
Wien, 04.10.17 (poi) Kardinal Christoph Schönborn und Metropolit Arsenios (Kardamakis) hoben am Dienstag beim Empfang von Bundespräsident Alexander van der Bellen für die Repräsentanten der österreichischen Religionsgemeinschaften übereinstimmend die Bedeutung des Religionsunterrichts an den öffentlichen Schulen hervor; ebenso äußerte sich der Bundespräsident. Der rumänisch-orthodoxe Priester Ioan Moga, der an der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien orthodoxe Theologie lehrt, schildert in der Zeitschrift „Religion und Gesellschaft in Ost und West“ die Bedeutung des orthodoxen Religionsunterrichts in Österreich und die Entwicklung der Ausbildung der orthodoxen Religionslehrerinnen und –lehrer. Kinder aus orthodoxen Familien in Österreich besuchen auf allen Schulstufen deutschsprachigen orthodoxen Religionsunterricht. Die Ausbildung der Religionslehrerinnen und -Iehrer wird in Kooperation mit dem Orthodoxen Schulamt seit 2006 an der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule (KPH) Wien/Krems und seit 2015 auch an der Universität Wien angeboten. Der panorthodoxe Ansatz des Religionsunterrichts weitet den Blick der sprachlich-ethnisch geprägten Pfarrgemeinden für eine gemeinsame orthodoxe Identität.
Der orthodoxe Religionsunterricht in Österreich blickt bereits auf eine 25 -jährige Geschichte zurück. Aufgrund der gesetzlichen Grundlage, die den Religionsunterricht an öffentlichen und mit Öffentlichkeitrecht ausgestatteten Schulen als Pflichtgegenstand vorsieht, konnte die seit 1967 gesetzlich anerkannte Orthodoxe Kirche die religiöse Erziehung der orthodoxen Schülerinnen und Schüler österreichweit organisieren. Mit der Gründung des Orthodoxen Schulamtes im Jahre 2005 mündete dieser Prozess in eine institutionelle Struktur. Der damalige griechisch-orthodoxe Metropolit Michael (Staikos), der serbisch-orthodoxe Fachinspektor Branislav Djukaric und der russisch-orthodoxe Diakon (inzwischen Priester) Johann Krammer (der vor allem für die Erarbeitung der Lehrpläne zuständig war) gehörten zu denjenigen, die diese Entwicklung maßgeblich geprägt haben. Inzwischen ist das Orthodoxe Schulamt als eine gemeinsame kirchliche Einrichtung, die für alle rechtlichen, personalen, disziplinären und administrativen Belange des orthodoxen Religionsunterrichtes zuständig ist, der 2010 gegründeten Orthodoxen Bischofskonferenz in Österreich untergeordnet. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der griechisch-orthodoxe Metropolit Arsenios (Kardamakis), ist zugleich Leiter des Schulamtes. Die kirchliche Verantwortung der kirchlich bestellten oder der im staatlichen Vertragsdienst stehenden Religionslehrkräfte wurde von der Orthodoxen Bischofskonferenz in einer „Rahmenordnung für orthodoxe Religionslehrer in Österreich“ im November 2014 festgehalten. Die Entwicklung der Lehrpläne erfuhr mehrere Etappen, inzwischen entsprechen sie den aktuellen Standards einer kompetenzorientierten Lehre. Zurzeit gibt es zirka 12.000 orthodoxe Schüler und Schülerinnen, die in ganz Österreich auf allen Schulstufen am orthodoxen Religionsunterriebt teilnehmen und von knapp 100 Lehrern und Lehrerinnen an fast 900 Standorten unterrichtet werden, Tendenz steigend. Waren es im Schuljahr 2012/13 noch 10.003 Schülerinnen und Schüler, die an 788 Standorten den orthodoxen Religionsunterricht besuchten, so waren es im Schuljahr 2016/17 bereits 12.117 an 896 Standorten.
Die Zahlen lassen jedoch kaum erkennen, mit welchen großen Schwierigkeiten die Organisation des orthodoxen Religionsunterrichts verbunden war und immer noch ist: Der Aufwand der Religionslehrkräfte ist bei Vollzeitbeschäftigung durch die Verteilung auf mehrere, bis zu zwölf zum Teil weit voneinander entfernte Standorte enorm. Hinzu kommt die ständige, mühsame Aufklärungsarbeit einerseits bei den Schuldirektionen zwecks Ermöglichung eines an sich gesetzlich gesicherten Unterrichtsfachs, andererseits bei den Eltern, damit die Kinder am Anfang des Schuljahres nicht aus rein formellen Gründen abgemeldet werden. Da der Lehrplan für die Volksschule biblisch orientiert ist, dienen als zurzeit einzig approbierte Unterrichtsgrundlage zwei biblisch zentrierte Lehrbücher: die 2009 erschienene, für die Volksschule gedachte „Bibel in kurzen Erzählungen“ (mit orthodoxen Gebeten im Anhang) und die 2015 veröffentlichte „Orthodoxe SchulbibeL Evangelien, Apostelgeschichte und ausgewählte Psalmen“, die ab der 5. Schulstufe den Unterricht begleiten soll. Das Entwickeln weiterer Lehr- und Unterrichtsmaterialien gehört zu den wichtigsten Zukunftsaufgaben.
