“Taufe der Rus”: Die kanonische Kirche hatte die Nase vorn

Aber die verbalen Auseinandersetzungen zwischen Kiew und Moskau gingen weiter – Ukrainisch-orthodoxe Bischöfe: Es geht um die Verteidigung der inneren kirchlichen Freiheit gegen die Einmischung politischer Kräfte

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Foto: © Sergiy Klymenko (Quelle: Wikimedia; Lizenz: Attribution-Share Alike 3.0 Unported)

Kiew-Moskau, 29.07.18 (poi) Auch die Festfeiern zum 1.030-Jahr-Jubiläum der “Taufe der Rus” am Samstag wurden weiterhin von den verbalen Auseinandersetzungen zwischen Kiew und Moskau überschattet. Freilich ließ ein Bild, das am Rande eines Dank- und Bittgottesdienstes (Moleben) des schismatischen “Patriarchats von Kiew” auf dem Wladimir-Hügel aufgenommen wurde, manche Vorgänge in einem neuen Licht erscheinen: Es zeigt den selbsternannten “Patriarchen” von Kiew, Filaret (Denysenko; einst russisch-orthodoxer Pfarrer und dann Bischof in Wien) im freundschaftlichen Gespräch mit dem Oberhaupt der autonomen ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, Metropolit Onufrij, und dessen “rechter Hand”, Metropolit Antonij (Pakanytsch) von Boryspol, sowie dem nach Kiew entsandten Repräsentanten des Ökumenischen Patriarchen, Metropolit Emmanuel (Adamakis) von Paris. Trockener Kommentar ukrainischer Mönche: Es gibt zwei Möglichkeiten, entweder sind die Hierarchen auf dem Weg der Versöhnung, wie es dem Evangelium entspricht, oder sie sind Marionetten in der Hand von “Puppenspielern” aus dem politischen Bereich.

Von den Bildern und der Teilnehmerzahl her hatte die moskautreue ukrainische Kirche am Freitag/Samstag in Kiew die Nase vorn. Bei der Kreuzpression der ukrainisch-orthodoxen Kirche gab es 250.000 Teilnehmende, bei der Parallelveranstaltung des “Kiewer Patriarchats” (sogar laut Mitteilung des wohlgesonnenen ukrainischen Innenministeriums) rund 65.000. Optisch fiel auf, dass die Kleriker und Gläubigen der kanonischen Kirche Ikonen und Reliquienschreine mittrugen, die Sympathisanten des “Kiewer Patriarchats” vor allem blau-gelbe ukrainische Nationalfahnen. Bei den “Kiewern”, wo auch Präsident Petro Poroschenko mit Gattin Maryna im bodenlangen Kleid mitging, waren relativ viele Kleriker sichtbar, die unter den liturgischen Gewändern die Uniform von Militärseelsorgern trugen. (Youtube: Kanonische Prozession: https://www.youtube.com/watch?v=5ufoCGgbVRM; “Kiewer” Prozession: https://www.youtube.com/watch?time_continue=2216&v=nLt0mmMwPiA).

Die Göttliche Liturgie der kanonischen orthodoxen Kirche am Samstag im Höhlenkloster auf dem Platz vor der Kathedrale der Entschlafung der Gottesmutter stand im Zeichen des Gebets um Frieden in der Ukraine. Zum Abschluss der Liturgie verlas Metropolit Antonij von Boryspol eine feierliche Erklärung des ukrainischen Episkopats. Darin wird festgehalten, dass die ukrainisch-orthodoxe Kirche die „legale und vollberechtigte“ Erbin der ursprünglichen Kiewer Metropolie sei. Im Hinblick auf die Autokephalie-Diskussion in der ukrainischen Öffentlichkeit wird betont, dass der derzeitige  (autonome) kanonische Status der ukrainisch-orthodoxen Kirche ausreichend sei, um ihre Aufgabe unter dem Volk fruchtbar zu erfüllen. Versuche, diesen Status zu verändern, würden nur zu Einschränkungen der Rechte und Freiheiten der ukrainisch-orthodoxen Kirche führen. Diese Versuche würden die Spaltung in der ukrainischen Orthodoxie und in der ukrainischen Gesellschaft vertiefen.

