Sorge um die Madonna von Philermos

Mitarbeiter des Nationalmuseums Cetinje berichtet von „katastrophalem Zustand“ des als wundertätig geltenden Gnadenbildes, das von Orthodoxen und Katholiken verehrt wird

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Foto ©: Unbekannt (Quelle: Wikimedia, Lizenz: Public domain)

Podgorica-Wien, 09.12.17 (poi) Die Ikone der Madonna von Philermos – die auch vom Malteser-Ritterorden besonders verehrt wird – ist in Gefahr. Wie der österreichische Orthodoxe Informationsdienst (OID) unter Berufung auf die serbisch-orthodoxe Metropolie Montenegro (Crna Gora) meldet, befindet sich die seit Jahrzehnten im Nationalmuseum Cetinje aufbewahrte Ikone „in einem katastrophalen Zustand“. Der zuständige Museumstechniker Aleksandar Berkuljan berichtete u.a. davon, dass die Ikone mit einem Schraubenzieher traktiert worden sei, es gebe auch Beschädigungen durch ein Skalpell. Die Beschädigungen mit dem Schraubenzieher führt Berkuljan darauf zurück, dass die Ikone in den 1990er-Jahren zu Forschungszwecken aus dem Originalrahmen entnommen wurde. Damals sei „unkundig“ gehandelt worden. Der Schaden sei bis heute nicht behoben. Wörtlich heißt es im Bericht Berkuljans: „Während der Expertise schon vor einigen Jahren habe ich gesehen, dass die Ikone in einen schrecklichen Zustand ist. Damals habe ich einige Aufnahmen mit polarisiertem Licht gemacht, d. h. ich habe bestimmte Filter verwendet und die Makro- und Mikrostruktur gefilmt. Sie zeigen, dass die Oberfläche der Ikone extrem degradiert ist“. Das Bild sei in enkaustischer Technik mit Wachsfarben gemalt, mit einer in Wachs gebundenen Tinktur. Lange Zeit habe man vermutet, dass das Bild in den klassischen Techniken Öl auf Leinwand oder Tempera gemalt worden sei. Die Farben hätten, so Berkuljan, große Beschädigungen erlitten, in der Vergrößerung zeige sich eine schuppenartige Oberfläche, die abzufallen droht. Die Ikone weise keine Grundierung auf, „die Farbfläche wurde direkt auf das grobe Juteleinen aufgetragen, das analysiert werden kann und mit dem so die genaue Entstehungszeit ergründet werden könnte“.

Berkuljan konstatierte, dass Montenegro nicht genügend technische und fachliche Kapazitäten besitzt, um den weiteren Verfall der Ikone aufzuhalten oder sie zu restaurieren: „Soweit es mir bekannt ist, beschäftigt sich bei uns niemand mit Enkaustik oder mit der Konservation von Wachsfarben. Hier besteht auch das Problem der Temperatur. Wenn die Temperatur zu hoch ist, besteht die Gefahr, dass die Farbe schmilzt oder abfällt“.

Erzpriester Nikola Pejovic von der Metropolie von Crna Gora betonte, dass die derzeitige „Säkularisierung“ der als wundertätig geltenden Ikone niemanden etwas Gutes bringen kann. Daher sei zu hoffen, dass die Ikone – die vermutlich auf die Antike zurückgeht – an die Kirche zurückgegeben wird. Der „Ort des Gebets“ sei der Platz, der der kostbaren Ikone gebühre.

