Religiös ist Südosteuropa vom übrigen Europa nicht so verschieden wie vermutet

Eröffnung der wissenschaftlichen Konferenz der „Pro Oriente“-Historikerkommission „Von der Spannung zur Versöhnung“

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Foto: © Thomas Ledl (Quelle: Wikimedia; Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International)

Wien, 22.11.18 (poi) Überraschende Einsichten in die religiöse Landschaft Südosteuropas förderte das erste Panel der wissenschaftlichen Konferenz der „Pro Oriente“-Historikerkommission „Von der Spannung zur Versöhnung“: am Mittwoch zutage. Aus den Beiträgen der Professoren Basilius Jacobus Groen (Universität Graz) und Jochen Töpfer (Freie Universität Berlin) ging hervor, dass sich die religiöse Situation in Südosteuropa nicht so stark von der im übrigen Europa unterscheidet wie vermutet. Die Verbreitung von Fundamentalismus und religiös verbrämtem Nationalismus sei „nicht schlimmer als in anderen Ländern“. Die innere Pluralität der Religionsgemeinschaften – etwa zwischen strenggläubigen Orthodoxen und nur nominellen Christen – sei ebenso groß wie etwa im west- und mitteleuropäischen Katholizismus. Eine Absage wurde auch der im öffentlichen Diskurs weit verbreiteten Ansicht erteilt, die Jugoslawien-Kriege seien in erster Linie „religiös“ – vor allem durch die unterschiedliche Religionszugehörigkeit – motiviert gewesen. In diesem Zusammenhang wurde daran erinnert, dass die meisten südosteuropäischen Ländern jahrzehntelang von kommunistischen Regimen beherrscht wurden, die alle Religionsgemeinschaften einer scharfen Verfolgung aussetzten. Zwei bis drei Generationen hindurch war in diesen Ländern die Religion aus der Öffentlichkeit völlig verbannt, was dramatische Auswirkungen für das Niveau des religiösen Lebens hatte.

Prof. Groen benannte Faktoren, die positive Wirkung entfalten, um Offenheit und Versöhnungsbereitschaft als Grundvoraussetzungen für eine multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft zum Durchbruch zu verhelfen: Bessere Erziehung, Auslandserfahrungen der vielen Arbeitsmigranten, Gebrauch des Internets, internationale Reisetätigkeit, EU-Mitgliedschaft, Auswirkungen der europäischen Gesetzgebung und der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechts-Gerichtshofs. Zweifellos bedeute die Ausbreitung von Individualismus und Pluralismus für die Religionsgemeinschaften Südosteuropas eine große Herausforderung. Auf diesem Hintergrund seien dann Äußerungen zu sehen, wonach „alles Schlechte aus dem Westen kommt“ und in einem Aufwaschen der Ökumenismus als „Summe aller Häresien“ begriffen wird.

Im Gesamtbild des religiösen Panoramas Südosteuropas gebe es zweifellos auch Radikalisierungstendenzen, etwa im islamischen Bereich durch die wahabitische Agitation. Trotzdem gebe es nach wie vor eindrucksvolle Beispiele „interreligiöser Koexistenz“ wie etwa in gemischtreligiösen Dörfern im bulgarischen Rhodopengebirge, wo die Bewohner nach dem Ende des Kommunismus gemeinsam sowohl die verfallenen Kirchen als auch die ruinierten Moscheen restaurierten.

Am Beispiel Griechenlands zeigte Prof. Groen die Konsequenzen der Migrationsbewegung für die religiöse Landschaft auf. So sei die Zahl der Katholiken in Griechenland durch die Zuwanderer von den Philippinen, aus Polen usw. drastisch auf mehr als 300.000 gestiegen, aber diese Kirche sei damit in der Wahrnehmung vieler Griechen eine „Kirche von Ausländern“. Ähnliches gelte für die Muslime. Durch den Vertrag von Lausanne war nur in Westthrakien eine muslimische Minderheit belassen worden, in den letzten Jahrzehnten kamen aber hunderttausende Muslime aus dem Nahen Osten oder Ostafrika nach Griechenland. Die aktuelle griechische Regierung habe einige Konsequenzen gezogen, katholische und muslimische Einrichtungen, die zuvor als illegal galten, wurden legalisiert, die neue Große Moschee in Athen wird gebaut.

Jochen Töpfer wandte bei der Beschreibung des religiösen Panoramas Südosteuropas in Interviews mit katholischen, orthodoxen, muslimischen und protestantischen religiösen Führungspersönlichkeiten (und mit einer atheistisch-agnostischen Kontrollgruppe) soziologische Methoden an. Dabei stellte sich heraus, dass die verschiedenen Meinungstypen in allen Ländern und in allen Religionsgemeinschaften vertreten sind. Besonderes Interesse rief das Ergebnis hervor, dass identitäre Ansichten gerade von jungen Führungspersönlichkeiten vertreten werden, was aber nicht bedeutet, dass alle „Jungen“ in diese Richtung abdriften.

Bei der Eröffnung der Konferenz im Wiener Kardinal-König-Haus erinnerte der Vorsitzende der Historikerkommission, em. Prof. Harald Heppner (Graz), an die bereits seit 16 Jahren andauernden Bemühungen der Kommission, die Auswirkungen konfessioneller Elemente auf die Entwicklung Südosteuropas sichtbar zu machen. Konrad Clewing (Regensburg), der das Konzept der Tagung entworfen hat, verwies darauf, dass die internationale Politik – auch die OSZE und die USA – dem Faktor Religion beim Umgang mit Südosteuropa zu wenig Beachtung geschenkt habe. Die Tagung ziele daher in einem eher unüblichen Format darauf ab, die Vertreter der wissenschaftlichen Forschung und der praktischen Politik miteinander ins Gespräch zu bringen.

Am Mittwochabend waren die Teilnehmenden der „Pro Oriente“-Konferenz in der Diplomatischen Akademie Gäste bei einer vom „Forum für Weltreligionen“ und „Religions for Peace“-Europe ausgerichteten Tagung „Religionen für ein Neues Europa“. Dabei sprach der slowenische Mufti Nedzad Grabus über die Religionsfreiheit als „Herausforderung und Botschaft“. Anschließend waren die Teilnehmenden beider Tagungen Gäste des serbisch-orthodoxen Bischofs Andrej (Cilerdzic) in seiner Residenz in der Veithgasse. Bischof Andrej machte dabei deutlich, dass er auf eine gute Zukunft des ökumenischen und des interreligiösen Dialogs setze.