Mit Sorge müsse man die Bemühungen „außenstehender Kräfte“ registrieren, die Kirche in eine Komponente von geopolitischen, ideologischen und der Staatssicherheit dienenden Überlegungen zu verwandeln, heißt es in der Erklärung. Dies sei ein klarer Gegensatz zur Berufung der Kirche. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche werde die kanonischen Grundlagen ihrer Existenz verteidigen, auch ihre Gläubigen, die oft aus ihren Gotteshäusern vertrieben werden. Es gehe um die Verteidigung der inneren kirchlichen Freiheit gegen die Einmischung politischer Kräfte. Das bedeute aber nicht, dass die Kirche den aktuellen Problemen des Volkes, der Gesellschaft oder des Staates fernbleibe. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche erziehe ihre Gläubigen zu „wahrem Patriotismus“, das heißt zur „Liebe zu Gott, zum Nächsten und zur Heimat“.

Unmissverständlich heißt es in der feierlichen Erklärung: „Wenn eine säkulare Ideologie in die Kirche eindringt und ihre Einheit zerstört, ist es unsere Aufgabe, in Wort und Tat Widerstand zu leisten und diesem Volk nicht irgendeine andere irdische Ideologie zu predigen, sondern Christus. Die Kirche besteht, um die Menschen zu einen, nicht zu spalten“.

Den unter den Kämpfen leidenden Gläubigen im Donbass versicherte der ukrainische Episkopat, dass sie „nicht allein“ seien. Die ganze Kirche bete für sie, leide mit ihnen und helfe ihnen. Den Bischöfen, Priestern, Mönchen und Nonnen, engagierten Laien, die trotz allem im Donbas ausharren, wird besonders gedankt. Der Episkopat sei überzeugt, dass die kriegerischen Auseinandersetzungen im Donbass bald enden werden „und Gott jede Träne abwischen wird“.

Ausführlich gehen die ukrainischen orthodoxen Bischöfe auf die Zukunft ein: Es gehe um die Verkündigung des Evangeliums an die „Fernen“, an die Jugend, um den Dialog mit der Intelligenz, das Gespräch mit den Zweifelnden und den Nichtglaubenden. Zugleich sei die soziale Aktivität – zu Gunsten der Armen, der Obdachlosen, aller durch den Krieg im Donbass Leidenden – eine Verwirklichung der christlichen Nächstenliebe, die Christus von allen Gläubigen erwarte.

“Phanar überlässt Kiew nicht seinem Schicksal”

Bei dem Dank- und Bittgottesdienst des „Kiewer Patriarchats“ auf dem Wladimir-Hügel ergriff laut offiziellen ukrainischen Berichten auch Metropolit Emmanuel von Paris das Wort und betonte, dass der Ökumenische Patriarch „seine ukrainischen Kinder“ nicht „schutzlos“ ihrem Schicksal überlasse. Das bedeute aber: „Der Patriarch kann angesichts der seit mehr als 25 Jahren laut gewordenen Appelle nicht blind und taub bleiben“.  Die Kinder der ukrainischen Kirche und ihre Hierarchen hätten ein Recht  auf einen Platz unter den autokephalen Kirchen. Nach dem Appell des ukrainischen Präsidenten, der „gleichsam ein Nachfolger der politischen Struktur der Kiewer Rus“ sei, habe die „Mutterkirche“ mit dem Beschluss ihres Heiligen Synods vom 20. April den Vorgang zur Erreichung des letzten Ziels – der „Zuerkennung der Autokephalie an die orthodoxe Kirche in der Ukraine“ – eingeleitet.

