Russland: Debatte um Rückgabe von Kirchengütern

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Foto: © Photo made by EugeneZelenko's brother, Alex Zelenko (Quelle: Wikimedia; Lizenz: GNU Free Documentation License)

07.09.2018 (NÖK) In Vladimir hat die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) einen Antrag auf die Rückgabe des Goldenen Tors – ein UNESCO-Weltkulturerbe aus dem 12. Jahrhundert – gestellt. Das mittelalterliche Stadttor befindet sich heute im Besitz des Kulturministeriums und beherbergt eine Ausstellung über die Eroberung der Stadt durch die Mongolen 1238. Das Tor gehört zur berühmten Touristenroute des „Goldenen Rings“, zu dem neben Vladimir die altrussischen Städte Jaroslavl‘, Suzdal‘, Kostroma und Rostov zählen.

Die Forderung der ROK stützt sich auf ein Gesetz von 2010, das es Religionsgemeinschaften ermöglicht, enteignete religiöse Gebäude wiederzuerlangen. Bei der Konzeption des Gesetzes ging es in erster Linie um Eigentum, das während der Sowjetunion enteignet worden war. Allerdings handelt es sich beim Goldenen Tor nicht um ein religiöses Gebäude, das irgendwann der Kirche gehört hatte, sondern um einen Teil der alten Stadtbefestigung. Ihre Forderung begründet die ROK mit einer kleinen Kirche auf dem Tor, die jedoch bis auf wenige Jahrzehnte nie als Kirche genutzt wurde. Das heutige Museum erlaubt Gottesdienste in der Kirche.

Viele Bewohner Vladimirs sind gegen die Übergabe ihres Wahrzeichens an die ROK, knapp 900 Personen fordern in einer Online-Petition ein Referendum in der Angelegenheit. Sie werfen der ROK vor, möglichst viele historische Monumente ungeachtet ihrer (fehlenden) religiösen Bedeutung an sich reißen zu wollen. Die Entscheidung liegt bei der staatlichen Immobilienbehörde Rosimuschestvo, das Kulturministerium kann lediglich eine Gegenstellungnahme abgeben. Vielen Anträgen der ROK ist in den letzten Jahren stattgegeben worden, weil sie laut Gesetz nur zurückgewiesen werden können, wenn Beweise vorliegen, dass die betreffenden Gebäude niemals religiös genutzt wurden. Immer wieder kommt es in diesem Zusammenhang zu Bürgerprotesten, ein prominenter Fall ist die Isaakskathedrale in St. Petersburg.

Die Restitutionsgegner befürchten aufgrund von früheren Fällen einen massiv eingeschränkten Zugang der Öffentlichkeit zu kulturellen Stätten. Zudem werden die Bemühungen der ROK beim Schutz und der Bewahrung historischer Gebäude angezweifelt. Das jüngste Beispiel ist die bedeutende Holzkirche aus dem 18. Jahrhundert in Kondopoga, die am 10. August 2018 abgebrannt ist. Die Entschlafenskirche, ein Baudenkmal des russischen Nordens, war im Mai 2017 der ROK übertragen worden. Nach dem Brand warf die ROK dem Kulturministerium vor, dem Schutz des Monuments zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Zudem verdächtigte sie zunächst Touristen, die das in der Kirche eingerichtete Museum „fast unkontrolliert“ besuchten, das Feuer verursacht zu haben. Das Kulturministerium wies die Kritik zurück und erinnerte daran, dass der Schutz der Kirche seit der Rückgabe in der Verantwortung der Kirchgemeinde und des Museums liege.

Sorge erregt auch die Absicht der ROK, im Ferapontov-Kloster in der nordrussischen Vologda-Region – ebenfalls UNESCO-Weltkulturerbe – das Mönchtum wiederzubeleben. Dazu möchte die ROK fünf Gebäude, die zum Kirillo-Belozerskij-Museumskomplex gehören, übernehmen. Der stellvertretende Vorsitzende des Rats für den Schutz des Kulturerbes St. Petersburgs, Michail Miltschik, befürchtet, die steigende Zahl der Pilger und Gottesdienste würde den wertvollen Dionisij-Fresken schaden. Das zeige beispielsweise die Erfahrung aus der Entschlafenskathedrale in Vladimir, wo die zuvor restaurierten Fresken von Andrej Rubljov schwer gelitten hätten. Lev Lifschiz, der Leiter der Abteilung für altrussische Kunst am staatlichen Institut für Kunstwissenschaft, hält das Museum für den „einzigen Garanten“ für den Erhalt des „einzigartigen Denkmals, das während Jahrzehnten vorbildlich restauriert wurde“. Im Besitz der Eparchie Vologda befänden sich zahlreiche Kirchen und Klöster, darunter bedeutende Baudenkmäler, die in einem beklagenswerten Zustand seien.

Laut dem Leiter des Bunds der Museen Russlands, Michail Piotrovskij, bedarf das Restitutionsgesetz Verbesserungen, um den Erhalt kultureller Schätze und Museen zu gewährleisten. Der Museumsbund sei bereit, Anpassungen gemeinsam mit dem Kulturministerium zu erarbeiten.