Vor 75 Jahren protestierte der orthodoxe Erzbischof von Athen gegen die Judenverfolgung

Erzbischof Damaskinos ließ sich nicht einschüchtern: Sein Protestbrief zog weite Kreise, gemeinsam mit dem Polizeipräsidenten von Athen verschaffte er zahllosen jüdischen Menschen fingierte Identitätspapiere, mit denen sie den deutschen Kontrollen entgehen konnten

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Foto: © kessel (Quelle: Wikimedia, Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication)

Athen, 25.03.18 (poi) Vor 75 Jahren protestierte der damalige orthodoxe Erzbischof von Athen, Damaskinos (Papandreou), gegen die Verfolgung der griechischen Juden durch die deutsche Besatzungsmacht. Sein zunächst an den von der Besatzungsmacht eingesetzten Ministerpräsidenten, Konstantinos Logothetopoulos, gerichteter Protestbrief gegen die Deportation der jüdischen Bevölkerung von Saloniki wurde von zahlreichen Angehörigen der politischen und intellektuellen Elite des Landes unterzeichnet. Am griechischen Nationalfeiertag, dem 25. März (Jahrestag des Beginns des Aufstands gegen die osmanische Herrschaft am 25. März 1821), wurde in Griechenland und in der griechischen Diaspora vielfach des Protestes und der mutigen Handlungsweise des Erzbischofs gedacht, zu der es im übrigen Europa kaum Parallelen gab. Erzbischof Damaskinos ließ sich nicht einschüchtern. Als ihm der SS-Kommandant Jürgen Stroop mit einem Erschießungskommando drohte, soll der Erzbischof kühl geantwortet haben, dass die griechischen orthodoxen Bischöfe (von den osmanischen Machthabern) immer aufgehängt und nicht erschossen wurden, man möge „die Traditionen respektieren“.

Als der Erzbischof erkennen musste, dass sich die deutschen Besatzer von ihren Deportationsplänen gegen die jüdischen Bürgerinnen und Bürger nicht abhalten ließen, bestellte er den Polizeipräsidenten von Athen, Angelos Evert, zu sich. Dem Polizeipräsidenten, der Kontakte mit der griechischen Exilregierung unterhielt, eröffnete Damaskinos: „Ich habe zu Gott gebetet und mein Gewissen sagt mir, was wir tun müssen. Die Kirche wird jedem Juden, der das möchte, falsche Taufscheine ausstellen und Sie werden falsche Identitätskarten ausstellen“. Auf diese Weise erhielten zahlreiche jüdische Menschen eine vorgetäuschte „griechische christliche Identität“ und konnten so durch die deutschen Kontrollpunkte und Razzien kommen. Insgesamt wurden nach griechischen Berichten 27.000 fingierte Identitätskarten ausgestellt.

Erzbischof Damaskinos wies aber auch die Klöster in Athen und Umgebung an, Schutz suchende Juden aufzunehmen. Den Pfarrern erteilte er mündlich den Auftrag, vertrauenswürdige Gemeindemitglieder um Aufnahme von jüdischen Menschen in ihren Häusern und Wohnungen zu bitten. Allein in den Familien der orthodoxen Pfarrer wurden hunderte jüdische Kinder aufgenommen, die nach dem Abzug der Deutschen wieder an ihre Eltern übergeben werden konnten.

Sein Protestbrief, der den Zorn des SS-Kommandanten Stroop erregte, war von großer Klarheit. U.a. hieß es darin: „In unserem nationalen Bewusstsein bilden alle Kinder der Mutter Griechenland eine untrennbare Einheit. Sie sind gleichwertige Mitglieder der nationalen Gemeinschaft unabhängig von der Religion. Unsere Heilige Religion kennt keine höheren oder niedrigeren Qualitäten auf der Basis von Rasse oder Religion, denn es heißt: ‚Es gibt nicht mehr Juden und Griechen‘ (Galater-Brief 3,28). Damit verurteilt sie jeden Versuch zur Diskriminierung oder zur Schaffung rassischer oder religiöser Differenzen.  Unser gemeinsames Schicksal hat – in Tagen des Ruhms und in Zeiten des nationalen Unglücks – untrennbare Bande zwischen allen griechischen Bürgern ohne Ausnahme geschmiedet“. Er hoffe, dass die Besatzer rasch die Sinnlosigkeit ihrer Verfolgung der griechischen Juden erkennen würden, „die zu den friedlichsten und produktivsten Elementen des Landes zählen“, schrieb der Erzbischof.

In subtiler Weise ging Erzbischof Damaskinos auf die Denkfiguren der Besatzer ein, um erst recht wieder seine Sorge um die jüdischen Menschen in den Vordergrund zu stellen: „Gewiss, wir sind nicht in Unkenntnis über den tiefen Konflikt zwischen dem neuen Deutschland und der jüdischen Gemeinschaft, wir möchten auch weder Verteidiger noch Richter der Juden in der großen Sphäre der Weltpolitik und der wirtschaftlichen Angelegenheiten sein.  Wir sind heute vielmehr in tiefer Sorge über das Schicksal von 60.000 unserer Mitbürger, die Juden sind. Wir haben lange Zeit sowohl in der Sklaverei als auch in der Freiheit zusammengelebt, wir haben ihre Gefühle schätzen gelernt, ihre brüderliche Haltung, ihre wirtschaftliche Aktivität und vor allem ihren unvergänglichen Patriotismus“.

Erzbischof Damaskinos war aber nicht der einzige griechische orthodoxe Bischof, der sich für die verfolgten Juden einsetzte. Als der Rabbiner von Volos am 30. September 1943 – zum jüdischen Neujahrsfest – vom deutschen Ortskommandanten aufgefordert wurde, binnen 24 Stunden eine Liste aller jüdischen Einwohner der thessalischen Stadt abzuliefern, wandte er sich an den orthodoxen Metropoliten Joachim (Alexopoulos). Der Metropolit zögerte nicht und forderte schriftlich alle Priester seiner Eparchie auf, dem Rabbiner in jeder Weise behilflich zu sein. Binnen 24 Stunden gelang es, 702 jüdische Einwohnerinnen und Einwohner auf die entlegenen Bergdörfer zu verteilen. Als der deutsche Ortskommandant auch vom kirchlichen Oberhaupt der Stadt in harschem Ton eine Liste der jüdischen Einwohner forderte, antwortete der Metropolit nur mit einem Satz: „Jude bin ich“.