Wien, 26.11.19 (poi) Der „Syrische Dialog“ der Stiftung „Pro Oriente“ – dessen 25-Jahr-Jubiläum mit dem am Dienstag im Wiener Pallotti-Haus eröffneten 6. „Colloquium Syriacum“ begangen wird – ist „außerordentlich“, weil hier erstmals eine Plattform für das Gespräch aller Kirchen der syrischen Tradition geboten wird. Dies betonte der Vorsitzende der „Pro Oriente“-Kommission „Forum Syriacum“, Prof. Dietmar W. Winkler (der auch Vorsitzender der Salzburger Sektion von „Pro Oriente“ ist“). Prof. Winkler skizzierte am Dienstag vor den rund 40 Teilnehmenden des „Colloquium Syriacum“ die Entstehungsgeschichte des „Syrischen Dialogs“, in dessen Verlauf erstmals westsyrische Kirche (syrisch-orthodoxe Kirche) und ostsyrische Kirche (Apostolische Kirche des Ostens) an einem Tisch zusammenkamen (in der theologischen Auseinandersetzung dieser beiden Flügel des Christentums der syrischen Tradition mag sich auch die Konfrontation der beiden Großmächte der antiken Welt – Römisches Reich und Persisches Reich – gespiegelt haben).
Als „Pro Oriente“ im Jahr 1992 im vom Erbe der Thomaschristen geprägten südindischen Bundesstaat Kerala ein 2. „Regionalsymposion“ veranstaltete (um Ergebnisse des ökumenischen Dialogs einem breiteren Publikum von Bischöfen, Theologen, Lehrern, Klerikern und engagierten Laien zu vermitteln), tauchte die Idee auf, die heute zumeist als „Assyrische Kirche“ bezeichnete Apostolische Kirche des Ostens (die Kirche des alten Perserreichs) in den ökumenischen Dialog einzubeziehen. Prof. Winkler erinnerte daran, dass sich zuvor auch der später (2013) entführte syrisch-orthodoxe Metropolit von Aleppo, Mor Gregorios Youhanna Ibrahim, beim 1. „Regionalsymposion“ im Oktober 1991 im ägyptischen Wadi Natrun für die Aufnahme des Dialogs mit der „Assyrischen Kirche“ ausgesprochen hatte, während die Kopten weiterhin entschieden dagegen waren. Der maronitische Theologe P. Elie Khalife Hashem habe dann den Vorschlag eingebracht, eine eigene „Pro Oriente“-Kommission für den (inoffiziellen) Dialog mit den Kirchen der syrischen Tradition zu bilden: Die Geburtsstunde des „Syrischen Dialogs“ von „Pro Oriente“. Nach drei Vorbereitungsjahren erfolgte 1994 die erste „Syriac Consultation“ von „Pro Oriente“ in Wien, im November jenes Jahres wurde im libanesischen Kaslik die „Syriac Commission“ von „Pro Oriente“ konstituiert. In den ersten drei Konsultationen dieser Kommission (1994, 1996, 1997) wurden vor allem die historischen und theologischen Probleme behandelt, die sich aus der Beschuldigung ergeben, die Assyrische Kirche hänge der „nestorianischen Irrlehre“ an. 1997 wurde schließlich festgestellt, dass die im 6. Jahrhundert erhobenen Vorwürfe gegen Theodor von Mopsuestia neu bewertet und zwischen dem konstantinopolitanischen Patriarchen Nestorios und der „nestorianischen“ Irrlehre ein Unterschied gemacht werden müsse. Parallel zum inoffiziellen „Pro Oriente“-Dialog zwischen katholischen und assyrischen Theologen bewegte sich auch auf offizieller Ebene einiges: Am 11. November 1994 wurde die offizielle „christologische Erklärung“ von katholischer und assyrischer Kirche durch die beiden Kirchenoberhäupter, Papst Johannes Paul II. und Katholikos-Patriarch Mar Dinkha IV., unterschrieben. Prof. Winkler bezeichnete jetzt diese „gemeinsame Christologische Erklärung“ als einen „Wendepunkt“ des Ökumenismus.
In der Folge beschäftigten sich sowohl der „Syrische Dialog“ von „Pro Oriente“ als auch der offizielle Dialog zwischen römisch-katholischer und assyrischer Kirche mit der Sakramententheologie. Bei der 6. Zusammenkunft des offiziellen Dialogs im Jahr 2000 in Arezzo wurde der Entwurf einer gemeinsamen „Erklärung über das sakramentale Leben“ beschlossen. Die Glaubenskongregation unter Kardinal Joseph Ratzinger (später Papst Benedikt XVI.) erkannte 2001 die Gültigkeit des in der assyrischen Kirche verwendeten eucharistischen Hochgebets der Heiligen Addai und Mari an. In Konsequenz der Auseinandersetzungen um die „gemeinsame Erklärung über das sakramentale Leben“ und weiterer Schwierigkeiten entschloss sich der assyrische Bischof Mar Bawai Soro, seine Kirche zu verlassen und der chaldäisch-katholischen Kirche beizutreten. Die damit verbundenen Turbulenzen konnten aber überwunden werden, 2017 begann eine neue Phase des offiziellen Dialogs zwischen katholischer und assyrischer Kirche, der 2005 vorübergehend zum Erliegen gekommen war. In der neuen Phase werden Fragen der Ekklesiologie behandelt, vor wenigen Tagen (21./22. November) fand die jüngste Zusammenkunft dieses Dialogvorgangs statt. 2017 wurde aber auch die gemeinsame „Erklärung über das sakramentale Leben“ offiziell veröffentlicht. Prof. Winkler bezeichnete am Dienstag diese Erklärung als „bedeutsamen Schritt vorwärts“. In der Erklärung wird u.a. betont, dass beide Kirchen trotz unterschiedlicher liturgischer und kultureller Traditionen „den selben sakramentalen Glauben und das selbe sakramentale Leben teilen“.
