
Kiew, 17.08.18 (poi) „Wenn ein Mensch in der Gefangenschaft der Sünde ist, wird ihm auch kein Tomos helfen“: Ohne Namen zu nennen, bezog das Oberhaupt der autonomen ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, Metropolit Onufri (Berezowskij) von Kiew, am Fest der Entschlafung der Gottesmutter Stellung zur aktuellen Diskussion um die Gewährung der Autokephalie (kirchlichen Selbständigkeit) an die schismatischen orthodoxen Gruppierungen in der Ukraine durch einen „Tomos“ (Erklärung) des Ökumenischen Patriarchats. Metropolit Onufrij appellierte an die Menschen in der Ukraine, sich auf ihr spirituelles Leben zu konzentrieren anstatt sich über „kirchenpolitische Fragen“ zu ereifern. Die Ukraine brauche keinen „Tomos“ aus Konstantinopel, sondern einen von Gott, „dass uns unsere Sünden vergeben werden“. Wörtlich fügte das Oberhaupt der ukrainisch-orthodoxen Kirche hinzu: „Der Christ wird nur dann wahrhaft frei, wenn er sich von seinem sündigen Leben lossagt“. Der Metropolit bezeichnete die Diskussion über den „Tomos“ als eine Falle, durch die die gläubigen Menschen zu „Bürgern zweiter Klasse“ gemacht werden sollen.
Wer an Händen und Füßen in Sünden verstrickt sei, dem könne keine Art von „Tomos“ helfen, so Metropolit Onufrij. Was dieser Mensch benötige, sei Buße, jene persönliche spirituelle Anstrengung, die als „podvig“ schwer in andere Sprachen zu übersetzen ist. Der Metropolit von Kiew appellierte an die Gläubigen, auf ihr Heil zu achten, zu Gott zu beten und die Reinheit des von den Vorfahren empfangenen Glaubens zu bewahren. Das sei die gemeinsame „heilige Aufgabe“ – ohne jemand zu verurteilen, müssten die Gläubigen unbeirrt auf dem Pfad gehen, der zu Gott führt. Die Treue zu Gott dürfe nicht für ein „Eintopfgericht“ eingetauscht werden.
Schärfer formulierte der Metropolit von Gorlowka, Mitrofan (Nikitin), bei der Liturgie in der Kathedrale im von der Regierungsarmee kontrollierten ostukrainischen Kramatorsk: „Aus irgendwelchen Gründen scheinen die Machthaber, die offen für die Schismatiker Partei nehmen und der kanonischen orthodoxen Kirche feindlich gegenüberstehen, die Auffassung zu haben, dass die orthodoxen Christen Marionetten sind, denen das Präsidialamt etwas anschaffen kann. Sie haben vergessen, dass sie es mit einer Kirche zu tun haben, deren Geschichte 2.000 Jahre Martyrium und Bekenntnis des Glaubens umfasst. Dieser Glaube war nie jemandes Diener und hat all die Zeit niemandes Anordnungen gehorcht“.
Metropolit Mitrofan betonte, dass es nicht möglich sei, mit der Kirche in jener Sprache zu reden, „die Politiker heute sprechen“. Menschen, für die der Glaube nicht ein leeres Wort sei, würden sich niemals dieser Sprache anpassen oder ihren Glauben aufgeben. Er sei überrascht, so der Metropolit, dass Bürokraten, „die in der Regierung alles zerstört haben, was man zerstören kann“, sich berufen fühlen, kirchliche Probleme zu lösen, “obwohl sie niemand darum gebeten hat“. Den Politikern gehe es darum, die Kirche für ihre Wahlkampfzwecke zu nutzen. Aber für die Gläubigen sei die Kirche kein Werkzeug, sondern die Mutter, „durch die wir die Gabe der Vergebung unserer Sünden empfangen, Erlösung und ewiges Leben“, sagte der Metropolit und fügte hinzu: „Wir können nicht wegen eines Erlasses des Präsidialamtes unsere Mutter verleugnen, durch die wir die Taufe empfangen haben, in deren Namen wir beten, beichten und kommunizieren, die uns alle in einer Familie vereint“.
Jene, die das nicht verstehen, würden einen „großen Fehler“ machen, so Metropolit Mitrofan: „Indem sie gegen die Kirche rebellieren, gegen deren Volk und alle, für die Kirche nicht ein leeres Wort ist wie für sie, stellen sie sich an den Rand des Abgrunds“. Der Kirche solle man sich nicht mit „Instruktionen und Dekreten“ nähern, sondern mit dem Wort des biblischen Zöllners: „Herr, sei mir Sünder gnädig“.
