Wie es den Christen in Syrien und im Libanon wirklich geht

Ökumenisches Symposion in Wien mit zwei in der Bundeshauptstadt tätigen katholischen unierten Priestern aus dem nahöstlichen Raum – Vorsitzender der Wiener Diözesankommission für ökumenische Fragen, Prof. Prokschi: Solidarität mit den Christen im Orient

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Foto: © Bwag (Quelle: Wikimedia, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International)

Wien, 21.09.18 (poi) Im Zeichen der Kirchen des Orients stand am Donnerstagabend in Wien das diesjährige Ökumenische Symposion, das gemeinsam vom Ökumene-Ausschuss des Vikariats Wien-Stadt, von der Wiener Diözesankommission für ökumenische Fragen, von der Initiative Christlicher Orient (ICO) und von der Stiftung „Pro Oriente“ veranstaltet wurde. Zwei in Wien tätige unierte Priester aus dem nahöstlichen Raum – der melkitische Pfarrer Hanna Ghoneim und der maronitische Mönchspriester P. Michel Harb – schilderten die aktuelle Situation der Christen in Syrien bzw. im Libanon. Der Vorsitzende der Diözesankommission für ökumenische Fragen (und „Pro Oriente“-Vizepräsident) Prof. Rudolf Prokschi legte die historisch gewachsene Vielfalt des orientalischen Christentums dar und machte sich den Appell der beiden unierten Priester zu eigen, mit den Christen im Nahen Osten solidarisch zu sein.

Prof. Prokschi verwies darauf, dass die Ausbreitung des Christentums nach Osten (bis nach Indien und China) viel weniger im Bewusstsein ist als die mit dem Namen des Heiligen Paulus verbundene Ausbreitung nach Westen. Die Vielfalt des Christentums im Nahen Osten spiegle sich in der parallelen Existenz der orthodoxen Kirche (Patriarchate von Antiochien, Jerusalem und Alexandrien) und der orientalisch-orthodoxen Kirchen (Syrer, Armenier, Kopten, Äthiopier) sowie der von Edessa (Urfa) ausgegangenen Apostolischen Kirche des Ostens, der Kirche des alten Perserreiches, die sich heute als Assyrische Kirche bezeichnet. Dazu komme die Präsenz der lateinischen Kirche und der in einem jahrhundertelangen Prozess entstandenen unierten (mit Rom in voller Kirchengemeinschaft stehenden) orientalischen Kirchen. Ab dem 19. Jahrhundert seien dann auch reformatorische Kirchen im Nahen Osten aktiv geworden.

Pfarrer Ghoneim: Hilfe durch die „Korbgemeinschaft“

Hanna Ghoneim berichtete in seinem Referat, dass vor dem Ausbruch der Syrien-Krise mehr als zwei Millionen Christen in Syrien lebten. Es sei schwer zu sagen, wie viele heute noch im Land sind. Die von außen ins Land getragene bewaffnete Auseinandersetzung tobe seit mehr als sieben Jahren. Dabei gehe es nicht um Sicherheitsinteressen von „Zweit- und Drittländern“, sondern vor allem um deren wirtschaftliche Interessen. Wörtlich sagte der melkitische Priester: „Es geht in Syrien nicht um einen Bürgerkrieg zwischen Religionsgruppen, wie das im Westen oft fälschlich dargestellt wird, hier wird vielmehr auf dem Rücken eines Volkes ein regelrechter Stellvertreterkrieg ausgetragen“. Freilich sei auch das syrische Volk selbst gespalten: Die einen deuteten die Krise im Land als Revolution für Demokratie und Menschenrechte, andere sähen vor allem eine Aggression von ausländischen Dschihadisten und Islamisten. Die dauernde Einmischung ausländischer Akteure habe aber in der syrischen Bevölkerung mehrheitlich den Wunsch verstärkt, endlich in Frieden leben zu können.