Aufgrund einer relativ starken, durch Migration anwachsenden orthodoxen Minderheit (geschätzt etwa 500.000 Gläubige) in Österreich, sah sich die orthodoxe Kirche zudem mit der Frage der Ausbildung der Religionslehrkräfte konfrontiert. In einer ersten Phase griff man auf Religionslehrer und Theologen zurück, die ihre Hochschulausbildung hauptsächlich im Ausland abgeschlossen hatten. Eine neue Ausbildungsmöglichkeit eröffnete sich durch die Gründung der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule (KPH) Wien/Krems im Jahre 2006, einer pädagogischen Hochschule in privater Trägerschaft. Zu den Trägern zählt neben der römisch-katholischen Kirche, der evangelisch-lutherischen und der evangelisch-reformierten Kirche, der altkatholischen Kirche und den orientalisch-orthodoxen Kirchen auch die orthodoxe Kirche. Im Rahmen des „Instituts für Ausbildung Religion“ konnten seit Herbst 2007 orthodoxe Studierende ein viersemestriges (bzw. wenn berufsbegleitend, ein sechssemestriges) Bachelorstudium zum Religionslehrer abschließen. Die orthodoxen Lehrenden sind Dozenten mit oder ohne Doktorat, von der Provenienz widerspiegeln sie das breite Spektrum der autokephalen Kirchen.
Im Rahmen der gesetzlichen Reform der Lehrerausbildung (2013) wurde jedoch die „klassische“ Ausbildung für Religionslehrkräfte an Volkschulen aufgegeben. Seit 2007 haben 25 Orthodoxe diesen Studiengang abgeschlossen, 33 Studierende sind noch im nunmehr auslaufenden Religionslehrer-Bachelorstudium eingeschrieben. Nach der neuen Ausbildungsform müssen nun Interessenten für den Religionslehrer-Beruf ein vierjähriges Studium „Lehramt im Bereich Primarstufe“ absolvieren, in dessen Rahmen sie einen konfessionellen Schwerpunkt „Religion“ wählen können. Der Schwerpunkt entspricht vom Umfang her einem Viertel des gesamten Studiums. Das hat u. a. den Vorteil, dass Religionslehrer an einer Volksschule zugleich als allgemeine Lehrer arbeiten können. Der große Nachteil, der mit dieser neuen Gesetzesregelung nicht zuletzt auch die Orthodoxen betraf, war und ist, dass Quereinsteigern der Weg in den Beruf des Religionslehrers erschwert wird (das Eignungsverfahren umfasst u. a. auch einen Sporttest). Ein anderer schwerwiegender Kritikpunkt ist, dass die religionspädagogischen und theologischen Inhalte im Vergleich mit der alten Ausbildungsform stark reduziert wurden. Als Folge davon sank die Zahl der neueingeschriebenen orthodoxen Studierenden drastisch. Um dem entgegenzuwirken, gibt es als Zusatzangebot seit Frühjahr 2017 die Möglichkeit, dass Studierende oder Absolventen eines Lehramts-Studiums einen dreisemestrigen Lehrgang „Religion orthodox“ an der KPH besuchen, der mit einem Zertifikat abschließt. Dieses wiederum qualifiziert für eine außerordentliche Lehrbefähigung für Orthodoxe Religion an Pflichtschulen.
Das auslaufende Bachelorstudium für Religionslehrer an der KPH, aber auch der neue Bachelor „Lehrer mit Schwerpunkt Religion“ befähigen für den Unterricht im Pflichtschulbereich. Somit war bis vor zwei Jahren die Lehre im Oberstufenbereich nur einigen, im osteuropäischen Ausland ausgebildeten Religionslehrern oder Theologen vorbehalten. Im Herbst 2015 startete an der Universität Wien ein „orthodoxes Schwerpunktstudium“ im Rahmen des Masterstudiengangs Religionspädagogik, an dem bereits die römisch-katholische und die evangelische Konfession beteiligt waren. Damit besteht zum ersten Mal in der Geschichte der Universität Wien die Möglichkeit, einen Studiengang zu besuchen, der einen konfessionellen orthodoxen Schwerpunkt hat.
