Orthodoxie: Ruf nach Versammlung der Oberhäupter der autokephalen Kirchen

Kirche von Antiochien besteht auf Notwendigkeit des Konsens-Prinzips im Hinblick auf kontroversielle Fragen in der orthodoxen Kirche – Ökumenischer Patriarch kritisiert Moskau bei der 50-Jahr-Feier der Orthodoxen Akademie von Kreta ohne Namensnennung

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Beirut-Moskau-Konstantinopel, 06.10.18 (poi) Im Hinblick auf die Auseinandersetzungen zwischen den orthodoxen Patriarchaten von Konstantinopel und Moskau über die Ukraine hat der Heilige Synod des Patriarchats von Antiochien den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. aufgefordert, „rasch“ eine Synaxis (Versammlung) der Oberhäupter der autokephalen orthodoxen Kirchen einzuberufen. Die aktuellen Entwicklungen, denen sich die „orthodoxe Welt“ angesichts der Frage der Zuerkennung der Autokephalie (Selbständigkeit) für neue Kirchen gegenübersehe, müssten diskutiert werden. Es gehe darum, gemeinsame Lösungen zu finden, bevor „endgültige Entscheidungen“ in dieser Frage gefällt werden. In diesem „kritischen Abschnitt der Geschichte“ betone die Kirche von Antiochien die „Notwendigkeit spiritueller Wachsamkeit“ und die „Bedeutung des Einsatzes für Frieden und Einheit der Kirche“. Es gelte, wachsam zu sein gegenüber der „Falle der politischen Verstrickung“, die in der Geschichte mehrfach Ursache der Schwächung des gemeinsamen Zeugnisses der orthodoxen Kirche in der Welt gewesen sei. Ausdrücklich warnt der Heilige Synod von Antiochien – der unter dem Vorsitz von Patriarch Youhanna X. in Balamand tagte – davor, die Orthodoxie in die „internationalen politischen Konflikte“ einzubeziehen. Die Fragen der orthodoxen Kirche auf „politischer, ethnischer oder nationalistischer“ Basis anzugehen, verursache große Wunden.

In der Abschlusserklärung des Heiligen Synods von Antiochien wird betont, dass die Bischöfe „zutiefst besorgt seien über Versuche, die Grenzen der orthodoxen Kirchen durch eine Neuinterpretation der Geschichte festzulegen“. Eine einseitige „Lesart der Geschichte“ diene nicht der orthodoxen Einheit. Die Kirche von Antiochien weise die Idee zurück, auf dem kanonischen Gebiet der Patriarchate oder der autokephalen Kirchen „parallele Jurisdiktionen“ zu errichten, „um Konflikte zu lösen“. Zugleich riefen die Bischöfe in Erinnerung, dass die Zuerkennung der Autokephalie an eine bestimmte Kirche „in Übereinstimmung mit der orthodoxen Ekklesiologie“ und den von den Kirchen in der Vergangenheit auf „konziliarem Weg“ vereinbarten Prinzipien erfolgen müsse. Diesen Prinzipien zufolge müsse die Zustimmung durch die Mutterkirche und die Kenntnisnahme durch alle orthodoxen autokephalen Kirchen erfolgen. Die Kirche von Antiochien bestehe auf der Notwendigkeit des Konsens-Prinzips im Hinblick auf kontroversielle Fragen der orthodoxen Welt. Diese Einstimmigkeit sei eine „wahrhafte Schutzmaßnahme der orthodoxen Einheit“.

Der orthodoxe Patriarch von Alexandrien, Theodoros II., hatte wenige Tage zuvor zum Abschluss seines Besuchs in der Eparchie Odessa erklärt, dass er alle Oberhäupter der autokephalen orthodoxen Kirchen über die Situation in der Ukraine informieren werde. Nach der Altarweihe in der Christi-Verklärung-Kirche des bulgarisch geprägten Städtchens Bolgrad im Budschak (der ukrainische Anteil am einstigen Bessarabien; Bolgrad ist der Geburtsort des derzeitigen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko) sagte Theodoros II., er werde den Ökumenischen Patriarchen und die Oberhäupter der anderen autokephalen orthodoxen Kirchen über all das informieren, was er „in den letzten Tagen in der Ukraine gesehen und gehört“ habe. Der Patriarch von Alexandrien konzelebrierte während seines Ukraine-Aufenthalts zwei Mal mit Metropolit Onufrij, dem Oberhaupt der autonomen ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Theodoros II. brachte seine Unterstützung für Metropolit Onufrij zum Ausdruck und betonte, dass die orthodoxe Kirche „heilige Kanones – kirchenrechtliche Bestimmungen – hat, die zu respektieren sind und denen zu gehorchen ist“.

Auch das Oberhaupt der polnischen orthodoxen Kirche, Metropolit Sawa (Hrycuniak), hat den Ökumenischen Patriarchen laut „orthodoxia.info“ ersucht, ein Treffen der Primaten aller orthodoxen autokephalen Kirchen einzuberufen, um die Frage der kirchlichen Situation in der Ukraine zu diskutieren, die sich „Tag für Tag“ verschlimmere.

