Syrien: Drückende Not, aber Wille zum Wiederaufbau

Der in Wien tätige melkitische griechisch-katholische Priester Hanna Ghoneim, Initiator der von Kardinal Christoph Schönborn ins Leben gerufenen „Korbgemeinschaft – Hilfe für Syrien“, analysierte bei Heimatbesuch die Situation

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Foto: Zerstörte Straßenzüge nach einem Granatenangriff in Damaskus © Caritas International

Damaskus-Wien, 04.03.19 (poi) Eine ernüchternde Bilanz der Situation in Syrien hat der in Wien tätige melkitische griechisch-katholische Priester Hanna Ghoneim bei seinem jüngsten Syrien-Besuch gezogen. Zugleich ist der Priester, Initiator der von Kardinal Christoph Schönborn ins Leben gerufenen „Korbgemeinschaft – Hilfe für Syrien“, überzeugt, dass es Zeit wird, Projekte zum Wiederaufbau seines Heimatlandes anzugehen. Ein solches Projekt ist der Aufbau einer Regionalbäckerei in Maaruneh.

Bei seinem jüngsten Syrien-Aufenthalt war der Priester dort, wo die Not am drückendsten ist. Er besuchte Schulen, Kindergärten, hilfsbedürftige Familien, Pfarrgemeinden, ein Altenheim, sogar ein Gefängnis. Er führte Gespräche mit Priestern, Ordensleuten, Bischöfen und Freunden, die von ihren Problemen und Nöten erzählten. Bei allen Gesprächen fiel ihm auf, dass die Leute in den diversen Räumlichkeiten noch mehr als sonst fröstelten, obwohl sie dick eingemummt waren. Wohnungen, Schulen, Kindergärten und Altenheime seien trotz der Kälte nur sehr sparsam beheizt gewesen. Heizöl sei in der Winterzeit überall Mangelware. Der Staat gewähre zwar pro Familie ein Kontingent von 200 Liter pro Heizsaison, aber wenn diese Menge, die bei weitem nicht reicht, aufgebraucht ist, bekomme man Heizöl nur noch auf dem Schwarzmarkt. Dort variiere der Preis je nach Nachfrage. Auch die Gasversorgung mache Probleme. Alle zwei Monate dürfe eine Familie drei Gasflaschen vom staatlichen Kontingent kaufen. Um dort eine Gasflasche zu umgerechnet 6,50 Euro zu erhalten, müsse man einen halben Tag in der Warteschlange ausharren. Auf dem Schwarzmarkt koste die Flasche bis zu 16 Euro. Der Strom falle vielerorts immer wieder aus. Die Haushalte in den Dörfern würden bei der Versorgung nachrangig gereiht. Pfarrer Ghoneim erlebte in seinem Heimatdorf Maaruneh zwei volle Tage fast ohne Strom.

Die Energieknappheit sei aber nur eines der Probleme, mit denen Familien vor allem im Winter zu kämpfen haben. Die Kälte verursache immer wieder Erkrankungen. Durch den oftmaligen abrupten Energieausfall würden viele Geräte schneller kaputtgehen, was – etwa bei Kühlschränken – auch schwere Gesundheitsschäden mit sich bringen könne. Die Armut sickere in jedes Haus ein. Pfarrer Ghoneim: „Die Jungen sind ständig auf der Suche nach Arbeit. Wenn sie welche bekommen, dann werden sie ausgenützt und sehr schlecht bezahlt. Häufig sieht man Kinder arbeiten, was rechtlich eigentlich verboten ist. Wenn die Jungen auswandern, bleibt oft nichts anderes übrig, als die Kinder zur Arbeit heranzuziehen, anstatt sie in die Schule zu schicken. Die Armut verursacht auch viele emotionale Spannungen und Zerrüttungen innerhalb der Familien. In den Armenvierteln kommt es oft vor, dass in einer kleinen Wohnung zwei oder sogar drei Familien auf engstem Raum zusammenwohnen müssen, weil die einzelnen Familien die Mietkosten allein nicht bewältigen können“. Nicht wenige junge Menschen hätten Bedenken, überhaupt Familien zu gründen, weil sie nicht wissen, ob und wie sie in dieser Armutssituation für Kinder sorgen können. Die meisten dächten für ihre Zukunft ans Ausland.

