Patriarch Bartholomaios zum Ukraine-Problem: „Wir haben ein ruhiges Gewissen“

Konstantinopel „bewahrt und verteidigt nur seine von den ökumenischen Konzilien verliehenen Rechte und kanonischen Privilegien“ – Neugegründete „Orthodoxe Kirche der Ukraine“ mehr mit der „westlichen Demokratie“ verbunden als mit dem „östlichen repressiven Regime“

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Foto: © Massimo Finizio (Quelle: Wikimedia; Lizenz: Creative Commons Attribution 3.0 Unported)

Konstantinopel-Kiew, 04.11.19 (poi) Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. hat im Hinblick auf das Ukraine-Problem betont, dass er „ein ruhiges Gewissen“ habe. Nach der Göttlichen Liturgie in der Georgskirche im (bis 1955 stark christlich geprägten) Stadtteil Edirnekapi (Deuteron) sagte Bartholomaios I., die Kirche sei „ein lebendiger Organismus“, auch wenn es unter seinem Patriarchat nicht nur angenehme, sondern auch unangenehme Ereignisse gegeben habe. Wörtlich meinte der Patriarch unter Bezugnahme auf die „unangenehme Situation mit dem Patriarchat von Moskau wegen des Ukraine-Problems“: „Das unangenehmste Ereignis im Leben der Mutterkirche ist das, was Schwesterkirchen, die vom Ökumenischen Patriarchat Wohltaten empfangen hatten, ihr angetan haben“. Das Ökumenische Patriarchat und er selbst hätten ein ruhiges Gewissen, „weil wir nur unsere Pflicht erfüllen, wir bewahren und verteidigen die Rechte und kanonischen Privilegien, die die ökumenischen Konzilien der Kirche von Konstantinopel verliehen haben“. Was die jüngsten Probleme in der Ukraine betrifft, habe die Kirche von Konstantinopel „nichts anderes und nicht mehr“ getan als in früheren Jahren und Jahrhunderten bei der Verleihung der Autokephalie an so viele andere Kirchen getan wurde. Er sei der orthodoxen Kirche von Griechenland für das „gute Beispiel“ dankbar, das sie durch die Anerkennung der neugegründeten „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ als 15. autokephale Kirche gegeben habe, unterstrich Bartholomaios I. Im Hinblick auf den „irenischen Brief“ des Athener Erzbischofs Hieronymos (Liapis) an Metropolit Epifanij (Dumenko) vom 28. Oktober sagte der Patriarch: „Ich habe den Brief von Erzbischof Hieronymos gelesen und ich war bewegt. Wir erwarten die Fortsetzung durch andere Schwesterkirchen, es wird sie geben, komme da, was da wolle“. Konstantinopel gehe auf dem Weg voran, „der vom Herrn der Kirche des ersten Throns vorgezeichnet wurde“.

Es sei die Aufgabe des Phanar, die Ortskirchen zu ermutigen, nach der Autokephalie zu streben „und ihnen die Möglichkeit zur Erreichung dieses Ziels zu verschaffen“, hatte der Ökumenische Patriarch vor kurzem in einem Interview mit dem rumänischen Online-Portal „evz“ gemeint. Auch viele andere Kirchen – „einschließlich jener von Russland, Rumänien und Griechenland“ – hätten von der Mutterkirche von Konstantinopel die Autokephalie erhalten. Zugleich stellte der Patriarch laut „evz“ fest, die neugegründete „Orthodoxe Kirche der Ukraine“ sei mehr mit der „westlichen Demokratie“ als mit dem „östlichen repressiven Regime“ verbunden. Seit vielen Jahren hätten die religiösen und zivilen Führungspersönlichkeiten der Ukraine danach getrachtet, eine „unabhängige Kirche“ für ihr Land zu schaffen.

In dem Interview nahm Patriarch Bartholomaios auch zu seiner Freundschaft mit Papst Franziskus Stellung. Gewiss sei seine spontane Entscheidung, an der Amtseinführung von Papst Franziskus teilzunehmen, beispiellos gewesen. Aber in der Perspektive der Offenheit und im Geist der Zusammenarbeit könne die Freundschaft mit Papst Franziskus als ein erstrangiger Weg betrachtet werden, „um unsere Gläubigen zu ermutigen und die Welt für den Frieden und nicht für den Krieg, für Toleranz und nicht für das Vorurteil, für Inklusion und nicht für Isolation zu motivieren“.

Diskussion in Griechenland

In Griechenland gibt es aber nach wie vor Widerstand gegen die Anerkennung der „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ durch die hellenische orthodoxe Kirche. Die beiden Metropoliten Seraphim (Stergiulis) von Kythera und Seraphim (Mentzelopoulos) von Piräus, die sich bei der Vollversammlung der griechischen Bischöfe am 12. Oktober scharf gegen die Anerkennung der „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ ausgesprochen hatten, treten jetzt dafür ein, dass die Oberhäupter der autokephalen orthodoxen Kirchen auch ohne Zustimmung Konstantinopels zu einer Panorthodoxen Synode zur Behandlung des Ukraine-Problems zusammentreten sollten. Der Metropolit von Piräus bezeichnete die „beispiellose Legalisierung der Schismatiker“ in der Ukraine als „Verbrechen“. Man könne die Einheit nicht durch die Einschleusung von „nicht bußfertigen Apostaten sowie nichtgeweihten geheimen Verschwörern und Schismatikern“ in die Kirche herstellen. Der Klerus der neugegründeten „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ besitze keine gültigen Weihen, daher könne die Gemeinschaft dieser Kleriker keine Basis für eine autokephale Kirche sein, die Zuerkennung der Autokephalie an die „Orthodoxe Kirche der Ukraine“ sei ein „großer Fehler“ gewesen.

