versucht, Patriarch Ilia II. zu einer Entscheidung zu bewegen: „Sie verstehen unsere Bedachtsamkeit. Leider meinen manche von unseren Politikern, dass diese Bedachtsamkeit mit russischem Einfluss zu tun hat, was nicht stimmt“. Der georgische Heilige Synod wird erst bei seiner Frühjahrssitzung das Thema Ukraine behandeln.
Bereits am 29. Jänner hatte die georgische Kirche allerdings eine Erklärung veröffentlicht, in der es heißt, das Wichtigste sei, die Einheit der Orthodoxie zu bewahren und die mit der ukrainischen Autokephalie zusammenhängenden Fragen auf der Basis des Kirchenrechts zu lösen. Der Metropolit von Rustavi, Ioan (Gamrekeli), erinnerte bei der Präsentation der Erklärung daran, dass die Einheit der orthodoxen Kirche nicht auf einem „papistischen Prinzip“ beruhe, sondern auf Synodalität. In der Diskussion über die Ukraine gebe es von beiden Seiten leider auch Beleidigungen und Einschüchterungsversuche. Das georgische Patriarchat appelliere daher an alle, in ihren Statements in Sachen Ukraine achtsam zu sein und ihre Bemühungen auf das Gebet zu konzentrieren.
Die große öffentliche Feier zum 10. Jahrestag der Wahl von Patriarch Kyrill fand am Donnerstag, 31. Jänner, im Kreml-Palast statt. In seiner großen Rede ging der Patriarch nur am Anfang kurz auf das Ukraine-Problem ein, nachdem er das Wachstum des Moskauer Patriarchats in den letzten zehn Jahren umrissen hatte: 150 neue Eparchien (insgesamt gibt es jetzt 309 russisch-orthodoxe Diözesen), 9.386 neue Pfarrgemeinden (deren Zahl auf 38.649 anstieg). Die russisch-orthodoxe Kirche leiste ihren Dienst in zahlreichen Staaten, in denen es „konstruktive Zusammenarbeit“ und das richtige Verständnis für die Rolle der Kirche in Staat und Gesellschaft gebe. Leider treffe das nicht auf die Ukraine zu. Die Verschlimmerung der politischen Situation seit 2014, der zunehmende Behördendruck auf die kanonische ukrainisch-orthodoxe Kirche, die Vertiefung des ukrainischen Schismas und die Stärkung radikaler politischer Kräfte bis hin zum „unrechtmäßigen Übergriff“ Konstantinopels und der Proklamierung der Autokephalie für eine „pseudokirchliche Struktur von Schismatikern“ habe zur Verletzung der Rechte der Gläubigen der kanonischen Kirche, zur Wegnahme ihrer Gotteshäuser und zur Anfachung des interkonfessionellen Hasses geführt. Trotz all dem zeige die ukrainisch-orthodoxe Kirche ein „eindrucksvolles Beispiel der Standhaftigkeit im Glauben und der inneren Einheit“. Mit Gottes Hilfe würden die „Mächte der Finsternis“, die sich gegen die Kirche erhoben haben, gemäß dem Psalmwort „verfliegen, wie Rauch verfliegt“. Wörtlich fügte der Patriarch hinzu: „Beten wir, dass die Kirche diese Versuchungen überwindet, wie sie in der Geschichte Häresien und Bedrängnisse überwunden hat und dass wir weiterhin die Kirche auf ihrem Eckstein – Christus – aufbauen“.
Im Hauptteil seiner Rede schilderte Kyrill I. die Herausforderungen für die Kirche in der heutigen Zeit, aber auch die notwendigen Tugenden, um diesen Herausforderungen zu begegnen, angefangen vom Wort des nordafrikanischen Philosophen Tertullian, der das Urteil der Heiden über die frühen Christen überlieferte: „Seht, wie sie einander lieben“. Vor allem sei jedes Mitglied der Kirche berufen, durch das eigene Leben ein ehrliches Zeugnis davon zu geben, „was es bedeutet, mit Christus in der Kirche zu sein“.
