Sorge über die Krise des armenisch-apostolischen Patriarchats Konstantinopel

Oberster Rat des Katholikosats von Etschmiadzin sieht „interne Spaltungen“, die der Einmischung „externer Mächte Tür und Tor geöffnet“ hätten – Türkische Behörden blockieren Wahl eines Nachfolgers für den schwerkranken Patriarchen Mesrob II.

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Foto: © Tzolag Hovsepian (Quelle: Wikimedia, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International)

Istanbul, 28.02.18 (poi) Die Krise des armenisch-apostolischen Patriarchats von Konstantinopel sei vor allem auf interne Spaltungen zurückzuführen, die jedoch der Einmischung „externer Mächte und Gruppen“ Tür und Tor geöffnet hätten. Dies betonten die Mitglieder des Obersten Rates des Katholikosats von Etschmiadsin unter Leitung von Katholikos-Patriarch Karekin II bei ihrer letzten Sitzungsrunde, die den jüngsten Entwicklungen in Konstantinopel gewidmet war, die zur Unterbrechung des Prozesses für die Wahl eines neuen armenischen Patriarchen für die Bosporus-Metropole geführt hatten. Der neue Patriarch soll Mesrob II. Mutafyan nachfolgen, der seit 2008 durch eine neurologische Erkrankung an der Ausübung des Amtes gehindert ist.

Alle, die im Patriarchat vom Konstantinopel verantwortliche Positionen innehaben, müssten persönliche Interessen und Konflikte beiseite legen, die türkische Regierung wiederum müsse dem Patriarchat erlauben, den Prozess für die Wahl eines neuen Patriarchen wieder aufzunehmen, heißt es in der Erklärung der Mitglieder des Obersten Rates. Anfang Februar hatte das Amt des Gouverneurs (Vali) von Istanbul den Wahlprozess praktisch annulliert. Die türkischen Behörden entschieden, dass die „notwendigen Voraussetzungen nicht gegeben sind“, um einen Wahlprozess durchzuführen, da Patriarch Mesrob II. noch lebt und die türkischen Rechtsvorschriften vorsehen, dass ein neuer armenischer Patriarch nur gewählt werden kann, wenn das Amt nach dem Tod des Vorgängers nicht besetzt ist.

Der Schritt der türkischen Behörden hat in der armenischen Community von Konstantinopel zu heftigen Reaktionen geführt. Die zweisprachige Wochenzeitung „Agos“ schrieb in einem Leitartikel, dass die Entscheidung der Behörden die Beziehungen zwischen der armenischen Gemeinschaft und dem türkischen Staat beeinträchtige. Der Vorfall sei eine schwerwiegende Einmischung der Behörden „in die inneren Angelegenheiten der armenischen Kirche“.

Nach der im März 2017 erfolgten Wahl von Erzbischof Karekin Bekdjian (Bekciyan) als neuer „Locum tenens“ des Patriarchats – anstelle von Erzbischof Aram Ateshyan – und der Einsetzung eines mit der Fortführung des Wahlprozesses beauftragten Komitees blieben alle offiziellen Eingaben des Patriarchats an die türkischen Behörden unbeantwortet. Schon bald sei die Aversion der türkischen Behörden gegen Erzbischof Bekdjian spürbar geworden, heißt es in einem Bericht der katholischen Nachrichtenagentur „Fides“.

Bereits 2010 war klar geworden, dass Mesrob II. nie mehr sein Amt würde ausüben können. Also wurden in den zuständigen armenischen Kirchengremien zwei Möglichkeiten diskutiert: Neuwahl eines Patriarchen oder Wahl eines Ko-Patriarchen auf Lebenszeit von Mesrob II., um die laufenden Agenden des Patriarchats erledigen zu können. Die türkischen Behörden schlugen aber die Wahl eines Generalvikars des Patriarchats vor. Daraufhin wurde Aram Atesyan vom Geistlichen Rat des Patriarchats gewählt. Im Oktober 2016 begann der Geistliche Rat mit dem Wahlprozess für die Neuwahl eines Patriarchen. Es kam zu schwierigen innerkirchlichen Diskussionen. Schließlich votierte der Geistliche Rat für die Wahl eines „Locum tenens“, der zugleich den Wahlprozess leiten sollte. Bei der Wahl am 15. März 2017 setzte sich Erzbischof Bekdjian gegen die drei anderen Kandidaten – unter ihnen Atesyan – durch. Aber schon wenige Augenblicke nach der Wahl legte Erzbischof Atesyan eine Fax-Nachricht des Vali von Istanbul vor, in der darauf verwiesen wurde, dass es „vom Gesetz her“ nicht möglich sei, den Wahlvorgang für einen neuen armenischen Patriarchen fortzusetzen; Atesyan müsse weiterhin als patriarchalischer Generalvikar fungieren. In der Folge kam es zu einem Tauziehen zwischen Atesyan und Bekdjian, das erst endete, als der Geistliche Rat im Juni 2017 mit 22 zu 2 Stimmen beschloss, Atesyan von seiner Funktion als Generalvikar abzuberufen.

