„Tiefe Sorge“ des Moskauer Patriarchats über Vorgänge in der Ukraine

Heiliger Synod der russisch-orthodoxen Kirche kritisiert „Einmischung der staatlichen Autoritäten“ in das kirchliche Leben: Kanonische ukrainisch-orthodoxe Kirche werde ihrer Rechte beraubt, „flagrante Verletzung der Menschenrechte“

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Foto: © (Quelle: Wikimedia; Lizenz: public domain)

Moskau, 28.02.19 (poi) Die Einmischung der staatlichen Autoritäten der Ukraine in das kirchliche Leben und die Versuche von Politikern, die Kirche für ihre „opportunistischen Interessen“ zu benützen, hat der Heilige Synod des Moskauer Patriarchats in einer am 26. Februar verabschiedeten Erklärung über die Situation in der Ukraine verurteilt. Die dramatische Verschlechterung der Situation der ukrainisch-orthodoxen Kirche müsse mit „tiefer Sorge“ zur Kenntnis genommen werden. Durch diese Vorgänge würden die fundamentalen Menschenrechte und Freiheiten verletzt, die durch die ukrainische Verfassung festgeschrieben seien.

Als Beispiel nannte der Heilige Synod die von der Werchowna Rada in Kiew verabschiedeten Gesetze, die „der ukrainisch-orthodoxen Kirche ihren Namen entziehen und die Praxis der Inbesitznahme von Kirchen und Klöstern legalisieren“. Die kanonische ukrainische Kirche werde auch in anderer Weise ihrer Rechte beraubt: So würde den Priestern der kanonischen ukrainisch-orthodoxen Kirche die Seelsorge im Bereich von Militär und Polizei sowie in Gefängnissen verwehrt.

Das Ziel der derzeit an der Macht befindlichen staatlichen Autoritäten sei es, die kanonische ukrainisch-orthodoxe Kirche zu liquidieren, heißt es in der Erklärung des Moskauer Heiligen Synods. Den örtlichen Autoritäten und Sicherheitsbehörden sei offensichtlich der Auftrag erteilt worden, maximalen Druck auszuüben, um den „Transfer“ von Gemeinden der ukrainisch-orthodoxen Kirche in das Schisma der „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ zu ermöglichen. Es gebe auch bereits Drohungen, die größten Klöster und historischen Heiligtümer – das Kiewer Höhlenkloster und die Lawra von Potschajew – der ukrainisch-orthodoxen Kirche zu entziehen.

In den meisten Fällen würde die Wegnahme von ukrainisch-orthodoxen Gotteshäusern trotz der gegenteiligen Beschlüsse der örtlichen Pfarrgemeinden erfolgen, heißt es in der Erklärung. Sehr oft würden die Beschlüsse der Pfarrgemeinde durch „Abstimmungen“ einer „öffentlichen Versammlung von Bürgern“ ersetzt, die „in keiner Weise Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche“ seien. Protokolle dieser improvisierten „Versammlungen“ würden von den Behörden sofort akzeptiert und – unter Beihilfe der örtlichen Polizeikräfte – als Vorwand zur Inbesitznahme orthodoxer Gotteshäuser verwendet.

Die laufenden „ungesetzlichen Aktionen“ hätten zu einem „Ausbruch der Gewalt“ gegen Klerus und Laien der ukrainisch-orthodoxen Kirche geführt, bedauert der Heilige Synod des Moskauer Patriarchats. Trotz aller Zusicherungen der politischen Führung der Ukraine und des Patriarchats von Konstantinopel über die „friedliche Natur“ der sogenannten „Vereinigung der ukrainischen Orthodoxie“ seien Dutzende orthodoxe Gotteshäuser mit Beihilfe von „Milizen“ den Gläubigen entzogen worden. Es gebe viele Berichte über gewalttätiges Vorgehen gegen Kleriker und Laien der kanonischen ukrainisch-orthodoxen Kirche, die ihre Gotteshäuser verteidigen wollten.

In dieser „schwierigen Situation“ rufe der Heilige Synod alle Gläubigen der russisch-orthodoxen Kirche auf, das Gebet für die leidenden Brüder und Schwestern in der Ukraine zu intensivieren: „Möge der Herr den Brüdern und Schwestern in der Ukraine Stärke und christliche Geduld bei der Verteidigung der Heiligen Orthodoxie verleihen“. An die staatlichen Behörden der Ukraine appellierte der Heilige Synod, umgehend „die Verfolgung der eigenen Bürger“ einzustellen, die sich nicht dem Schisma anschließen wollen.