Patriarch Irinej: „Wie im 11. Jahrhundert“
Die Oberhäupter mehrerer autokephaler orthodoxer Kirchen fanden sich in den letzten Tagen in Moskau ein, um das Zehn-Jahres-Jubiläum von Patriarch Kyrill mitzufeiern. Der serbische Patriarch Irinej traf am Dienstag, 29. Jänner, im Moskauer Danielskloster mit Patriarch Kyrill zusammen. Patriarch Irinej erklärte u.a.: “Die Ukraine ist eine große Versuchung für die Orthodoxie im allgemeinen. Diese Versuchung hat große Bedeutung, weil sie das Zentrum der Orthodoxie betrifft. Es ist nicht etwas, was von außen kommt, sondern ein Phänomen aus unserem eigenen Haus. Wahrscheinlich haben jene, die der Orthodoxie Böses wollen, dies wohl bedacht; was in der Ukraine vor sich geht, ist wie eine Bombe, die in unser Haus geworfen wurde”.
Der serbische Patriarch unterstrich seine Auffassung, wonach das ukrainische Problem “rein politischer, nicht aber kanonischer oder kirchlicher Natur” ist. Die ganze Orthodoxie müsse sich mit dieser Frage sehr ernsthaft auseinandersetzen, um sie zu lösen: “Der Besuch in Moskau ist eine gute Gelegenheit, um Meinungen auszutauschen, um zu überlegen, was als nächstes geschehen soll”.
Patriarch Kyrill bezeichnete seinerseits die Versuche, die ukrainische Kirche von Moskau zu lösen und den Kosovo von Serbien als “Glieder in einer Kette”. Es handle sich um Versuche, die Weltorthodoxie zu schwächen. Christus führe die russische und die serbische Kirche durch Prüfungen. Vielleicht verstehe der serbische Patriarch deshalb den Schmerz Moskaus über die Vorgänge in der Ukraine besser als alle anderen. Der Moskauer Patriarch betonte, es sei ihm bewusst, welche “einmalige historische und spirituelle Rolle” der Kosovo im Leben des serbischen Volkes spiele.
Nach der Begegnung mit dem Moskauer Patriarchen sagte das Oberhaupt der serbisch-orthodoxen Kirche vor Journalisten: “Die Vorgänge in der Ukraine sind ein großes Problem nicht nur für die russisch-orthodoxe und für die ukrainisch-orthodoxe Kirche, sondern für die ganze orthodoxe Welt…Alle Orthodoxen müssen auf dieses Problem realistisch schauen, denn es könnte keine geringere Bedeutung als die Vorgänge im 11. Jahrhundert haben. Das Problem des 11. Jahrhunderts führte zur Spaltung der Kirche zwischen Ost und West, aber das Ukraine-Problem könnte im 21. Jahrhundert die Orthodoxie spalten und ernsthafte Konsequenzen haben”. Das Problem müsse “in Bezug auf Konstantinopel” formuliert werden, um es “von der Tagesordnung zu bekommen”. Wenn das Problem bleibe, werde man unglücklicherweise eine “konkrete Position” beziehen müssen, sagte Patriarch Irinej, ohne sie näher zu definieren. Das sei ein Schlag gegen die Einheit der orthodoxen Kirche und dessen Konsequenzen werde in erster Linie das Patriarchat von Konstantinopel zu spüren bekommen. Die “schmerzlichen Konsequenzen” der jetzigen Aktionen würden auch in der Ukraine zu sehen sein.
Auf eine entsprechende Frage übte der serbische Patriarch Kritik auch an der von Konstantinopel beschlossenen Erlaubnis der Zweitehe von Priestern (was bisher vom orthodoxen Kirchenrecht streng verboten war). Diese Entscheidung widerspreche allen Kanones, charakterisiere die Gegenwart und spreche von den Versuchungen, von denen die Kirche betroffen sei.