Zugleich wurden jetzt aber auch Auszüge aus der Rede von Metropolit Ignatios (Georgakopoulos) von Volos – der auch Vorsitzender des Synodalkomitees für interorthodoxe Beziehungen ist – bei der Bischofsversammlung am 12. Oktober veröffentlicht. Der Metropolit erinnerte demnach in seiner Rede an die Sorge um die Millionen von orthodoxen Gläubigen in der Ukraine, „die in der Geschichte durch die Politik von entweder Polen oder Russland zu leiden hatten“. Bald nach der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine sei auch der Wunsch nach Autokephalie für die orthodoxe Kirche im Land wach geworden. Das Verlangen danach habe auch die Unterschrift des heutigen Kiewer Metropoliten Onufrij (Berezowskij) getragen. Trotz eines fast 30 Jahre dauernden Dialogs habe die russisch-orthodoxe Kirche für keine Lösung sorgen wollen. In diesem Zusammenhang argumentierte der Metropolit, die Erfahrung habe gezeigt, dass „für unsere Brüder das Adjektiv ‚russisch‘ leider Vorrang vor dem Adjektiv ‚orthodox‘ hat“. Heute, „nach der Invasion der Krim“, glaube niemand mehr, dass die russisch-orthodoxe Kirche für eine Lösung sorgen könnte, „die vom ukrainischen Volk als zufriedenstellend empfunden würde“.

Metropolit Ignatios übte auch scharfe Kritik an der „negativen Haltung“ der russisch-orthodoxen Kirche während der Vorbereitungsphase des Panorthodoxen Konzils. Die Frage der Zuerkennung der Autokephalie sei eines der Themen in der Vorbereitungsphase gewesen, das Ökumenische Patriarchat habe in den 1980er-Jahren sogar seine Bereitschaft bekundet, seine Privilegien in diesem Zusammenhang zu relativieren. In der Diskussion sei es dann um das Verhältnis zwischen der „Entscheidung“ des Ökumenischen Patriarchen über die Zuerkennung der Autokephalie und der „Mitentscheidung“ der Oberhäupter der anderen autokephalen Kirchen gegangen. Die russisch-orthodoxe Kirche habe aber keinerlei Bereitschaft gezeigt, irgendein Konzept von „Primat“ in der östlichen Kirche zu akzeptieren. Das habe sich auch im internationalen theologischen Dialog zwischen orthodoxer und katholischer Kirche gezeigt, „das ist das Herz des Problems“.

In der Ukraine habe sich der Ökumenische Patriarch zum Handeln verpflichtet gefühlt, weil er in Sorge um das „kirchliche und spirituelle Leben“ vieler orthodoxer Christen in diesem Land besorgt gewesen sei, so Metropolit Ignatios. Der Status der von Metropolit Onufrij geleiteten Gemeinschaft und die Präsenz der russisch-orthodoxen Kirche in der Ukraine sei dadurch aber nicht in Frage gestellt worden. Das Ökumenische Patriarch habe auch nicht die eucharistische Gemeinschaft abgebrochen. Der Ökumenische Patriarch kommemoriere nach wie vor den Moskauer Patriarchen Kyrill nach den „Diptychen“, den kirchlichen Ehrenlisten. Daher sei der Ökumenische Patriarch von seiner Seite her auch nach wie vor in Gemeinschaft mit Metropolit Onufrij.

„Irenische“ Wallfahrt

Die beiden einzigen Bischöfe der ukrainisch-orthodoxen Kirche unter Metropolit Onufrij, die sich am sogenannten „Vereinigungskonzil“ am 15. Dezember des Vorjahrs beteiligt hatten, haben nach der Publikation des „irenischen Briefes“ des Athener Erzbischofs Hieronymos an Metropolit Epifanij Pilgerreisen zu den Wallfahrtszentren in Griechenland angekündigt. Die beiden Bischöfe – Simeon (Schostatskij) von Winnitsa und Aleksandr (Drabinko) von Perejaslaw – kündigten die Pilgerreise als „die erste große Griechenland-Wallfahrt nach der Anerkennung unserer ‚Orthodoxen Kirche der Ukraine‘ durch die orthodoxe Kirche von Griechenland“ an.

Die Wallfahrt wird von 9. bis 15. November dauern und u.a. zum Dreifaltigkeitskloster von Aegina, zum Davidskloster auf der Insel Euböa (Evia), zum Andreas-Heiligtum in Patras und weiteren heiligen Orten führen.