Istanbul, 24.12.17 (poi) Das Bekenntnis zur Menschwerdung Gottes – „Christus ist geboren“ – ertönt leider wiederum in einer Welt, „die von Gewalt, gefährlichen Spannungen, sozialer Ungleichheit und der Missachtung der grundlegenden allgemeinen Menschenrechte erfüllt ist“, betonte das Oberhaupt der Weltorthodoxie, der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I., in seiner diesjährigen Weihnachtsbotschaft. Im Jahr 2018 seien es 70 Jahre seit der weltweiten Proklamation der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“. Nach der furchtbaren Erfahrung und den Katastrophen des Zweiten Weltkriegs habe diese Proklamation die grundlegenden hohen Ideale propagiert, die alle Völker und alle Staaten der Erde uneingeschränkt respektieren müssen, erinnert der Patriarch von Konstantinopel, dem „Neuen Rom“. Allerdings setze sich die Missachtung dieser Proklamation fort. Vielfältige Missbräuche und intendierte Missdeutungen der Menschenrechte unterminierten ihren Rang und ihre Realisierung, bedauert Bartholomaios I. Weder die tragischen Erfahrungen von Gewalt noch das Erschrecken über die Schändung der menschlichen Person oder die stete Bekräftigung hoher Ideale hätten die Fortsetzung von Gewaltausübung und Kriegen, den Machthunger und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen verhindern können. Auch die Kraft technischer Mittel, die herausragenden Errungenschaften der Wissenschaft oder der wirtschaftliche Fortschritt hätten die soziale Gerechtigkeit und den vielersehnten Frieden nicht herbeigeführt, heißt es in der Weihnachtsbotschaft aus dem Phanar: „Im Gegenteil; in unserer Zeit wächst das Wohlstandsdenken der Besitzenden und zerstört die Globalisierung die Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und des Friedens“. Die Kirche könne diese Bedrohungen nicht ignorieren: „Denn nichts ist in dem Maße heilig wie der Mensch, an dessen Natur Gott Anteil genommen hat“. Daher kämpfe die orthodoxe Kirche für den Menschen, für den Schutz der Freiheit und der Gerechtigkeit, “im Wissen darum, dass der wahre Friede von Gott kommt“ und dass „das unbegreifliche Mysterium der Menschwerdung des Wortes Gottes die Wahrheit über die Freiheit des Menschen und seine göttliche Bestimmung offenbart“.
In der Kirche werde jene Freiheit gelebt, die Christus gebracht hat, hebt Bartholomaios I. hervor. Zum Kern dieser Freiheit gehöre die Liebe, die „aus einem reinen Herzen entspringt“. Während der nach eigenem Gutdünken lebende und sich selbst genügende Mensch um sich selbst und seine individuelle selbstgefällige Glückseligkeit kreise und den Mitmenschen als Beschränkung seiner Freiheit betrachte, richte sich die Freiheit in Christus auf den Nächsten, und gebe „in der Liebe“ Zeugnis für die Wahrheit. Die Sorge des gläubigen Menschen bestehe nicht darin, seine Rechte einzufordern, sondern „in Demut und Dankbarkeit die Weisungen Christi zu erfüllen“.
„Gottmensch“ statt „Menschen-Gott“
Weil das göttliche Wort die menschliche Natur angenommen hat, sei auch der Grund für „die Einheit des Menschengeschlechts“ gelegt, ruft der Ökumenische Patriarch eine gemeinsame Überzeugung aller Christen in Erinnerung. Die Wahrheit des Lebens in Christus – „Gerechtigkeit als Liebe und Liebe als Gerechtigkeit“ – sei der Grundstein und die Garantie für die Zukunft der Menschheit. Bartholomaios I.: „Wenn wir uns auf dieses in Gott gegründete Ethos stützen, können wir die großen Herausforderungen der Gegenwart meistern“. Diese Wahrheit des „Gottmenschen“ Jesus Christus als Antwort auf den zeitgenössischen „Menschen-Gott“ habe auch das Konzil der orthodoxen Kirche auf Kreta im Jahr 2016 betont. Die Menschwerdung (Inkarnation) des Wortes Gottes sei die Vergewisserung, dass „Christus selbst die Geschichte als Weg zum Reich Gottes am Ende der Zeiten führt“. Der Weg der Kirche zum Reich Gottes, der nicht „unabhängig von der geschichtlichen Realität, ihren Widersprüchen und Wandlungen“ verläuft, sei freilich niemals ein Weg ohne Beschwernisse. Inmitten dieser Beschwernisse bezeuge die Kirche die Wahrheit und vollziehe „das Werk der Heiligung, der Seelsorge und der Verklärung der Welt“.