
Kiew, 07.06.18 (poi) Das Ringen um die orthodoxe Kirche in der Ukraine geht weiter. Das Oberhaupt der (autonomen) ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, Metropolit Onufrij ((Berezowskij), hat bei einer Predigt in Charkow – ohne Präsident Petro Poroschenko beim Namen zu nennen – betont, dass die Politiker von heute nicht imstande seien, die Kirche zu einen, sie verursachten vielmehr neue Entzweiungen. Daher sollten sie in ihrem eigenen Bereich bleiben und sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Kirche einmischen (Poroschenko hatte an den Ökumenischen Patriarchen in Konstantinopel appelliert, der – gespaltenen – Orthodoxie in der Ukraine die „Autokephalie“ – Selbständigkeit – zu verleihen).
Als Gegenbeispiel nannte der ukrainische Primas bei einer Predigt in Charkow Kaiser Konstantin, der im Jahr 325 die Bischöfe des Römischen Reiches nach Nicäa eingeladen habe, um die „Arianische Krise“ zu lösen (der alexandrinische Theologe Arius hatte die Göttlichkeit Jesu geleugnet). Das sei auch gelungen, weil der Kaiser den Bischöfen Handlungsfreiheit gegeben habe. Denn es seien die Priester und Bischöfe, denen durch die Gnade der Weihe die Vollmacht zur Organisation des kirchlichen Lebens anvertraut sei, so Metropolit Onufrij. Die heutigen Politiker hätten leider wenig Verständnis für kirchliche Angelegenheiten, ihnen gehe es darum, das Leben des Volkes Gottes nach ihrem eigenen Belieben zu organisieren.
Wörtlich sagte der Metropolit: „Wir lieben unsere Politiker, aber Gott hat ihnen weder die Einsicht noch die Mittel oder das Recht verliehen, die Kirche zu organisieren“. In der Ukraine hätten sich Politiker schon in den 1990er-Jahren in kirchliche Angelegenheiten eingemischt und Schismen ausgelöst: „Sie sind imstande, zu entzweien, aber nicht zu vereinen“. Jeder müsse das tun, wozu er berufen sei, betonte der ukrainische Primas: „Wenn sich die Politiker um die Politik kümmern und die Kirche um die Erlösung der Menschen, dann wird unser Land wirtschaftlich und spirituell aufblühen“. Aber wenn Kirchenleute Politik betreiben und Politiker sich in die Kirche einmischen, dann gebe es Chaos.
In ähnlichem Sinn äußerte sich Ende Mai auch das Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Tschechien und der Slowakei, Metropolit Rastislav (Gont), bei einer Begegnung mit den beiden ukrainischen Altpräsidenten Leonid Krawtschuk (er war von 1991 bis 1994 im Amt) und Leonid Kutschma (Amtszeit 1994 bis 2005). Bei der Begegnung in Presov sagte der Metropolit den beiden Altpräsidenten, dass „jegliche Einmischung staatlicher Funktionäre in kirchlichen Angelegenheiten in einer demokratischen Gesellschaft inakzeptabel“ sei. Metropolit Rastislav bezog sich sichtlich auf den jüngsten Vorstoß von Präsident Poroschenko in Konstantinopel, aber auch auf frühere Ereignisse, wie den Besuch von Leonid Krawtschuk und dem Altpräsidenten Wiktor Juschtschenko beim Ökumenischen Patriarchen im August 2016, wobei ebenfalls die Gewährung der Autokephalie für eine „einheitliche ukrainische Kirche“ eingefordert wurde. Im Gespräch mit Krawtschuk und Kutschma machte das Oberhaupt der orthodoxen Kirche in Tschechien und der Slowakei deutlich, dass ein „vom menschlichen Egoismus ausgelöstes Schisma nur durch Buße und Rückkehr in die Arme der Kirche“ geheilt werden kann – ohne den selbsternannten Kiewer „Patriarchen“ Filaret beim Namen zu nennen, der das Schisma in der ukrainischen Orthodoxie wesentlich befeuert hatte. Abschließend äußerte Metropolit Rastislav seine Hoffnung, dass „die schwierige kirchliche Situation“ in der Ukraine auf „kanonischem Weg“ gelöst werden kann, ohne die gespannte gesellschaftliche und politische Atmosphäre des Landes weiter zu belasten.
Der Kanzler der ukrainisch-orthodoxen Kirche, Metropolit Antonij (Pakanitsch) von Boryspol, verwies im Gespräch mit „Prawoslawnaja Schisn“ darauf, dass es in der Orthodoxie derzeit kein weltweit akzeptiertes Dokument über die Vorgangsweise bei der Zuerkennung der Autokephalie gibt. In einem Entwurf, der aber noch nicht von allen autokephalen orthodoxen Kirchen akzeptiert ist, sei vorgesehen, dass zunächst die aktuelle „Mutterkirche“, dann alle andere anderen autokephalen Kirchen gefragt werden müssen. Erst nach Zustimmung all dieser Kirchen könne die Autokephalie eines bestimmten Kirchengebiets proklamiert werden. Das seien Dinge, die die ukrainischen Politiker, die sich für die Autokephalie einsetzen, „nicht verstehen oder nicht verstehen wollen“. Vor allem würden sie diese Fragen nur unter dem Gesichtspunkt ihrer eigenen politischen Interessen sehen, „ohne jegliche Beachtung der spirituellen Aspekte“.