Das Ökumenische Patriarchat sei – so die ukrainische Berichterstattung über die Äußerungen von Metropolit Emmanuel – „an der Seite der Ukraine“. Die Ukrainer würden nicht verlassen sein, weil die Mutterkirche Wege finden werde, um „an eurem Fortschritt, eurem Erfolg, eurem Wachstum im Glauben an Christus“ beteiligt zu sein.

 

Poroschenko und Putin

Sowohl Präsident Petro Poroschenko (Ukraine) als auch Präsident Wladimir Putin (Russland) hatten das 1.030-Jahr-Jubiläum der „Taufe der Rus“ in Anspruch genommen, um ihre Überzeugungen kundzutun. Wörtlich meinte etwa Poroschenko: „Ich versichere, dass sich staatliche Autoritäten nicht in rein kirchliche Angelegenheiten einmischen werden. Aber ich betone, dass wir das auch anderen Staaten nicht erlauben werden. Aus diesem Grund halte ich es für absolut notwendig, alle Fangarme zu durchschneiden, mit denen der Aggressor-Staat (gemeint ist die Russische Föderation, Red.) in unserem staatlichen Organismus arbeitet“. Die Kirche sei in Russland „nur auf dem Papier“ vom Staat getrennt, tat Poroschenko seine Überzeugung kund. Tatsächlich unterstütze sie aber „voll und bedingungslos“ die „imperalistische Politik“ des Kremls. Die Doktrin der „Russischen Welt“ (die vielfach vertretene Ansicht von der kulturellen Einheit der ostslawischen Völker, Red.) sei in den „luxuriösen Mönchszellen der russisch-orthodoxen Kirche“ entstanden. Diese Situation sei eine Bedrohung der „nationalen Sicherheit der Ukraine“,  dagegen müssten Schritte unternommen werden. Der angestrebte „Tomos“ aus Konstantinopel zur Proklamation der Autokephalie der orthodoxen Kirche in der Ukraine werde „die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung“ der Ukraine vervollständigen, die „religiöse Freiheit und den interreligiösen Frieden“ stärken. Rechte und Freiheiten des Volkes würden dadurch gefestigt werden. Millionen von Ukrainern würden die „baldigste Anerkennung der Autokephalie der orthodoxen Kirche in der Ukraine“ erwarten, formulierte Poroschenko seine Hoffnung.In Moskau beteiligte sich Präsident Putin – zwischen dem Moskauer Patriarchen Kyrill und dem Alexandriner Patriarchen Theodoros II. – an der Prozession vom Sobornaja (Kathedralen)-Platz im Kreml zum Borowitskaja-Platz, wo das Denkmal des Heiligen Wladimir steht. In einer kurzen Ansprache bezeichnete Putin die „Taufe der Rus“ als Beginn der Entwicklung der russischen Staatlichkeit, „die geistliche Geburt unserer Vorfahren, die Bestimmung ihrer Identität und ihres Selbstbewusstseins, den Impuls für die Entwicklung der nationalen Kultur und Bildung und für den Aufbau vielfältiger Beziehungen zu anderen Nationen“. Die „Taufe der Rus“ sei der Schlüssel der russischen Geschichte, ein „Ereignis von erstrangiger Bedeutung und verwandelnder spiritueller Kraft“. Dieses Ereignis habe den jahrhundertelangen Weg Russlands geprägt und Auswirkungen auf die weltweite Entwicklung gehabt.

In besonderer Weise würdigte Putin die Persönlichkeit des Heiligen Großfürsten Wladimir. Dieser habe eine „maßgebliche Entscheidung“ getroffen und sei so zu einem „Führer des Glaubens“ geworden, der die „moralische Kraft, die Schönheit, die Basis für die Erneuerung des Lebens und die Stärkung der Einheit und Identität der Völker der alten Rus“ gesehen habe. Großfürst Wladimir sei ursprünglich ein Krieger gewesen, der aber dann zu einem „Erleuchter und Gründer“ geworden sei, unter dessen Leitung „Kirchen, Klöster, Städte, Schulen und Bibliotheken“ erbaut wurden.