Orthodoxie: Moskau friert Beziehungen zu Konstantinopel ein

Aber noch kein Abbruch der eucharistischen Gemeinschaft – „Statement“ zum Abschluss der Sondersitzung des Heiligen Synods der russisch-orthodoxen Kirche zeichnet die historische Entwicklung nach

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Foto: © Русский: Pavlucco; permission GFDL+CCA (Quelle: Wikimedia; Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported/GNU Free Documentation License)

Moskau, 15.09.18 (poi) Das Patriarchat von Moskau hat die Beziehungen mit dem Patriarchat von Konstantinopel eingefroren, ohne vorerst die eucharistische Gemeinschaft abzubrechen. Im „Statement“ zum Abschluss der am Freitag abgehaltenen Sondersitzung des Heiligen Synods der russisch-orthodoxen Kirche heißt es, Konstantinopel habe sich durch die „unkanonische Ernennung“ von zwei Exarchen für Kiew praktisch geweigert, die Causa Ukraine im Dialog zu lösen, daher sei Moskau „gezwungen“, die Nennung des Namens des Ökumenischen Patriarchen bei den Fürbittgebeten in der Liturgie vorläufig zu unterlassen. Mit „tiefem Bedauern“ müsse in Zukunft auch auf die Konzelebration mit Bischöfen des Ökumenischen Patriarchats verzichtet werden. Ebenso werde sich die russisch-orthodoxe Kirche aus allen orthodoxen Bischofskonferenzen, theologischen Dialogen, multilateralen Kommissionen usw. zurückziehen, „wo Repräsentanten des Patriarchats von Konstantinopel als Vorsitzende oder Ko-Vorsitzende fungieren“. Dies bedeutet u.a., dass das Patriarchat von Moskau auch seine Mitarbeit in der Internationalen Kommission für den offiziellen theologischen Dialog zwischen orthodoxer und katholischer Kirche einstellen wird. Die nächste Sitzung des Koordinationskomitees der Kommission – dem auch Metropolit Hilarion (Alfejew), der Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats, angehört – ist für 13. bis 17. November im piemontesischen Kloster Bose vorgesehen. Bei dieser Sitzung sollen die Entwürfe für die nächste Plenarversammlung der Kommission behandelt werden.

Im „Statement“ des russisch-orthodoxen Heiligen Synods wird weiter festgestellt, dass Moskau gezwungen sein werde, die eucharistische Gemeinschaft mit Konstantinopel vollständig abzubrechen, wenn der Phanar seine „dem Kirchenrecht widersprechenden Aktivitäten“ auf dem Territorium der ukrainisch-orthodoxen Kirche weiter fortsetze. Die gesamte Verantwortung für die tragischen Konsequenzen dieser Spaltung liege bei Patriarch Bartholomaios I. persönlich und bei den Hierarchen, die ihn unterstützen.

Abschließend heißt es in dem „Statement“ wörtlich: „Angesichts der Tatsache, dass die derzeitige Situation die ganze Weltorthodoxie in Gefahr bringt, bitten wir in dieser Stunde der Not die autokephalen Ortskirchen um ihre Unterstützung, wir rufen die Oberhäupter dieser Kirchen auf, sich unserer gemeinsamen Verantwortung für das Schicksal der Weltorthodoxie bewusst zu sein und eine brüderliche panorthodoxe Diskussion über die kirchliche Situation in der Ukraine in Gang zu setzen. Wir bitten die Gesamtheit der russisch-orthodoxen Kirche, innig um die Bewahrung der Einheit der Heiligen Orthodoxie zu beten“.

 

Die Last der Geschichte

Den größten Teil des „Statements“ des Moskauer Heiligen Synods nimmt die Widerlegung der Darlegungen aus Konstantinopel ein, dass die Metropolie Kiew niemals auf Dauer der Moskauer Jurisdiktion unterstellt worden sei. Diese Darlegungen seien „unwahr“ und würden den historischen Fakten „völlig widersprechen“. Die russisch-orthodoxe Kirche und ihr erster Hauptsitz –die Kiewer Metropolie – hätten über Jahrhunderte eine Einheit gebildet, auch wenn verschiedene politische Umstände diese Einheit immer wieder gefährdet hätten. Auch als der Hauptsitz von Kiew zunächst nach Wladimir und dann nach Moskau transferiert worden sei, hätten die Metropoliten von „ganz Russland“ immer noch „Metropoliten von Kiew“ geheißen.

Die zeitweise Zweiteilung der Metropolie von „ganz Russland“ sei von den „unheilvollen Konsequenzen“ des Konzils von Ferrara-Florenz und dem Beginn der Union mit Rom im 15. Jahrhundert verursacht worden, diese Union sei von der Kirche von Konstantinopel zunächst akzeptiert, von der russischen Kirche aber sofort zurückgewiesen worden. 1448 habe das Bischofskonzil der russischen Kirche ohne den Segen des Patriarchen von Konstantinopel – der zu diesem Zeitpunkt uniert war – den später heilig gesprochenen Bischof Jonah zum Metropoliten gewählt. Damals habe das autokephale Leben der russisch-orthodoxen Kirche begonnen. 1593 sei die Moskauer Metropolie durch den gemeinsamen Beschluss der Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem zum Patriarchat erhoben worden. Die Wiedervereinigung der Kiewer Metropolie mit der russischen Kirche sei 1686 erfolgt. Das Dokument des damaligen Patriarchen von Konstantinopels, Dionysios IV., und der Mitglieder seines Heiligen Synods sage nichts über eine „vorübergehende“ Natur des Transfers der Kiewer Metropolie aus – und widerlege damit die „grundlosen Behauptungen der heutigen konstantinopolitanischen Hierarchen“. 300 Jahre, bis in das 20. Jahrhundert, habe keine der orthodoxen Ortskirchen – „einschließlich der Kirche von Konstantinopel“ – je die Jurisdiktion der russischen Kirche über die Kiewer Metropolie in Zweifel gezogen. Der erste Versuch in dieser Richtung sei erfolgt, als Konstantinopel der orthodoxen Kirche des wiedererstandenen Polen 1924 die Autokephalie zuerkannte und im entsprechenden „Tomos“ vermerkte, dass bei der Sezession der Kiewer Metropolie und der orthodoxen Eparchien in der polnisch-litauischen Doppelrepublik, der „Rzeczpospolita“, nicht alles den kirchenrechtlichen Vorschriften entsprochen habe.