Als die Rufe nach Reformen im Zug des sogenannten „Arabischen Frühlings“ auch in Syrien immer lauter wurden, seien nicht wenige Christen in den Reihen derer gewesen, die Reformen wollten. Als sich eine politische Opposition etablierte, sei eine beachtliche Zahl von Christen, auch von Geistlichen, mit dabei gewesen. Es ging vor allem um ein Ja zur Reform im politischen und sozialen Leben, um das Ja zur Freiheit, zur Pluralität der politischen Parteien, zur sozialen Gerechtigkeit, zur Meinungsfreiheit und um ein Nein zur Korruption und zur Unterdrückung des Volkes durch die Herrschaft der Geheimdienste. Später hätten die Proteste eine zunehmend islamistische Färbung angenommen, schilderte der Priester. Parolen mit islamistischen Untertönen hätten massive Unterstützung durch die Golfstaaten, vor allem Katar und Saudiarabien, erfahren. Gewaltanwendung bei den Protesten habe dann klar den Verdacht entstehen lassen, dass es nicht um Demokratie und Menschenrechte, sondern um die Destabilisierung des Landes ging. Die blutigen Kämpfe hätten dazu geführt, dass „eine große Mehrheit der Christen“ ihre Meinung bezüglich der Reformbewegung radikal änderte. Als man erkannte, dass es nicht um Reformen, sondern um das Schüren eines Bürgerkriegs ging, hätten sich viele Christen der Regierung angeschlossen. Inzwischen sei der Konflikt zwischen den unter sich uneinigen islamistischen Gruppierungen und der Regierung ins Extrem eskaliert. Die Wirtschaftssanktionen des Westens, die Zerstörung vieler Betriebe und der Währungsverfall hätten die Menschen generell in große Armut gestürzt.

Die Christen fühlten sich oft wie eine „Herde ohne Hirten“, da Bischöfe und Klerus ebenso von der Situation überfahren wurden wie alle anderen, so Ghoneim. Es gebe zuwenig prophetische Gestalten, die die Situation „im Licht Gottes deuten und damit auch Lösungen finden, um unter dem Zeichen der Hoffnung zu helfen“. Insgesamt seien die Kirchen in Syrien durch die Flucht vieler qualifizierter Christen ins Ausland geschwächt worden. Geblieben seien in erster Linie die Armen und sozial Schwachen, die Kranken und Alten.

Der Krieg habe auch das ökumenische Klima beeinflusst, berichtete der melkitische Priester, der immer wieder in Syrien ist. Not eröffne zwar Freiräume für gelebte Ökumene, Not könne aber auch der Ökumene schaden, „wenn Hilfeleistungen an Konversionen gebunden werden“, was bei evangelikalen Gruppierungen vorkomme. Generell übte Ghoneim Kritik an der mangelnden Zusammenarbeit zwischen den Kirchen. Oft werde nicht über den eigenen Tellerrand hinausgeschaut: „Es wurde zu wenig auf das Allgemeinwohl eines ungerecht leidenden Volkes jedweder Konfession und Religion geachtet, das einst in Syrien ein buntes Mosaik des friedlichen Zusammenlebens geboten hat“. Gerade dieses Mosaik gelte es neu aufzubauen. Die Christen hätten die ureigene Aufgabe, in Syrien – „der Wiege des Christentums“ – als Katalysatoren zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen zu wirken. Im Alltag müsse das christliche Menschenbild im Sinn der gleichen Würde von Mann und Frau, des Respekts vor dem Andersgläubigen und der tätigen Nächstenliebe gelebt werden.

Der melkitische Priester bedauerte, dass es keinen „Marshall Plan“ der internationalen Gemeinschaft für den Wiederaufbau in Syrien gibt. Im Westen denke man oft darüber nach, wie man die Flüchtlinge aufnehmen und versorgen soll. Das Problem für die Christen in Syrien bestehe derzeit nicht darin, einen Zufluchtsort zu finden, sondern in der Frage, wie sie der Krise standhalten können. Und die Not der Menschen werde immer gravierender, solange die Wirtschaftssanktionen bestehen bleiben.

