Warum der Papst an Präsident Assad schrieb

Kardinal-Staatssekretär Parolin erläuterte in „Vatican News“-Interview die Motivation von Papst Franziskus: Es geht um die humanitäre Notlage der Zivilbevölkerung in der Provinz Idlib – Zugleich betonte der Kardinal, dass der Heilige Stuhl auf einer tragfähigen „politischen Lösung“ für das seit acht Jahren vom Krieg heimgesuchte Syrien besteht

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Foto: © Jamen Schahoud at English Wikipedia (Quelle: Wikimedia; Lizenz: GNU Free Documentation License)

Damaskus-Vatikanstadt, 23.07.19 (poi) Kardinal-Staatssekretär Pietro Parolin hat im Gespräch mit „Vatican News“ die Motivation für das dringliche Schreiben von Papst Franziskus an den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad dargelegt, das am Montag in Damaskus überreicht wurde. Motiv für die neue Initiative sei die Sorge von Papst Franziskus und seiner Mitarbeiter über die humanitäre Notlage in Syrien, insbesondere in der Provinz Idlib. Dort lebten mehr als drei Millionen Menschen, von denen 1,3 Millionen Inlandsflüchtlinge seien, die in dem Gebiet Zuflucht gesucht hätten. Die jüngste Militäroffensive habe die ohnehin schon extremen Lebensbedingungen in Idlib verschlimmert und viele Menschen erneut zur Flucht gezwungen. Der Papst verfolge „mit Besorgnis und großer Trauer“ das dramatische Schicksal der Zivilbevölkerung, insbesondere der Kinder.

Papst Franziskus habe in dem Brief an den syrischen Präsidenten seinen Appell für den Schutz der Zivilbevölkerung und die Erhaltung der wichtigsten Infrastruktur-Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser usw. wiederholt, betonte Kardinal Parolin: „Was geschieht, ist inhuman und kann nicht akzeptiert werden. Der Papst bittet den Präsidenten, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um diese humanitäre Katastrophe zu stoppen und die wehrlose Bevölkerung, insbesondere die Schwächsten, im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht zu schützen“.

Die Absichten des Papstes seien nicht „politisch“, sondern humanitär, unterstrich der Kardinal-Staatssekretär: „Papst Franziskus betet weiterhin, dass Syrien nach diesen langen Kriegsjahren ein Klima der Geschwisterlichkeit zurückgewinnt und dass die Versöhnung Vorrang hat vor Spaltung und Hass“. In seinem Brief verwende der Papst dreimal das Wort „Versöhnung“. Der Papst ermutige den Präsidenten, in diesem sehr dringenden Versöhnungsprozess deutliche Zeichen zu setzen und nenne konkrete Beispiele, etwa die Bedingungen für die sichere Rückkehr von Flüchtlingen, auch die Freilassung von Häftlingen und den Zugang von Familien zu Informationen über ihre Angehörigen.

Papst Franziskus sei besorgt über die Situation der politischen Gefangenen in Syrien, sagte Kardinal Parolin und verwies auf einen im März 2018 veröffentlichten Bericht einer internationalen Untersuchungskommission zu diesem Thema, in dem von Zehntausenden von Menschen die Rede gewesen sei, die willkürlich festgehalten würden. Laut diesem Bericht seien sie ohne Rechtsbeistand oder Kontakt mit ihren Familien verschiedenen Formen der Folter ausgesetzt, auch würden viele von ihnen im Gefängnis sterben oder hingerichtet werden.

„Der Heilige Stuhl hat immer auf der Notwendigkeit einer tragfähigen politischen Lösung bestanden, um den seit acht Jahren dauernden Konflikt zu beenden und parteiliche Interessen überwinden zu können. Und dies muss mit den Instrumenten der Diplomatie, des Dialogs, der Verhandlungen und mit Unterstützung der internationalen Gemeinschaft geschehen“, stellte der Kardinal-Staatssekretär im Gespräch mit „Vatican News“ wörtlich fest: „Wieder einmal haben wir lernen müssen, dass Krieg zu immer mehr Krieg führt und dass Gewalt nur Gewalt hervorbringt, wie der Papst schon oft gesagt hat“.

Leider gebe es im Verhandlungsprozess bei der Suche nach einer politischen Lösung der Syrien-Krise eine Patt-Situation, bedauerte Parolin. Deshalb ermutige der Papst Präsident Assad in seinem Schreiben, „guten Willen zu zeigen und auf tragfähige Lösungen hinzuarbeiten, indem er einen Konflikt beendet, der zu lange gedauert und zum Verlust vieler Menschenleben geführt hat“.

Der Brief des Papstes trägt das Datum des 28. Juni und wurde am 22. Juli von Kardinal  Peter Appiah Turkson, dem Präfekten des vatikanischen Dikasteriums für den Dienst an der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung, am Amtssitz von Präsident Assad in Damaskus überreicht. Kardinal Turkson wurde bei der Begegnung mit dem syrischen Präsidenten von Kardinal Mario Zenari, dem Apostolischen Nuntius in Damaskus, und von P. Nicola Riccardi, dem Vizesekretär von Turksons Dikasterium, begleitet.

Die Provinz Idlib ist – mit der Peripherie der Stadt Hama – das letzte syrische Gebiet, das noch unter Kontrolle der sogenannten demokratischen Opposition steht. Allerdings wird die tatsächliche Kontrolle von islamistischen Milizen, insbesondere „Hayat Tahrir al-Sham“, ausgeübt. Trotz der extremen Situation (Christen müssen die klassische islamische Sondersteuer, die „Dschizya“, zahlen) harren in den drei katholischen Dörfern im Orontes-Tal – Knayeh, Yacoubieh und Gidaideh – Franziskaner aus, die auch mit ihrem Orden in Verbindung sind und über die aktuellen Entwicklungen berichten.