Der Moskauer Patriarch Kyrill I. hat seinerseits die Oberhäupter aller orthodoxen autokephalen Kirchen über die Situation in der Ukraine informiert und die Einleitung einer panorthodoxen Diskussion über die Ukraine-Frage vorgeschlagen. Dies erklärte Erzpriester Nikolai Balaschow, stellvertretender Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats, im Gespräch mit der russischen Nachrichtenagentur RIA-Nowosti am 2. Oktober. In den Briefen des Patriarchen würden die Haltung der russisch-orthodoxen Kirche zur „sogenannten ukrainischen Autokephalie“ und die „möglichen negativen Konsequenzen für die Einheit der ganzen Orthodoxie“ dargelegt. Zugleich werde ein Vorschlag formuliert, Bemühungen „um den Beginn einer panorthodoxen Diskussion“ zu starten, wie es auch der Heilige Synod des Moskauer Patriarchats angeregt habe. Freilich hatte Balaschow schon bei früheren Gelegenheiten betont, dass die russisch-orthodoxe Kirche keine panorthodoxe Diskussion über die Ukraine-Frage einleiten könne.

Auch der Pressesprecher von Patriarch Kyrill, P. Aleksander Wolkow, sagte im Gespräch mit TASS am Freitag, das Moskauer Patriarchat könne keine panorthodoxe Diskussion in Form einer Synaxis einberufen, „weil dies das Vorrecht des ‚Ersten unter Gleichen‘, des Ökumenischen Patriarchen, ist“. Wenn man die offizielle Rangliste der Orthodoxie, die „Diptychen“, ansehe, sei der nächste der Patriarch von Alexandrien. Der Patriarch von Alexandrien könne gemeinsam mit den anderen „alten Patriarchaten“ – Jerusalem und Antiochien –„etwas vorschlagen“, um über die Tatsache zu diskutieren, dass Konstantinopel die Autokephalie für die Ukraine „ohne Zustimmung der anderen orthodoxen Kirchen“ verleihen wolle. Man müsse aber „geduldig“ sein, betonte Wolkow. Es gebe keine Notwendigkeit, irgendwelche Fristen zu setzen, aber es sei wichtig, die Meinung aller autokephalen orthodoxen Kirche über diese Frage zu hören, die „nicht nur für die russische und ukrainische Orthodoxie, sondern für die weitere Existenz einer geeinten weltweiten Orthodoxie brennend ist“.

Internationale Beobachter verweisen darauf, dass es bei der Konfrontation zwischen Moskau und Konstantinopel nicht nur um die Ukraine geht, sondern auch um die Rolle des Ökumenischen Patriarchats gegenüber den anderen autokephalen orthodoxen Kirchen. In der Langzeitwirkung könne dies wichtiger sein als die Frage der verschiedenen „orthodoxen“ Gemeinschaften in der Ukraine. So schrieb Peter Anderson am 7. Oktober: „Obwohl der Ökumenische Patriarch keine mit dem Papst vergleichbare Vollmachten beansprucht, betont er, dass seine Aufgabe nicht nur ein Ehrenprimat ist, sondern eine begrenzte Führungsrolle in der orthodoxen Welt“. Diese Rolle werde vom Moskauer Patriarchat in Frage gestellt, das der Auffassung sei, dass es keinen solchen Primat auf universaler Ebene im Hinblick auf die 14 autokephalen orthodoxen Kirchen gebe. Die Frage des universalen Primats sei auch für die Arbeit der internationalen Kommission für den offiziellen theologischen Dialog zwischen katholischer und orthodoxer Kirche von „außerordentlicher Bedeutung“. Dieser Dialog sei auch durch die Auseinandersetzung der orthodoxen Kirchen untereinander über die Frage des universalen Primats „behindert“.

„Wie Schafe ohne Hirten“

Bartholomaios I. hat bei der 50-Jahr-Feier der Orthodoxen Akademie von Kreta die Rolle des Ökumenischen Patriarchats hervorgehoben. Wörtlich sagte der Ökumenische Patriarch laut „orthodoxia.info“: „Wenn das Ökumenische Patriarchat seine Verantwortung vernachlässigt und sich aus der interorthodoxen Szene verabschiedet, dann werden die anderen Ortskirchen wie Schafe ohne Hirten sein“. Es werde zu kirchlichen Initiativen kommen, die „Demut aus dem Glauben“ mit „Hochmut aus politischer Macht“ vermischen. Deshalb gebe es die „Koordinationsrolle des Ökumenischen Patriarchats“ innerhalb der panorthodoxen Familie. Die Orthodoxie bedürfe des Ökumenischen Patriarchats, damit es nicht auf eine lose Verbindung von Kirchen reduziert werde. Es sei die Aufgabe des Ökumenischen Patriarchats, auf die Einhaltung der kirchlichen und kanonischen Ordnung zu achten. Die Aufgabe als „liebende Mutterkirche“ und „erste Kirche der Orthodoxie“ komme dem Patriarchat von Konstantinopel durch die ökumenischen Konzilien zu.