Der Masterstudiengang Religionspädagogik ist ein zweijähriges Studium; es setzt einen religionspädagogischen oder theologischen Bachelor voraus und kann nicht mit einem regulären Diplomstudium der Orthodoxen Theologie (wie einmalig im deutschsprachigen Raum an der Universität München angeboten) gleichgesetzt werden. Die allgemein-theologischen und bildungswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen sind dem römisch-katholischen Curriculum entnommen, die spezifisch orthodoxen Lehrveranstaltungen unterschiedlicher theologischer Fächergruppen werden hingegen von orthodoxen Dozenten angeboten. Somit entsteht auch die notwendige ökumenische Perspektive in Lehre und Forschung.
Die Katholisch-Theologische Fakultät förderte durch ihre Dekane und den Ostkirchenkundler (und „Pro Oriente“-Vizepräsidenten) Prof: Rudolf Prokschi von Anfang an dieses Projekt; die Orthodoxe Bischofskonferenz setzte sich bei jeder Sitzung damit auseinander. Das Zustandekommen dieses universitären orthodoxen Schwerpunkts war alles andere als einfach, vor allem weil an der Universität eine feste Stelle für orthodoxe Lehre und Forschung fehlte. Im Frühjahr 2016 jedoch wurde an der Katholisch-Theologischen Fakultät eine „TenureTrack-Stelle“ für „Orthodoxe Theologie – Systematische Theologie“ ausgeschrieben und im Februar 2017 besetzt, die u. a. für die Koordination des orthodoxen Schwerpunkts und die Abdeckung eines Teils der orthodoxen Lehre verantwortlich ist. Das Lehrangebot wird durch orthodoxe Lehrbeauftragte ergänzt, die durch Drittmittel des Vereins „Pro Oriente“ finanziert werden.
Gerade weil die in Österreich lebenden orthodoxen Kinder und Jugendlichen viel stärker von aktuellen westeuropäischen Fragestellungen geprägt sind, ist eine Ausbildung der Religionslehrkräfte an einer inländischen Universität unabdingbar. Der interkulturelle und interreligiöse Kontext, die westeuropäische Wissenschaftskultur, die forschungs- und kompetenzorientierte Lehre, die Auseinandersetzung mit gesellschaftsrelevanten Themen und die panorthodoxe Weite sind wesentliche Konstanten dieser universitären Ausbildung.
Ein panorthodoxes Projekt mit Zukunftspotenzial
Am wichtigsten bei der Entwicklung des orthodoxen Religionsunterrichts in Österreich und bei den Ausbildungsangeboten ist die Tatsache, dass es sich um ein einmaliges panorthodoxes Projekt handelt. Das tief in den Köpfen vorhandene Vorurteil, dass „Orthodoxie“ immer mit einer „ethnischen“ Zugehörigkeit einhergehen muss, wird hier ein für alle Mal entkräftet. Die gemeinsame Verantwortung für die nächste Generation hat die orthodoxen Diözesen und Verantwortlichen in Österreich zusammengeschweißt. Der Religionsunterricht ist somit der Ort schlechthin, wo auch beim „Kirchenvolk“ (in diesem Fall: Eltern und Kinder) die Einheit der Orthodoxie zur gelebten Realität wird: Da steht zum Beispiel eine aus Rumänien stammende Lehrerin vor einer Klasse mit Kindern, die aus Serbien, Griechenland, Bulgarien oder Russland stammen. Das ist psychologisch und religionssoziologisch gesehen alles andere als selbstverständlich. Für die jeweiligen Kinder steht die Teilnahme am immer noch sprachlich-ethnisch geprägten Leben der jeweiligen Pfarrgemeinde in einer guten Komplementarität zum panorthodoxen und deutschsprachigen Kontext des Religionsunterrichts. Ohne eine akademische, dem hiesigen Wissenschaftsdiskurs gewachsene und ökumenisch aufgeschlossene Ausbildung als Religionslehrkraft wäre eine solche Herausforderung nicht zu bewältigen. Die orthodoxen Religionslehrerinnen und –lehrer sind also – mehr als die Gemeindepriester – diejenigen, die in der Diaspora das Bewusstsein und die Erfahrung der Einheit der Orthodoxie vermitteln. Somit wird – auf der Grundlage der allen gemeinsamen deutschen Sprache – nicht nur Integration gelebt, interreligiöse Verständigung ermöglicht und konfessionelle Identität gepflegt, sondern es wird langsam auch ein neuer orthodoxer „Kulturtyp“ gebildet: eine kulturell in Mittel- bzw. Westeuropa angekommene, die Vielfalt der ursprünglichen sprachlich-nationalen Traditionen bejahende, diese aber zugleich übersteigende Identität.