Als der offizielle Dialog zwischen katholischer und assyrischer Kirche vorübergehend eingestellt war, entschloss sich „Pro Oriente“ zu einem neuen Schritt. Das „Forum Syriacum“ von „Pro Oriente“ wurde gegründet, das auch die „Colloquia Syriaca“ koordiniert. Dabei wurde Wert darauf gelegt, nicht so sehr die theologischen Differenzen zu diskutieren und zu erforschen, sondern sich auf Themen von gemeinsamem Interesse zu konzentrieren. Bezugsrahmen war und ist dabei die in ständiger Veränderung befindliche globale Welt mit dem Kontext der kriegerischen und politischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten und der Entwicklung pluralistischer Gesellschaften in Indien im Westen. Prof. Winkler erinnerte daran, dass das erste „Colloquium Syriacum“ in Salzburg 2007 das Thema der Begegnung zwischen den Kirchen der syrischen Tradition und dem Islam behandelte. Dabei wurde herausgearbeitet, dass Christen und Muslime „bedeutsame Seiten der Geschichte“ gemeinsam geschrieben haben. Diese Linie wurde auch beim 2. „Colloquium Syriacum“ weitergeführt, bei dem es um die Beiträge und Herausforderungen des syrischen Christentums im heutigen Nahen Osten und in Indien ging. Im Kontext der religiösen Spannungen mit dem Islam sei es „Pro Oriente“ um einen positiven Zugang gegangen, daher wurden die Beiträge der Christen der syrischen Tradition in den Bereichen von Kultur, Bildung und Zivilgesellschaft herausgearbeitet. Die Themenkreise des Miteinanderlebens und der wechselseitigen Beziehungen (der Christen untereinander, zwischen Christen und Juden, Christen und Muslimen, Christen und Staat) prägten dann auch die weiteren Zusammenkünfte des „Forum Syriacum“. Beispielsweise stand beim Treffen im libanesischen Harissa im November 2012 Zweck und Ziel der Studien der syrischen Tradition im neuen politischen, religiösen und ökumenischen Kontext des Nahen Ostens im Mittelpunkt. Damals in Harissa war es Metropolit Mor Gregorios Youhanna Ibrahim noch gelungenen, auf verschlungenen Wegen aus dem von den Rebellen belagerten Aleppo in den Libanon zu kommen, wie Prof. Winkler hervorhob. Geprägt vom Erlebnis der Kriegsereignisse plädierte Mor Gregorios dafür, „etwas für eine Kultur der Bürgerschaft und der Koexistenz“ zu tun. Das geschah dann auch beim „Colloquium Syriacum“ 2013 in Wien.
Inzwischen hatten sich die eng verzahnten Themen „Emigration“ und „Diaspora“ in den Vordergrund geschoben und wurden vom „Forum Syriacum“ konsequent aufgegriffen. Beim Treffen in den Niederlanden im heurigen Februar wurde ein „Colloquium Syriacum“ entworfen, das die konkreten pastoralen Fragen von Identität und Zeugnis der Christen syrischer Tradition in der globalisierten und pluralistischen Welt von heute in den Mittelpunkt stellen sollte, vor allem die Frage, wie die Christen unterschiedlicher Traditionen das Evangelium und den christlichen Glauben nicht „trotz“ ihrer Differenzen, sondern „wegen“ ihrer Differenzen bezeugen können. In den Niederlanden habe dann auch der maronitische Erzbischof Paul Matar den Anstoß gegeben, heuer der 25 Jahre des gemeinsam zurückgelegten Weges zu gedenken. Prof. Winkler stellte am Dienstag fest, „Pro Oriente“ habe gerade durch den „Syrischen Dialog“ seine besondere Funktion als ein „Laboratorium der Einheit“ unter Beweis gestellt, in dem das gedacht werden kann, „was im offiziellen Dialog noch undenkbar ist“. Die Herausforderung sei, in der Form „ökumenische Avantgarde“ zu sein, „wie es die Pioniere des Ökumenismus in der Ökumenischen Bewegung und beim Zweiten Vatikanischen Konzil waren“: „Wir sollen an einer Einheit der Kirchen arbeiten, die versteht, dass die Machtfrage überflüssig und kirchliche Unterordnung nicht zu verlangen ist, dass es um eine Einheit geht, die den Reichtum der Traditionen hochschätzt und daher keine theologische und rituelle Uniformität braucht“.