Bei seinem letzten Syrien-Aufenthalt besuchte Pfarrer Ghoneim zwei Schulen. Dort fiel ihm sofort auf, dass selbst einfaches Schulmaterial (Papier, Kreide, Bürobedarf) fehlt. Der Staat habe diese Dinge früher finanziert, könne aber derzeit keine Zuschüsse leisten. Auch in den Schulen mangle es an Heizöl. Ghoneim erfuhr, dass in diesem Winter die Kinder schon einmal 15 Tage zu Hause bleiben mussten, weil die Temperaturen sehr frostig und die Klassenzimmer zu kalt waren. Die Lehrerinnen und Lehrer würden schlecht bezahlt und hielten Ausschau nach besseren Verdienstmöglichkeiten. Kindergärten seien in Syrien nicht staatlich, sondern privat bzw. kirchlich. In allen drei der von ihm besuchten Kindergärten mangelte es an Platz und an Spiel-, Bastel- und Schreibmaterial, berichtete Pfarrer Ghoneim. Die Räume seien renovierungsbedürftig. Die Kindergartengebühr aufzubringen, sei für viele Eltern nicht immer möglich.

Beim Besuch eines Altenheimes in Maaret Sednaya in der Nähe von Damaskus sah Pfarrer Ghoneim die Not sehr deutlich. Seit Jahren könne sich das Heim keine Reparaturen mehr leisten, weder am Gebäude noch an den Installationen oder an den Gerätschaften. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner könnten nicht mehr zahlen, weil ihre Angehörigen ausgewandert seien. Die Versorgung sei in allen Bereichen schlecht. Es sei schwierig, Pflegepersonal zu finden, das bei den desperaten Verhältnissen und der schlechten Bezahlung bereit ist, auf Dauer zu bleiben.

Pfarrer Ghoneim hatte – wie bei früheren Besuchen – Gelegenheit, viele Gespräche mit Pfarrern zu führen, um sich nach den dringendsten Bedürfnissen für die pastorale Arbeit zu erkundigen. Eine zentrale Sorge der Pfarrer sei die auswanderungswillige Jugend. Diejenigen, die in Syrien geblieben sind, müssten arbeiten und bisweilen auf das Studium verzichten. Es falle aber auf, dass die Kirchen in den Städten an den Sonntagen voll sind, d.h. dass die Bindung an die Kirche immer noch stark ist, so Pfarrer Ghoneim. Die Erwartungen an die Kirche seien groß. Wenn die Menschen in Not sind, dann dächten sie zuerst an die Kirche, „denn sie erhoffen von ihr eine Antwort“. Es tue den Pfarrern weh, wenn sie keine Hilfe anbieten können. Denn das bedeute oft, dass sich die Menschen von der Kirche abwenden. Die Kirchen und die Pfarrhäuser benötigten laufend Reparaturen, unterstrich Pfarrer Ghoneim. Der oftmalige Stromausfall und die Feuchtigkeit würden Geräte aller Art belasten, die dadurch auch rascher kaputtgehen. Es komme immer wieder zu Netzüberlastungen und zu gefährlichen Kabelbränden.

Erwünscht sei die Förderung der Jugendaktivitäten wie Katechese, Pfadfindertreffen, Begegnungen, Ausflüge, Sommerzeltlager und Feierlichkeiten zu den Hochfesten. Dies trage dazu bei, die Bindung der Jugend an die Kirche zu stärken, unterstrich Pfarrer Ghoneim.

Die Menschen würden trotz aller Schwierigkeiten „ voll Hoffnung in die Zukunft blicken“, unterstrich der melkitische Priester. Die Jugend sei wissbegierig und lernfreudig. Die Herausforderung bestehe nun darin, die Qualifizierten im Land zu behalten und die besonders begabten Jugendlichen in der Ausbildung zu fördern. Die Kirche sei für die Menschen „eine Oase“. In Syrien sei die Not aber extrem groß, es werde wenig geholfen. Es gebe viele Menschen am Rande der Gesellschaft, die ignoriert bzw. vergessen werden.

Bei seinem jüngsten Syrien-Aufenthalt leistete Pfarrer Ghoneim Soforthilfe. U.a. bekam das Altenheim in Maaret Sednaya 30 Matratzen, eine Waschmaschine sowie einen Kalt- und Warmwasserspender. An einige Familien, Schulen und Kindergärten konnte Ghoneim Geld für Heizöl übergeben. Vielen Pädagogen und Pädagoginnen übergab er eine einmalige Aufbesserung zu ihren schmalen Gehältern.

„Korbgemeinschaft – Hilfe für Syrien“, 1090 Wien, Pramergasse 9, Tel.: 01/310 38 43-904, E-Mail: office@korbgemeinschaft.at, Kto.: Erste Bank IBAN AT942 011 1828  5755 6000.