Wie sinnvoll geholfen werden kann, schilderte Ghoneim am Beispiel seines Heimatdorfes Maaruneh, 18 Kilometer nordöstlich von Damaskus. Im Sommer gebe es oft eine zwei- bis dreiwöchige Hitzeperiode, die die Ernte von den 8.000 Olivenbäumen des Dorfes ruiniert. In der Hitzeperiode müsse bewässert werden. Das ist erst gesichert, seit es eine Pumpenanlage gibt und Tankwagen, um das Wasser zu den Bäumen zu bringen. Es gehe darum, den Menschen in Syrien die Mittel in die Hände zu geben, damit sie „in eigener Verantwortung und unter Wahrung ihrer Würde“ den Aufbauprozess in Gang bringen können. Diese Hilfe zur Selbsthilfe sei die Mission der von Ghoneim in Wien mit Hilfe von Kardinal Christoph Schönborn begründeten Stiftung „Korbgemeinschaft“ (www.korbgemeinschaft.at).

  1. Harb: Mut und Kultur gegen Gewalt und Terrorismus

Die entscheidende Bedeutung der Ökumene für die Wirksamkeit des christlichen Zeugnisses im Nahen Osten unterstrich P. Michel Harb in seinem Referat. Der Middle East Concil of Churches (MECC), der in Beirut seinen Sitz hat, arbeite an Fragen von Glaube und Einheit, Bildung und Erneuerung, Leben und Dienst. P. Harb bedauerte allerdings, dass man im Hinblick auf „gelebte Ökumene“ – besonders bei Flüchtlingsfragen – im Libanon (wie auch in Syrien) nicht wirklich fündig werde. Die Kirchen leisteten im Libanon zwar einen beachtlichen Beitrag zur Flüchtlingshilfe. Tatsache sei aber, dass jede Kirche nur ihre eigenen Ideen und Projekte umsetzt und man nicht von einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit anderen Kirchen sprechen könne. Deshalb habe auch das 2012 veröffentlichte Nachsynodale Schreiben von Papst Benedikt XVI. „Ecclesia in Medio Oriente“ die verschiedenen Gemeinschaften so eindringlich zu Geschwisterlichkeit und Freundschaft aufgerufen.

Im Hinblick auf die aktuelle Situation im Libanon verwies P. Harb darauf, dass nach den aktuellen Zahlen des UNHCR  rund eine Million registrierter syrischer Flüchtlinge in der Zedernrepublik lebt. Dazu müsse man aber noch 400.000 nicht angemeldete Syrer rechnen. Außerdem gebe es rund 500.000 palästinensische Flüchtlinge – bzw. deren Nachkommen – im Land. Diese Entwicklung führe zu immer größer werdenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen in dem kleinen Land, das nur halb so groß wie Niederösterreich ist. Bereits vor der Flüchtlingskrise habe der Libanon in wirtschaftlicher Hinsicht große Probleme gehabt: Hohe Lebenshaltungskosten, marode Infrastruktur, ein überwiegend privat organisiertes und kostspieliges Gesundheits- und Bildungssystem, hohe Arbeitslosigkeit, besonders unter der Jugend. Der Libanon brauche pro Jahr 35.000 neue Arbeitsplätze, tatsächlich könnten aber kaum mehr als 12.000 geschaffen werden.

Während in der Türkei und in Jordanien die syrischen Flüchtlinge zumeist in Lagern untergebracht seien, leben sie im Libanon überall im Land, was – so der libanesische Ordensmann – Probleme mit sich bringt: Libanesen und Flüchtlinge nutzen die selben öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser, Wasser- und Energieversorgung. Das habe negative Auswirkungen auf die konkrete Lebenssituation der Libanesen insbesondere aus sozio-ökonomisch schwächeren Schichten.