Am Dienstag – in der Orthodoxie das Fest des „lebenspendenden Holzes des Kreuzes“ – wurde in Odessa Klerus und Gläubigen der ukrainisch-orthodoxen Kirche der Zugang zur Kyrill-Method-Kirche in der örtlichen Militärakademie verweigert, wo ein feierlicher Gottesdienst stattfinden sollte. Die Soldaten am Kontrollpunkt beriefen sich auf „mündliche Befehle“. Zeitgleich wurden aber Militärkapläne des schismatischen sogenannten „Kiewer Patriarchats“ eingelassen. Diese Kapläne verlangten vom kanonischen Rektor der Kirche, Erzpriester Sergej Dmitrijew, dass er ihnen alles öffne, damit sie die Heilige Liturgie feiern könnten. Der Erzpriester machte sie darauf aufmerksam, dass dies auf Grund des Kirchenrechts nicht möglich sei, er lud sie aber ein, dass sie in der Kirche still beten sollten. Daraufhin erklärten die schismatischen Priester, dass sie anderntags wiederkommen würden, um den Gottesdienst zu zelebrieren.
In einer Erklärung der Eparchie Odessa wurde betont, dass der Vorfall in der Militärakademie neuerlich unter Beweis stelle, welchem Druck Klerus und Laien der kanonischen Kirche ausgesetzt seien. Es komme immer wieder zur Wegnahme von Kirchen, Provokationen, Drohungen und der Untersagung von Gottesdiensten. Man werde sich an die internationale Gemeinschaft wenden, um auf diese „systematischen Verletzungen der Rechte der Gläubigen“ aufmerksam zu machen.
Das „Tal der Kreuze“
Trotz solcher Ereignisse geht das Leben der kanonischen orthodoxen Kirche in der Ukraine weiter, wie die „Vereinigung orthodoxer Journalisten“ berichtet. So versammelten sich am 15. August im podolischen Schargorod tausende Gläubige, die oft schwere Kreuze mittrugen, zu einer Prozession zum „Tal der Kreuze“. Dort soll 1923 – am ersten Höhepunkt der bolschewistischen Kirchenverfolgung – die Gottesmutter dem Hirten Jakob erschienen sein und ihm aufgetragen haben, Kreuze zu errichten. In der Folge füllte sich das Tal – trotz der politisch-militärischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts – mit Kreuzen, die von orthodoxen Gläubigen dort aufgestellt wurden. Mit den Prozessionsteilnehmern feierte der Metropolit von Winniza, Simeon (Schostatskij), die Göttliche Liturgie.
Die Geschichte des „Tales der Kreuze“ reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück, als das Gebiet vorübergehend osmanische Provinz war. Die Bauern von Golintschitsa suchten in einem nahegelegenen Kloster Schutz vor der islamischen Obrigkeit. Die Mönche sahen die Gottesmutter im Traum und folgten dem Hinweis, nach Osten zu ziehen, um ein neues Kloster zu bauen. Sie errichteten dieses Kloster im Tal von Josaphat, das nach dem biblischen Vorbild benannt wurde. Eine Reihe von bäuerlichen Siedlungen entstand im Tal. Bauern und Mönche blieben auch dort, nachdem 1699 die polnisch-litauische Herrschaft über Podolien wiederhergestellt worden war. Die Marienvision des Hirten Jakob im Jahr 1923 führte dazu, dass das Tal von Josaphat mitten in den bolschewistischen Anfangsjahren zu einem beliebten Pilgerziel wurde. 1,5 Millionen Gläubige sollen 1923 in das Tal gekommen sein. Der Hirte Jakob wurde von den Kommunisten ins Gefängnis geworfen, wo sie ihn buchstäblich verfaulen ließen. 50 Bauern wurden verhaftet, weil sie Pilger beherbergt hatten. Nach wochenlanger Haft wurden sie entlassen und entdeckten, dass im Tal bereits 16.000 Kreuze errichtet worden waren, obwohl die örtlich zuständigen kommunistischen Regierungsvertreter immer wieder Kreuze abreißen und verbrennen ließen. Auch nach jahrzehntelanger kommunistischer Herrschaft war die Erinnerung an die Kreuze noch nicht erloschen. Am 15. August 2006 sammelte sich erstmals wieder eine Prozession, unter den Teilnehmenden waren auch viele Pilger aus Russland, Belarus und Moldawien.
Auch im sozialen Bereich ist die orthodoxe Kirche aktiv. So wurden im Rahmen der „Mission der Nächstenliebe und Versöhnung“ des Synodaldepartements für soziale und humanitäre Fragen vier LKWs mit insgesamt 44 Tonnen Fracht ins ostukrainische Lugansk entsandt. 6.000 Hilfspakete wurden an einkommensschwache Familien, alleinstehende Pensionisten, behinderte Menschen, Jugendliche, die ihre Eltern verloren haben, verteilt. In einer Mitteilung der Eparchie Lugansk hieß es, viele Zivilisten seien durch die nach wie vor andauernde militärische Konfrontation zwischen ukrainischen Regierungstruppen und den Milizen der selbstproklamierten Republik Lugansk schwer in Mitleidenschaft gezogen.
Die Hilfe für die notleidende Zivilbevölkerung in Lugansk und Donetsk wird von der ukrainisch-orthodoxen Kirche seit mehr als vier Jahren durchgeführt.