Patriarch Youhanna X. für Konsens-Prinzip
Auch der Patriarch von Antiochien, Youhanna X., traf am Dienstag, 29. Jänner, im Danielskloster mit Patriarch Kyrill zusammen. Im Hinblick auf die Ukraine-Krise sagte der antiochenische Patriarch: „Wir haben den Ökumenischen Patriarchen und andere hohe Kleriker gebeten – und tun es weiterhin -, die bestehenden Probleme – einschließlich jener mit der russisch-orthodoxen Kirche – durch Dialog, Verhandlungen, normale Konversation zu lösen. Seit 1960 beruht unsere (panorthodoxe, Red.) Arbeit auf dem Konsens-Prinzip, das auch jetzt beachtet werden sollte. Wir betrachten dieses Prinzip weiterhin als eine Art Eckstein all unserer Aktivitäten – mit dem Ziel, die Positionen aller Ortskirchen zusammenzuführen. Wir sind nicht einverstanden mit Versuchen zur unilateralen Lösung einer Anzahl von kirchlichen Problemen auf Kosten der Weltorthodoxie, weil diese Versuche zu einem Schisma führen. Die Bewahrung unserer orthodoxen Einheit und die Tatsache, dass wir weiterhin unsere Mission des Friedens, der Liebe und der Zusammenarbeit erfüllen müssen, sollten die Basis für unsere Aktivitäten in der Zukunft bleiben“.
Youhanna X. erinnerte daran, dass sich der Bischofsrat der Kirche von Antiochien vor kurzem neuerlich für eine „panorthodoxe Lösung“ des Ukraine-Problems ausgesprochen hat. Die Bischöfe hätten betont, dass man alles tun müsse, um die orthodoxe Einheit zu bewahren. Und sie hätten deutlich gemacht, dass jetzt die Zeit gekommen sei, um das laut auszusprechen. Deswegen hätten sie auch an das Patriarchat von Konstantinopel und an die anderen Ortskirchen appelliert, zum Pfad des Dialogs und der Zusammenarbeit zurückzukehren.
Im Hinblick auf den Krieg in Syrien bedauerte der Patriarch von Antiochien, dass es nach wie vor keine Nachrichten über die beiden entführten Aleppiner Metropoliten Boulos Yazigi und Mor Gregorios Youhanna Ibrahim gebe. Trotzdem hoffe die Kirche von Antiochien weiter, dass es zu einem guten Ende kommen werde. Die Situation in Syrien habe sich gebessert, weitere Gebiete seien dem Zugriff der Terroristen entzogen worden. Die Kirche erfülle weiter ihre Mission, sie führe ihre Arbeit ehrenvoll aus.
In herzlichen Worten dankte Youhanna X. dem Moskauer Patriarchat für die Hilfe beim Wiederaufbau zerstörter oder beschädigter Kirchen. Im berühmten Wallfahrtsort Maaloula habe sich die Lage weitgehend normalisiert, die Restaurierung des in die Antike zurückreichenden Klosters St. Thekla sei nahezu beendet, Pilger aus allen Teilen des Nahen Ostens träfen wieder in dem Bergstädtchen ein, in dem auch heute im Alltag Aramäisch, die Sprache Jesu, gesprochen wird. Patriarch Kyrill kündigte an, dass die russisch-orthodoxe Kirche demnächst zwei große Wiederherstellungsprojekte in Syrien in Angriff nehmen wird: Den Kirchenkomplex in der Stadt Arbil und die Kirche der Entschlafung der Muttergottes in der Stadt Al-Zabadani.
Im Gespräch mit Journalisten äußerte sich der Patriarch von Antiochien skeptisch zu den Gerüchten, die dem Ökumenischen Patriarchen Bestrebungen unterstellen, ein „östlicher Papst“ werden zu wollen: „Wir in der Orthodoxie sind für die Synodalität, das ist unser grundsätzliches Prinzip. Wir glauben an die Einheit unserer Kirche. Daher machen wir uns keine Sorgen über das, was über eine bestimmte Person gesagt wird. Die orthodoxe Christenheit ist die orthodoxe Christenheit; sie war es immer und wird es bleiben“.
Ebenso wies der Patriarch Gerüchte über Versuche zurück, die Kirche von Antiochien – ähnlich wie es in der Ukraine geschehen sei – in eine syrische und eine libanesische Kirche zu spalten. Zweifellos gebe es „äußere Kräfte“, die die Kirche von Antiochien auf die eine oder andere Art schwächen wollen: „Wir dienen im Libanon und in Syrien einer gemeinsamen Sache, gemeinsamen Zielen und Aufgaben. Unsere Leute akzeptieren keine Spaltungen und Schismen. Aber die orthodoxe Welt soll solidarisch sein, geeint im Hinblick auf Phänomene von Spaltungen und Schismen“.