Synodalität und ihre praktische Umsetzung

Internationale Tagung als Probelauf für das neue „Zentrum für das Studium der Ostkirchen“ in Fribourg, dessen offizieller Gründungsakt am 6. Dezember erfolgen soll – Prof. Barbara Hallensleben: „Vielfalt der Ausdrucksformen synodaler kirchlicher Praxis in Ost und West hat selbst die Fachleute überrascht“

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Foto ©: Norbert Aepli, Switzerland (Quelle: Wikimedia, Lizenz: Creative Commons Attribution 2.5 Generic)

Genf, 20.11.17 (poi) Wie Kirchen in Ost und West bei Synoden zu Entscheidungen gelangen, war von 16. bis 18. November Gegenstand einer hochrangig besetzten internationalen Tagung an der Universität Fribourg. Die Vielfalt der Ausdrucksformen synodaler kirchlicher Praxis, die bei der Tagung „Synodalität und ihre praktische Umsetzung – ein theologischer Topos für die Kirche in Ost und West“ zutage trat, habe selbst die Fachleute überrascht, betont die Organisatorin der Tagung, die in Fribourg lehrende Dogmatik- und Ostkirchenexpertin Prof. Barbara Hallensleben. Vertreter von 13 autokephalen orthodoxen Kirchen stellten ihre jeweiligen Praxismodelle von Synodalität vor. Auf katholischer Seite habe sich gezeigt, dass auch die westliche Tradition reichhaltige Formen synodalen Handelns kennt, „auch wenn sie nicht immer im vollen Ausmaß praktiziert werden“. Die Frage der „Synodalität“ gewinnt in den letzten Jahren an Bedeutung: in den ökumenischen Dialogen, aber auch in dem Diskurs über eine der modernen Gesellschaft entsprechende Ekklesiologie, in der partizipative Prozesse konstitutiver Bestandteil der Leitungsstruktur der Kirche sind.

Die Fragen, die bei der Tagung aufkamen, betrafen unter anderem die Entscheidungskompetenzen von Synoden, die in der lateinischen Kirche eher beratenden Charakter, in der orthodoxen Tradition hingegen weitreichende Vollmachten haben. Als Grundfrage habe sich herausgestellt, wie Synoden den jeweiligen Kirchen dabei helfen, das Evangelium besser zu verkündigen und zu leben. Der französische Ökumeniker und Dominikanerpater Herve Legrand formulierte als Schlusswort, die Kirchen verwendeten ihre Differenzen heute „nicht mehr zur gegenseitigen Abgrenzung, sondern wir haben gemeinsame Probleme entdeckt, die wir auch gemeinsam behandeln sollten“.

Die Tagung war auch ein Probelauf für das neue „Zentrum für das Studium der Ostkirchen“, dessen offizieller Gründungsakt am 6. Dezember – dem Fest des Heiligen Bischofs Nikolaus von Myra, der auch Patron der Stadt Fribourg ist – erfolgen soll. Das neue Zentrum resultiert aus der langjährigen Zusammenarbeit des Instituts für Ökumenische Studien (ISO) an der Theologischen Fakultät Fribourg mit den Kirchen des Ostens. In diesem Jahr konnte das Institut etwa zum ersten Jahrestag der Begegnung zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill von Moskau am 12. Februar 2017 einladen, mit Kardinal Kurt Koch und Metropolit Hilarion (Alfejew) als Hauptrednern. Am 24. April folgte dann der Besuch des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. aus Anlass der seit 20 Jahren bestehenden Zusammenarbeit zwischen dem Institut für höhere Studien in orthodoxer Theologie in Chambesy und der Theologischen Fakultät Fribourg. Auf diesem Hintergrund beschlossen das Institut für Ökumenische Studien und die Theologische Fakultät, diesem Schwerpunkt in Forschung und Lehre eine institutionelle Form zu geben und stimmten der Gründung eines „Zentrums für das Studium der Ostkirchen“ am Institut für Ökumenische Studien zu.

Die Idee für die Tagung „Synodalität und ihre praktische Umsetzung“ war aus der Arbeit der internationalen Kommission für den offiziellen theologischen Dialog zwischen katholischer und orthodoxer Kirche hervorgegangen: Die Kommission (zu deren Mitgliedern Prof. Hallensleben zählt) verabschiedete im September 2016 in Chieti ein Dokument zum Thema „Synodalität und Primat im ersten Jahrtausend. Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Verständnis im Dienst an der Einheit der Kirche“. Prof. Hallensleben verweist darauf, dass im Rahmen der offiziellen Gespräche häufig der Primat im Vordergrund steht, während über die konkrete synodale Praxis der Ostkirchen wenig bekannt sei. So kam es zu der Entscheidung, in akademischer Perspektive, zugleich aber als Unterstützung der Arbeit der internationalen theologischen Gesprächskommission, eine Tagung zur Synodalität zu veranstalten. Bewusst wurden dabei für den katholischen Zugang Referenten aus dem Bereich des lateinischen Kirchenrechts (CIC 1983) wie auch aus dem Bereich der katholischen Ostkirchen (auf der Grundlage des Ostkirchenrechts CCEO 1990) eingeladen. Von den vierzehn eingeladenen autokephalen orthodoxen Kirchen sagten dreizehn ihre Teilnahme zu; es fehlte nur die Kirche Tschechiens und der Slowakei. Hinzu kam als Vertreter der orientalisch-orthodoxen Kirchen Mor Polycarpus Aydin, syrisch-orthodoxer Metropolit in den Niederlanden. Als protestantischer Beobachter wirkte Prof. Pierre Gisel mit. Er vertrat zugleich zusammen mit P. Herve Legrand die „Académie internationale des sciences religieuses“, in der sich bereits der verstorbene Metropolit der Schweiz (und Vorkämpfer der Ökumene) Damaskinos Papandreou engagiert hatte.