Laut „Agos“ wurde aber die Funktion von Erzbischof Bekdjian von den türkischen Behörden ignoriert. Die einzigen Kontakte liefen über den prominenten armenischen Geschäftsmann Bedros Sirinoglu. Das frustrierte Wahlkomitee, das nicht tätig werden konnte, legte schließlich im Februar Protest gegen die Haltung des Innenministeriums ein. Daraufhin schrieb das Amt des Vali von Istanbul am 6. Februar an das Patriarchat, dass die Bedingungen für die Wahl eines neuen armenischen Patriarchen nach wie vor nicht vorhanden seien und dass Erzbischof Atesyan weiterhin als Generalvikar des Patriarchats betrachtet werde. Tags darauf, am 7. Februar, wurden die Vorstandsmitglieder der armenischen „Vakiflar“ (der frommen Stiftungen) und der Rechtsberater des Patriarchats zu einem Gespräch mit Innenminister Süleyman Soylu und dem Vali Vasip Sahin vorgeladen. Der Rechtsberater machte klar, dass der Geistliche Rat des Patriarchats nach den Prinzipien des armenischen Kirchenrechts gehandelt habe, der Innenminister berief sich aber auf einen Beschluss des türkischen Ministerrats vom 29. Juni 2010, demzufolge Erzbischof Atesyan „bis zum Tod von Mesrob II.“ Generalvikar des Patriarchats bleiben werde. Als die Repräsentanten der armenischen „Vakiflar“ auf der Notwendigkeit der Patriarchenwahl insistierten, erklärte der Innenminister, er werde die Sorgen der armenischen Community Staatspräsident Recep T. Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim vortragen. „Wir müssen uns in ungefähr einem Monat wieder treffen“, meinte Soylu nach dem dreistündigen Gespräch im Ciragan-Palast in Istanbul.

Aber schon am 9. Februar setzte der Geistliche Rat des Patriarchats Erzbischof Atesyan wieder in sein Amt als Generalvikar des Patriarchats ein. Am 13. Febuar kehrte Erzbischof Bekdjian nach Deutschland zurück und beschrieb das Eingreifen der türkischen Behörden in den Wahlprozess als „lang geplante Kampagne“, um die 85. Wahl eines armenischen Patriarchen von Konstantinopel zu sabotieren.

Große Geschichte

Das seit dem 15. Jahrhundert bestehende armenisch-apostolische Patriarchat von Konstantinopel hat eine große Geschichte. 1914 stand der armenische Patriarch von Konstantinopel 55 armenisch-apostolischen Diözesen mit 1.778 Pfarrgemeinden und rund 1,5 Millionen Gläubigen vor. Dazu kamen noch die armenischen Diözesen in Zypern, Bulgarien, Rumänien und Griechenland. Auch das bis zu den Gräueln von 1895 bestehende Katholikosat von Aghtamar am Van-See war nach Wiederherstellung der Ordnung im Patriarchat von Konstantinopel aufgegangen.

Während des Ersten Weltkrieges und dem Vernichtungsfeldzug der jungtürkischen Partei „Ittihad ve Terakki“ gegen die Armenier war das Patriarchat von Konstantinopel vorübergehend aufgelöst. Ein staatliches Gesetz vom 1. August 1916 schuf ein kurzlebiges Katholikosat von Jerusalem als geistliches Oberhaupt aller Armenier des Osmanischen Reiches. Zum ersten Jerusalemer Katholikos-Patriarchen wurde Sahag II. Khabayan ernannt, der exilierte Katholikos von Kilikien. Der amtsenthobene Patriarch Zaven Der Yeghiayan von Konstantinopel (1913–1922) erhielt Bagdad als Wohnsitz angewiesen. 1919 kehrte er aus dem Exil in sein Amt zurück, trat unter Druck 1922 zurück und floh nach Bulgarien.