Zugleich rief der Moskauer Heilige Synod die brüderlichen autokephalen orthodoxen Kirchen auf, die von Metropolit Onufrij geleitete verfolgte ukrainisch-orthodoxe Kirche „im Gebet zu unterstützen“. An die Weltgemeinschaft wurde appelliert, die „flagrante Verletzung der Menschenrechte“ in der Ukraine zur Kenntnis zu nehmen und die „gravierende Einmischung des ukrainischen Staates in kirchliche Angelegenheiten“ zu verurteilen.

Ausdrücklich wird in der Erklärung des Heiligen Synods festgehalten, dass die Gewährung der Autokephalie an eine „künstlich aus der Vereinigung zweier schismatischer Organisationen (‚Kiewer Patriarchat‘ und ‚Ukrainische autokephale orthodoxe Kirche‘) entstandene ‚Orthodoxe Kirche der Ukraine‘ die Spaltung unter den ukrainischen orthodoxen Christen vertieft“ und die interkonfessionellen Beziehungen verschlechtert habe.

 

Begegnung mit finnischem Erzbischof Luoma

Die Situation in der Ukraine war auch ein zentrales Thema bei der Begegnung zwischen Patriarch Kyrill I. und dem Oberhaupt der finnischen evangelisch-lutherischen Kirche, Erzbischof Tapio Luoma, am 28. Februar im Moskauer Danielskloster. Er wolle die Aktionen von Patriarch Bartholomaios I. in der Ukraine, denen er widerspreche, nicht diskutieren, sagte der Moskauer Patriarch. Er müsse aber feststellen, dass Bartholomaios I. kein Recht gehabt habe, in die inneren Angelegenheiten der ukrainischen Kirche einzugreifen. Seine Sorge gelte aber der Verletzung der religiösen Rechte und Freiheiten in der Ukraine, sagte Patriarch Kyrill. Jeder, der sich nicht der künstlich aus zwei schismatischen Gruppen gebildeten und vom Staat geförderten neuen „Kirche“ anschließen wolle, sei von Diskriminierung bedroht. Wörtlich meinte Kyrill I.: „Ich zögere nicht, im Hinblick auf das Vorgehen der Behörden gegen die kanonische ukrainisch-orthodoxe Kirche ein so starkes Wort wie Verfolgung zu gebrauchen. Genau das geschieht jetzt“. Er bedauere, dass weder die internationale Öffentlichkeit noch die Menschenrechtsorganisationen sich bisher mit dem Problem der Diskriminierung der kanonischen ukrainisch-orthodoxen Kirche beschäftigt hätten.

In einem Brief an europäische Spitzenpolitiker habe er darauf verwiesen, dass es um Verletzungen der Menschenrechte gehe, sagte Kyrill I. Eine der Antworten habe ihn besonders betroffen gemacht, weil der betreffende Staatsmann nur erklärte, es handle sich um „interne Probleme zwischen zwei religiösen Gruppen“, daher könne er nicht eingreifen. Das Faktum der „gewalttätigen Verletzung von Rechten“ und das Leiden der Menschen würden ignoriert, bedauerte der Patriarch.

Erzbischof Luoma sagte in seiner Antwort, seine Kirche sei sich bewusst, dass die kirchlichen Entwicklungen in der Ukraine Sorge und Angst ausgelöst hätten. Das sei sehr schmerzlich, vor allem in der orthodoxen Welt. Wörtlich fügte der Erzbischof hinzu: „Wir finnischen Christen beten, dass der Konflikt gelöst wird und dass Gott den Weg zur Versöhnung und zur Überwindung der Probleme zeigt“.

Patriarch Kyrill erinnerte daran, dass es in politischer Hinsicht derzeit eine schwierige Situation in der Welt gebe. Aber die Beziehungen zwischen den Kirchen sollten davon nicht beeinträchtigt werden. Er erinnere daran, wie stark die zwischenkirchlichen Kontakte in der Zeit des Kalten Krieges waren. Damals habe es ein starkes Bewusstsein für die „gemeinsame Verantwortung für die Welt“ gegeben. Gewiss sei damals in Russland eine ideologische Kontrolle auch über das spirituelle Leben der Gesellschaft gegeben gewesen. Aber etwas Ähnliches spiele sich auch heute weltweit ab. Oft werde die Theologie von ideologischen Präferenzen bestimmt. Kirchen sollten sich aber nie politische oder gar ideologische Bewertungen der Konflikte zu eigen machen. Als positives Beispiel nannte der Moskauer Patriarch die gemeinsame Haltung mit Papst Franziskus und anderen kirchlichen Führungspersönlichkeiten im Hinblick auf die Situation der Christen in Syrien und im Irak.