„Illusion oder Wunschdenken“
Der verstorbene ukrainische Primas, Metropolit Wladimir (Sabodan), habe 2013 festgestellt, dass der Status der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats als autonome Kirche optimal für die Wiederherstellung der Einheit der ukrainischen Orthodoxie sei, erinnerte Metropolit Antonij. In den vergangenen fünf Jahren habe sich in der Ukraine viel geändert, aber als Priester müsse er sagen, dass die Kirche den ideologischen Trends, „die sich so oft ändern“, weder folgen könne noch dürfe. Das bedeute nicht, dass eine Diskussion über den Status der Kirche tabu sei.
Scharf wies Metropolit Antonij Berichte in ukrainischen Zeitungen zurück, wonach das Ökumenische Patriarchat die „notwendige Prozedur für die Zuerkennung der Autokephalie an die ukrainische Kirche begonnen“ habe: „Das steht in unseren Zeitungen, aber nicht in den offiziellen Dokumenten des Patriarchats von Konstantinopel. Das ist entweder Illusion oder versuchtes Wunschdenken. Möglicherweise sind die Politiker, die solche Dinge ankündigen, von ihren skrupellosen Beratern in die Irre geführt worden“. Tatsächlich habe Konstantinopel im Hinblick auf das Ansuchen aus Kiew nur festgestellt, dass die Antwort in enger Koordination mit den orthodoxen Schwesterkirchen erfolgen werde.
Die Hierarchie der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats sei in ständigem Kontakt mit allen autokephalen orthodoxen Kirchen, stellte Metropolit Antonij fest. Alle diese Kirchen unterstützten die von Metropolit Onufrij geleitete Kirche und seien der „kanonischen Ordnung“ treu. In diesem schwierigen Augenblick gehe es der ukrainisch-orthodoxen Kirche vor allem um den Frieden, so der Metropolit: „Wir machen der Regierung unsere Position klar: Wir sagen offen, dass die vorgeschlagene Methode zur Überwindung des Schismas unter den Orthodoxen der Ukraine nicht korrekt ist, weder von einem säkularen noch von einem kirchlichen Standpunkt aus“. Im Hinblick auf die Situation von orthodoxen Gemeinden in der Ukraine, die von schismatischen oder nationalistischen Organisationen bedrängt werden, warnte Metropolit Antonij vor Panik und der Verbreitung von Gerüchten z.B. aus dem Internet.
Am 25. Mai hatte der Heilige Synod der ukrainisch-orthodoxen Kirche eine Botschaft an Bischöfe, Priester und Laien veröffentlicht, in der es unter Bezugnahme auf frühere Erklärungen wörtlich hieß: „Die Wiederherstellung der Einheit der ukrainischen Orthodoxie soll in Übereinstimmung mit den kirchenrechtlichen Bestimmungen (Kanones) der orthodoxen Kirche erfolgen, ohne Einmischung politischer Kräfte und durch die Rückkehr derer, die weggegangen sind, zur kanonischen ukrainisch-orthodoxen Kirche“. Jede einseitige Aktion in der Kirche stelle eine Verletzung des Prinzips der Synodalität dar und bedrohe die kirchliche Einheit, so die Botschaft vom 25. Mai. Die Verletzung des Prinzips der Synodalität, der Mangel an Gespür für das innere Leben der Kirche und die Einmischung politischer und anderer nichtkirchlicher Kräfte habe zum Schisma in der Ukraine geführt. Die Kirchengeschichte zeige, dass die Einheitsbestrebungen der Machthaber oft vom Kirchenvolk nicht akzeptiert wurden. Nach den „Wiedervereinigungen“ auf Initiative oder mit aktiver Beteiligung staatlicher Autoritäten seien die Gotteshäuser oft leer geblieben. Statt der ersehnten Einheit komme es dann oft zu noch mehr Entzweiungen.
Die Autokephalie habe einen strikt technischen kirchlichen Charakter, um die Verbreitung des Evangeliums auf dem Gebiet eines bestimmten Staates zu erleichtern, keinesfalls sei sie ein „Instrument der geopolitischen Auseinandersetzung“, betonte der Metropolit von Boryspol. Die Herausbildung einer weiteren orthodoxen Struktur in der Ukraine würde nur neue Konflikte auslösen, die „nicht nur die staatliche Sicherheit bedrohen, sondern auch eine künftige Einheit der Kirche verunmöglichen“. Wörtlich fügte der Metropolit hinzu: „Wir teilen die Sorge der staatlichen Autoritäten über das kirchliche Schisma in der Ukraine. Aber eine erfolgreiche Lösung dieses Problems verlangt Frieden und Stabilität im Staat. Wir haben immer den Staat in Fragen der moralischen und patriotischen Erziehung unterstützt, aber wir wehren uns gegen den Missbrauch der Kirche für die geopolitische Auseinandersetzung“.
Grundsteinlegung für „ökumenische“ Kirche
Mittlerweile hat in der Ukraine die Grundsteinlegung für eine „ökumenische“ Kirche in Poltawa Aufregung ausgelöst. Das Gotteshaus soll sowohl von der sogenannten „Autokephalen ukrainischen orthodoxen Kirche“ als auch von der (unierten) ukrainischen griechisch-katholischen Kirche genutzt werden. Das Oberhaupt der griechisch-katholischen Kirche, Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, meinte bei der Grundsteinlegung, es handle sich um ein „Zeichen der Hoffnung“ im Hinblick auf die Vereinigung aller Kirchen in der Ukraine. Der Großerzbischof sprach davon, dass es sich möglicherweise um das „erste Gotteshaus einer vereinten Kiewer Kirche“ handle, die derzeit noch in verschiedene Konfessionen getrennt sei.