Der Libanon beruhe auf dem Gleichgewicht von Christen und Muslimen (was auch im „Pacte National“ von 1943 zum Ausdruck kommt, wonach der Staatspräsident maronitischer Christ zu sein hat, der Ministerpräsident aber sunnitischer Muslim), erinnerte P. Harb. Dieses Gleichgewicht drohe angesichts des Flüchtlingszustroms auseinanderzubrechen. P. Harb verwies darauf, dass die an einen konservativeren Lebensstil gewohnten syrischen Flüchtlinge im Libanon auf eine „offene Gesellschaft“ stoßen, zugleich gebe es eine gravierende demographische Veränderung, weil pro Jahr 40.000 neugeborene syrische Flüchtlingskinder nur 25.000 libanesischen Neugeborenen gegenüberstehen. Es wachse aber unter den syrischen Flüchtlingen auch eine Generation ohne Perspektive heran, weil viele syrische Kinder gar nicht in die Schule gehen, sondern arbeiten, um ihre Familie zu unterstützen. Armut und Hoffnungslosigkeit würden – sowohl bei den syrischen Flüchtlingen als auch in der libanesischen Gesellschaft insgesamt – einen Hauptfaktor der Radikalisierung darstellen.

Es gebe aber auch eine lange Geschichte der Harmonie zwischen Christen und Muslimen im Libanon, unterstrich P. Harb. In den katholischen Schulen finde man bis zu 20 Prozent Muslime, weil die Eltern ihren Kindern eine gute Ausbildung zukommen lassen wollen. Generell seien die libanesischen Muslime stark von den Christen beeinflusst. Anders als in anderen arabischen Ländern seien sie täglich mit den christlichen Werten konfrontiert, die auch die Unterstützung der Demokratie und Toleranz beinhalten.

Die Christen im Libanon stünden – wie alle Christen im Orient – vor vier Herausforderungen, stellte der libanesische Ordensmann fest: Das Zusammenleben mit einem Islam, in dem sich fundamentalistische Tendenzen vordrängen, der immer noch anhaltende und unlösbar scheinende Israel-Palästina-Konflikt, die soziale und ökonomische Unsicherheit, die hohe Zahl der syrischen und palästinensischen Flüchtlinge. Man müsse sich aber vor Augen halten, was der maronitische Patriarch, Kardinal Bechara Boutros Rai, sagt: Das Christentum kommt aus dem Orient, die Christen des Orients sind das „Gedächtnis“ des christlichen Glaubens, einem Nahen Osten ohne Christen würde die Freiheit fehlen, die Christen sind keine Gäste oder Zuwanderer, sondern die ursprüngliche Bevölkerung des Orients, vor allem leben sie seit Jahrhunderten mit den Muslimen, ihre Erfahrungen sind ein „Labor für das Zusammentreffen der Religionen“.

  1. Harb betonte seine Überzeugung, dass Gewalt und Terrorismus nur mit „Mut und Kultur“ besiegt werden können, „Mut, sich der Gewalt entgegenzustellen, und Kultur, um den Menschen zu vermitteln, dass Gott nicht ein ‚Gott des Todes‘, sondern ein ‚Gott des Lebens‘ ist“. Man müsse aber auch bedenken, dass die schnelle Kommunikation und die Globalisierung Mittel für den Fortschritt sind. Die Muslime, auch die radikalsten unter ihnen, könnten sich dieser kulturellen Revolution nicht entziehen. Die kulturelle Revolution bestehe jedoch nicht nur aus Technik und Wirtschaft, sie brauche auch eine Seele, einen Einblick in die Barmherzigkeit Gottes. Dies könne nur eine geistliche Philosophie schaffen, wie sie das Christentum mit sich bringt.

 

Einladung zum Mitfeiern

Die beiden katholischen Priester aus dem Nahen Osten luden abschließend die an der Ökumene Interessierten ein, die melkitische und die maronitische Gemeinde in Wien zu besuchen und dort auch am Gottesdienst teilzunehmen. Die melkitische Gemeinde ist in der Pfarrkirche St. Thomas in Wien-Nußdorf (1190 Wien, Greinergasse 25) zu Hause, die maronitische Gemeinde in der Pfarrkirche Unterheiligenstadt (1190 Wien, Heiligenstädter Straße 101).