In ihrer Arbeitsweise ging die Tagung bewusst von der Praxis der Synodalität aus, um die theologischen Strukturen aus dem konkreten kirchlichen Leben zu erheben. Einige Referenten zeigten sich erstaunt und dankbar, dass sie vielfach erst durch diese Fragestellung den Reichtum der synodalen Strukturen ihrer Kirche entdecken konnten, berichtet Prof. Hallensleben. Aufbau und Ablauf der Tagung waren durch ein Vorbereitungskomitee erarbeitet worden, bestehend aus Erzbischof Job (Getcha; orthodoxer Ko-Präsident der internationalen Dialogkommission), der Kirchenrechtlerin Prof. Astrid Kaptijn, Prof. Barbara Hallensleben, P. Thomas Pott OSB (Abtei Chevetogne), P. Patriciu Vlaicu (rumänisch-orthodoxe Kirche) und Bischof Dimitrios Salachas (emeritierter Apostolischer Exarch für die Unierten in Griechenland und Experte für das kanonische Recht). Beteiligt waren auch einige orthodoxe Doktorierende der Theologischen Fakultät Fribourg. Um möglichst viele Stimmen integrieren zu können, war neben den „Rednern“ auch eine größere Zahl von „Experten“ eingeladen, die durch ihre Rückfragen und Diskussionsbeiträge zur Auswertung des Gehörten betrugen, so Prof. Hallensleben.

„Zentralachse des kirchlichen Lebens“

Von besonderer Bedeutung war auch das Grußwort des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I., das vom Metropoliten für die Schweiz, Jeremias (Kaligiorgis), vorgetragen wurde. Bartholomaios I. bezeichnet darin die Synodalität als „Zentralachse“ des kirchlichen Lebens. Nach orthodoxer Auffassung sei die Kirche „prinzipiell synodal“. Ihr sakramentales und kulturelles Leben, ihre innere Struktur, ihre Organisation, ihr Wort, ihre Diakonie und ganz generell das Zeugnis der Kirche in der Welt stellten verschiedene Aspekte und Ausdrucksformen ihrer ursprünglichen Synodalität dar. Nur wenn man diesen ekklesiologischen Aspekt der synodalen Natur der Kirche in Betracht ziehe, könne man die Funktion der Synoden verstehen. Die Synodalität sei aber auch „fundamentaler Ausdruck und Garantie“ der Einheit der Kirche, so der Patriarch. Die synodale Institution stelle das sichtbare Band der Einheit und Gemeinschaft zwischen den autokephalen orthodoxen Kirchen dar. Ohne Synodalität sei die Einheit der Kirche – mit sehr negativen Konsequenzen für ihr Leben und ihr Zeugnis – gestört. Zugleich erinnerte Bartholomaios I. aber auch daran, dass es eine „essenzielle Verbindung“ zwischen Synodalität und Eucharistie gibt. Diese enge Verbindung zeige sich vor allem in der Annahme der synodalen Entscheidungen durch die Gläubigen.

Zur Vorbereitung der Tagung war ein Fragebogen erarbeitet worden, der die Aufmerksamkeit auf die wichtigsten Dimensionen des Themas lenkte: die historische Entwicklung der Synodalität; die Anwendung der Reglements im kirchlichen Leben, vor allem im Hinblick auf die Wege zur Entscheidung und deren Umsetzung; die Repräsentation des kirchlichen Lebens in der Synode (durch Bischöfe allein oder auch durch Laien); die Verantwortung des Protos (Vorsitzenden) in der konkreten synodalen Arbeit; gängige theologische Interpretationen und offizielle kirchenrechtliche Dokumente im jeweiligen Kontext; Einflüsse durch das Verhältnis zwischen Kirche und Staat; und nicht zuletzt: das Verhältnis zwischen der lokalen synodalen Praxis (Diözese, Region, autokephale Kirche) und der universalkirchlichen Ebene, wie sie etwa durch die panorthodoxe Synode von Kreta im Juni 2016 zum Ausdruck kommt.

In der abschließenden Auswertung stellte sich die Grundfrage heraus: Wie helfen synodale Strukturen und die synodale Praxis den Kirchen, das Evangelium besser zu verkündigen und zu leben? Die kirchenrechtlichen Gestalten sind lebensförderlich, dürfen aber nicht von der liturgischen Dimension des kirchlichen Lebens und von anderen Ausdrucksformen kirchlicher Communio losgelöst werden. Ein dichter Moment der Tagung entstand, so der Bericht von Prof. Hallensleben, als der unierte Bischof Dimitrios Salachas zu einem orthodoxen Referenten sagte: Wir Unierte müssen zugeben, dass wir aus einem „gescheiterten“ Unionsversuch hervorgegangen sind. Der orthodoxe Theologe Paul Meyendorff zog Bilanz: Wenn wir Orthodoxe untereinander so viele verschiedene Ausdrucksformen der Synodalität haben und uns darüber erst verständigen müssen, und wenn auch Katholiken über diese Themen offen diskutieren, dann sollten wir uns fragen, ob unsere Unterschiede uns wirklich trennen.