Im „Statement“ wird weiters darauf verwiesen, dass Konstantinopel nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur im wiedererstandenen Polen, sondern auch in den neu entstandenen Staaten auf dem Boden des früheren Russischen Reiches – Finnland, Estland, Lettland – hinter dem Rücken des von der grausamen bolschewistischen Kirchenverfolgung schwer bedrängten Moskauer Patriarchats auf dessen kanonischem Territorium eigene Metropolien errichtet habe.

Zugleich wird im „Statement“ festgestellt, dass Konstantinopel in den 1920er-Jahren mit den bolschewistischen Machthabern gegen das Moskauer Patriarchat kooperiert habe. Insbesondere habe es intensive Kontakte des offiziellen Repräsentanten des Ökumenischen Patriarchats in Moskau, Archimandrit Basilios Dimopoulo, mit der sogenannten „Erneuerer-Bewegung“ gegeben, die von der kommunistischen Regierung gefördert wurde und das Moskauer Patriarchat in ihre Gewalt bringen wollte. Dimopoulo habe an den „Räuber-Synoden“ der „Erneuerer“ teilgenommen, 1924 habe der damalige Ökumenische Patriarch Gregorios VII. den Moskauer Bekenner-Patriarchen Tichon zur Abdankung aufgefordert. Und im selben Jahr sei von Gregorios VII. eine Spezialkommission eingerichtet worden, die sich um den „Ausgleich der einander widersprechenden Richtungen in der russischen Kirche“ annehmen sollte. Patriarch Tichon sei allerdings nicht informiert oder befragt worden und habe entschiedenen Protest gegen die Entsendung der Kommission aus Konstantinopel eingelegt.

Durch das „Blutzeugnis von tausenden Neu-Märtyrern“ habe die russische Kirche überlebt. Aber als in den 1990er-Jahren durch die großen geopolitischen Verwerfungen eine neue Zerreißprobe auf die russische Kirche zukam, habe die Kirche von Konstantinopel neuerlich in vollem Ausmaß ihr „unbrüderliches Verhalten“ gezeigt, heißt es im „Statement“. 1978 habe der damalige Ökumenische Patriarch Demetrios den „Tomos“ von 1923 über den Transfer der Zuständigkeit für Estland an Konstantinopel widerrufen, aber 1996 habe der Phanar neuerlich eine eigene Metropolie in der baltischen Republik errichtet. Zu diesem Zeitpunkt habe Konstantinopel auch erste Versuche unternommen, um in die ukrainischen kirchlichen Verhältnisse einzugreifen. So habe Konstantinopel 1995 zuvor schismatische ukrainische Gemeinschaften in den USA in seine Jurisdiktion aufgenommen.

Die jetzige Haltung des Patriarchats von Konstantinopel in Sachen Autokephalie widerspreche der gemeinsamen Position aller autokephalen orthodoxen Kirchen, wie sie in der Vorbereitung auf das Heilige und Große Konzil  ausgearbeitet worden sei, hält das „Statement“ des Moskauer Heiligen Synods fest. Während es keinerlei Autokephalie-Ansuchen des Episkopats der ukrainisch-orthodoxen Kirche gebe, habe Bartholomaios I. die entsprechenden Vorbringungen der ukrainischen Regierung und der Schismatiker in Betracht gezogen.

Scharfe Kritik wird im „Statement“ an den Ausführungen des Ökumenischen Patriarchen bei der jüngsten „Synaxis“ in Konstantinopel geübt. Wenn Bartholomaios I. feststelle, dass die Orthodoxie ohne das Ökumenische Patriarchat nicht existieren könne und dass dieses Patriarchat – im Sinn des Galater-Briefs – der „Sauerteig“ sei, der den ganzen Teig der Orthodoxie durchsäuert, so seien das ekklesiologische Ansichten, die der Orthodoxie fernstehen. Es sei schwer, „in diesen Behauptungen etwas anderes zu sehen als den Versuch, die orthodoxe Ekklesiologie in Übereinstimmung mit dem römisch-katholischen Modell zu reformieren“. Kritik wird auch daran geübt, dass Konstantinopel verwitweten oder verlassenen Klerikern eine Wiederheirat gestatten will.

Noch bei der „Synaxis“ zur Vorbereitung des Panorthodoxen Konzils im Jänner 2016 habe Patriarch Bartholomaios I. Metropolit Onufrij von Kiew den einzigen kanonischen Primas der orthodoxen Kirche in der Ukraine genannt. Zugleich habe der Patriarch damals zugesagt, dass es beim Konzil in Kreta oder danach keine Versuche geben werde, eine der schismatischen Gruppierungen in der Ukraine zu legalisieren. „Mit Bedauern“ müsse festgestellt werden, dass diese Zusage jetzt gebrochen worden sei.