Zwei Patriarchen aus dem Orient fanden bei der Münchner Sicherheitskonferenz deutliche Worte

Der chaldäisch-katholische Patriarch, Kardinal Mar Louis Raphael Sako, und der syrisch-orthodoxe Patriarch Mor Ignatius Aphrem II. analysierten die Situation der Christen und appellierten an die Weltgemeinschaft

0
458
Foto ©: Mar Louis Raphael I Sako / Facebook

München, 18.02.19 (poi) Zwei Patriarchen aus dem Orient – der chaldäisch-katholische Patriarch, Kardinal Mar Louis Raphael Sako, und der syrisch-orthodoxe Patriarch Mor Ignatius Aphrem II. – haben bei der Münchner Sicherheitskonferenz mit Entschlossenheit die Anliegen der Nahost-Christen vertreten. Beide Patriarchen nützten die Gelegenheit zu bilateralen Gesprächen mit prominenten Akteuren der Weltpolitik, sie nahmen aber auch gemeinsam an einer von der Hanns-Seidel-Stiftung organisierten Podiumsdiskussion teil, wo sie die Anliegen der orientalischen Christen auf den Punkt brachten. Die Diskussion trug den vielversprechenden Titel „Morgenröte einer neuen Ära? Künftige Perspektiven für religiöse Minderheiten im Nahen Osten“.

Der chaldäisch-katholische Kardinal-Patriarch legte dar, dass die westlichen Mächte vom Ende des Osmanischen Reiches an keinerlei Absicht deutlich gemacht hätten, im Nahen Osten die Entstehung von Rechtsstaaten zu fördern, in denen gleiche Rechte für alle Bürger garantiert sind. Negativ habe sich für die Christen auch der israelisch-palästinensische Konflikt ausgewirkt, weil er den „politischen Islam“ befeuert habe, und das althergebrachte Vorurteil, die orientalischen Christen seien “Verbündete“ der Politik der westlichen Mächte im Nahen Osten.

Im Irak sei es nach dem Sturz des Saddam Hussein-Regimes durch die US-Invasion 2003 zu einem Chaos gekommen, das eine Situation der „politisch-institutionellen Leere“ produziert habe, in der das sektiererische Denken, die Korruption und das Wuchern von jeglicher staatlichen Kontrolle entzogenen Milizen und bewaffneten Gruppen um sich greifen konnten. Wörtlich sagte der Kardinal-Patriarch in diesem Zusammenhang: „Die Instabilität im Nahen Osten hat das Dilemma der Christen verstärkt, auch auf Grund der ‚westlichen Politik‘, die in dieser Region eher den Konflikt ermutigt statt Demokratie und Freiheit zu fördern“. Die westlichen Entscheidungsträger hätten ihr Möglichstes getan, um ihre Wirtschaft und ihre Interessen auf Kosten der nahöstlichen Länder zu fördern. Eine besondere Rolle spiele in diesem Zusammenhang die Nutzung der Ölquellen und  der Waffenhandel. Im Irak hätten rund eine Million Christen das Land verlassen müssen, die Zahl der getöteten Christen bezifferte Mar Louis Raphael Sako mit rund 1.250.

Deutliche Worte fand der Patriarch im Hinblick auf die Situation in der Ninive-Ebene. Die Regierung in Bagdad habe wenig bis nichts getan, um die Rückkehr der vertriebenen Christen in die Kleinstädte und Dörfer der Ebene zu fördern. Es habe auch Korruptionsfälle gegeben, für die Genehmigungen zur Renovierung von zerstörten Kirchen und Wohnhäusern seien „Gebühren“ verlangt worden. Mehr als 23.000 Immobilien und Grundstücke seien den christlichen, jesidischen oder sabäischen Eigentümern von der lokalen „Mafia“ entzogen worden. Die internationale Gemeinschaft sei gefordert, zur „raschen Stabilisierung“ der Ninive-Ebene und zur Entwicklung einer langfristigen Entwicklungsstrategie beizutragen.

„Wir haben genug gelitten“, sagte der Kardinal-Patriarch. Voraussetzung für die Überwindung der Krisensituation der Nahost-Staaten sei die Anerkennung der Rechtsgleichheit aller Bürger, die Reinigung der Unterrichtsprogramme von allen „Aufforderungen zur Diskriminierung“ und die Ausmerzung der Ideologie des „Dschihad“ und des Heiligen Krieges. Die islamischen geistlichen Führungspersönlichkeiten müssten ermutigt werden, die wörtliche Interpretation des Korans überwinden. Mar Louis Raphael Sako bekundete seine Hoffnung, dass die jüngste Reise von Papst Franziskus in die Vereinigten Arabischen Emirate und die Unterzeichnung des Aufsehen erregenden Dokuments über die „menschliche Brüderlichkeit“ gemeinsam mit dem Großimam von Al-Azhar, Ahmed al-Tayyeb, zum Verschwinden der Ursachen des religiösen Fanatismus beitragen mögen.

Für den Irak skízzierte der Kardinal-Patriarch ein klares Programm: Verfassungsreform, Überwindung aller Missbräuche, die dazu führen, dass es „Bürger zweiter Klasse“ gibt, Reinigung und Reform des (vor allem islamischen) Religionsunterrichts, Schaffung von Arbeitsplätzen für die Jugend.

Der syrisch-orthodoxe Patriarch Mor Ignatius Aphrem II. kritisierte bei der Podiumsdiskussion, dass über die Zukunft Syriens ohne politische Vertreter aus dem Land diskutiert werde. Eines der großen Versprechen des „Arabischen Frühlings“ sei es gewesen, im Nahen Osten  eine neue „Ära der Demokratie“ herbeizuführen, in der die Menschen das Recht haben sollten, über ihre Zukunft und über die Art der Regierung selbst zu entscheiden. Man müsse sich die Frage stellen, warum dann den Syrern verboten werde, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden. Scharfe Kritik übte der Patriarch auch an den westlichen Sanktionen gegen Syrien, die „zu einer humanitären Tragödie und großem Leid des syrischen Volkes“ geführt hätten.

Eine politische Lösung sei für Syrien notwendig, unterstrich der Patriarch. Diese Lösung müsse auch die Rückkehrmöglichkeit für alle Flüchtlinge und Inlandsvertriebenen sicherstellen. Mor Ignatius Aphrem II. nannte drei vordringliche Ziele: Aufklärung der Entführung der beiden Aleppiner Metropoliten Mor Gregorios Youhanna Ibrahim und Boulos Yazigi, Aufhebung der illegalen Sanktionen, Anerkennung des Rechts des syrischen Volkes, über seine Zukunft zu entscheiden.