Von Rhodos bis nach Cetinje

Nach der Tradition wurde die Ikone Mitte des 1. Jahrhunderts in Ephesos, im Haus des Heiligen Apostels Johannes des Theologen, vom Heiligen Evangelisten Lukas gemalt. Von Ephesos kam die wundertätige Ikone der Gottesmutter in eine Kapelle auf dem Berg Philermos auf der Insel Rhodos. Um 430 sei die Ikone von Kaiserin Eudokia in die Marienkirche des Blacherne-Palasts nahe dem Goldenen Horn gebracht worden. Vermutlich wurde die Madonna von Philermos beim 4. Kreuzzug von westlichen Rittern gestohlen. Auf Umwegen kam die Ikone wieder auf die Insel Rhodos. Als die Johanniter nach ihrer Vertreibung aus dem Heiligen Land 1306/09 die Insel Rhodos eroberten, begannen sie die Madonna von Philermos als ihr besonderes Gnadenbild zu verehren. Im Jahr 1523 wurde der Orden durch die Osmanen von der Insel Rhodos vertrieben und verlegte 1530 seinen Sitz nach Malta. Dorthin überführten sie auch die Ikone der Madonna von Philermos sowie zwei weitere wichtige Reliquien, die heute auch in Cetinje sind – ein Teil des Kreuzes Jesu und die rechte Hand Johannes des Täufers. Die Ikone wurde auf Malta zunächst in der Kirche San Lorenzo in Birgu verehrt, später (bis 1798) in der Kirche Santa Maria della Vittoria in La Valletta.

Nach der Eroberung Maltas durch Napoleon mussten die Ritter – die sich inzwischen Malteser nannten – fliehen; die Madonna von Philermos und die beiden Reliquien gehörten zu den wenigen Kostbarkeiten, die der Großmeister Ferdinand von Hompesch mitnehmen durfte. Viele Malteser fanden in Russland Zuflucht.1799 wurden die Ikone und die beiden heiligen Reliquien Zar Paul I. geschenkt, der inzwischen – obwohl verheiratet und orthodox – von einer Fraktion innerhalb des Malteserordens zum Großmeister gewählt worden war. Paul I. nahm seine Verpflichtungen sehr ernst. U.a. errichtete er im Palastkomplex von Gatschina (der heute wieder als Kadettenschule dient) eine zweistöckige Malteserkirche, die zu ebener Erde dem katholischen, im 1. Stock dem orthodoxen Gottesdienst diente. Nach der Ermordung von Zar Paul wurde die Ikone der Madonna von Philermos in den Winterpalast nach St. Petersburg transferiert. Die Ikone und die Reliquien verblieben in Russland 120 Jahre bis sie wegen der bolschewistischen Machtübernahme über Estland nach Kopenhagen, in das Exilquartier der Zarin-Mutter Maria Feodorowna, gebracht wurden.

In der Folgezeit befanden sich die Ikone und die Reliquien in der russisch-orthodoxen Kathedrale in Berlin, ehe sie 1932 der exilierte Metropolit von Kiew (und Vorsitzende der Synode von Sremski Karlovci, die sich um die Seelsorge der Flüchtlinge aus Russland in aller Welt kümmerte), Antonij Khrapowitskij, König Aleksandar I. von Jugoslawien als Dank für die Aufnahme zehntausender russischer Flüchtlinge übergeben wurden. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden die Ikone und die Reliquien in der Schlosskapelle des Heiligen Andreas in Belgrad-Dedinje aufbewahrt. Im Hinblick auf die bevorstehende Invasion durch NS-Deutschland und seine Verbündeten wurden die Ikone und die Reliquien Anfang April 1941 vom jungen König Petar II. in das montenegrinische Kloster Ostrog bei Niksic transferiert. Bis 1952 wurden Ikone und Reliquien in der Mönchszelle des Abtes Leontije Mitrovic gehütet. Zwischen 1952 und 1978 befanden sich Ikone und Reliquien im Gewahrsam der tito-kommunistischen Geheimpolizei, ehe sie schließlich an das Kloster Cetinje übergeben wurden, wobei die Ikone aber in das ortsansässige Nationalmuseum gebracht wurde.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ließ Zar Nikolaus I. eine Kopie der Madonna von Philermos anfertigen, die bei Prozessionen und öffentlichen Gottesdiensten verehrt wurde, weil das Original möglicherweise schon damals in einem prekären Zustand war. Diese Kopie landete später in der Basilika Santa Maria degli Angeli in Assisi.