Im ersten Jahrtausend seien die Probleme der Christenheit vor allem von Fragen der Häresien (der Irrlehren) bestimmt gewesen, im zweiten Jahrtausend sei es um Fragen der Jurisdiktion gegangen, „und das hat jetzt auch das dritte Jahrtausend geerbt“. Die Quelle dieser Fragen seien der „Ethnophyletismus“ (kirchlicher Nationalismus, wie er 1872 in Konstantinopel feierlich verurteilt wurde), „expansionistische Ambitionen“ und die Tendenz, die durch patriarchale und synodale Dekrete definierten kanonischen Grenzen zu ignorieren. „Wenn wir unsere Einheit nicht bewahren, werden wir dafür verantwortlich sein, die Kirche in einen Privatverein verwandelt zu haben“, sagte der Patriarch in der Orthodoxen Akademie von Kreta.

Ohne das Moskauer Patriarchat beim Namen zu nennen, übte Bartholomaios I. scharfe Kritik an denen, die von Schisma sprechen. Diese „einfache Lösung“ werde von denen ins Spiel gebracht, die keine „gültigen kirchlichen oder kanonischen Argumente“ hätten, um ihre Rechte zu untermauern und ihre Sichtweisen zu stützen, „die oft nicht auf den kirchenrechtlichen Bestimmungen beruhen“. Diese Leute würden sich von der orthodoxen Kirche entfernen, wenn sie ihre Einsprüche in „so unkirchlicher Art“ vorbringen.

Exarchen bei Andriy Parubiy

Die beiden vom Ökumenischen Patriarchen für die Ukraine ernannten Exarchen – Erzbischof Daniel ((Zelinskyj) und Bischof Hilarion (Rudnyk) – trafen am 5. Oktober mit dem Vorsitzenden des ukrainischen Parlaments, dem nationalistischen Politiker Andriy Parubiy, zusammen. Parubiy erklärte, dass der Besuch der beiden Exarchen die „väterliche Antwort“ des Ökumenischen Patriarchen auf die Appelle der Mehrheit der ukrainischen Parlamentarier zur Gewährung der Autokephalie für die ukrainische Kirche sei. Alle orthodoxen Christen in der Ukraine würden die Entscheidung des Ökumenischen Patriarchen erwarten. Er sei überzeugt, dass es „vor dem Jahresende“ die gute Nachricht aus dem Phanar geben werde. Parubiy sprach eine offizielle Einladung an Patriarch Bartholomaios I. zum Besuch der Ukraine aus, man werde sich freuen, wenn der Ökumenische Patriarch vor der Werchowna Rada das Wort ergreife. Es würde ein „großes Symbol“ für die Ukraine sein, wenn der Ökumenische Patriarch nach Kiew käme.

Die Ukraine erlebe derzeit „schwierige und wahrhaft großartige“ Zeiten, sagte Parubiy im Gespräch mit den Exarchen. Es gehe darum, das historische Gedächtnis und die Traditionen wiederherzustellen, das ukrainische Parlament habe viel dafür getan, es habe einen „Kreuzzug zur Entkommunistisierung“ gestartet und eine wichtige Entscheidung über die ukrainische Sprache getroffen.

Erzbischof Daniel informierte über die bereits unternommenen „Schritte zur Versöhnung und Vereinigung der orthodoxen Kirche in der Ukraine“ und über die Bereitschaft von Patriarch Bartholomaios I., dem Verlangen des „Volkes der Ukraine, des ukrainischen Präsidenten und des ukrainischen Parlaments“ nach Zuerkennung der Autokephalie für die Ukraine zu entsprechen.

Bischof Hilarion sagte nach der Begegnung mit dem Parlamentspräsidenten, er sei überzeugt, dass Bartholomaios I. nach Kiew reisen und in die Werchowna Rada kommen werde, die „eine so historische Entscheidung im Hinblick auf die Autokephalie“ getroffen habe

Die beiden konstantinopolitanischen Exarchen trafen auch mit dem ukrainischen Kulturminister Ewhen Nyschuk zusammen. Nyschuk meinte, er wolle alles tun, was in seiner Macht stehe, „um Schritte zu ermöglichen, die zu einer vollen Vereinigung der Kirche führen“. Das Ministerium sei ja beispielsweise zuständig für die Genehmigung von Statuten und Geschäftsordnungen der Religionsgemeinschaften, damit „für das innerkirchliche Leben entsprechend gesorgt wird“.

Erzbischof Daniel sagte in seiner Antwort, er und Bischof Hilarion seien vom Heiligen Synod „der Mutterkirche in Konstantinopel“ ernannt worden, um die „Anomalie“ der gespaltenen orthodoxen Kirche in der Ukraine zu überwinden. Die Exarchen seien bereit, mit den Repräsentanten der verschiedenen orthodoxen Gemeinschaften in der Ukraine zu verhandeln, um „den weiteren Dialog zu erleichtern, der zur Vereinigung der orthodoxen Kirche in der Ukraine führen wird“.