
Florenz, 07.09.18 (poi) Die neue Sicht auf das Konzil von Ferrara und Florenz (1438/39), dessen Ziel die Wiedervereinigung der Kirchen war, steht im Mittelpunkt eines hochrangigen Expertengesprächs, das „Pro Oriente“ gemeinsam mit dem von Prof. Barbara Hallensleben geleiteten Ostkirchen-Zentrum St. Nikolaus der Universität Fribourg von 9. bis 12. September in der toskanischen Hauptstadt veranstaltet. Das Interesse für das Konzil von Florenz ist gewachsen, weil sich die internationale Kommission für den offiziellen theologischen Dialog zwischen katholischer und orthodoxer Kirche jetzt mit der Frage von Synodalität und Primat im zweiten Jahrtausend befasst. Dabei wird notwendigerweise das Konzil von Florenz mit seinen Auswirkungen auf die verschiedenen „Kirchen-Unionen“ ab dem 16. Jahrhundert behandelt werden müssen. Die Aktualität wird schon darin sichtbar, dass beim Expertengespräch in Florenz Erzbischof Job (Getcha), der Vertreter des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel beim Weltkirchenrat und orthodoxe Ko-Vorsitzende der internationalen katholisch-orthodoxen Kommission, das Eröffnungsreferat halten wird. Für die Organisation des Expertengesprächs zeichnen Prof. Hallensleben und von Seiten von „Pro Oriente“ die junge österreichische Theologin Andrea Riedl, die jetzt an der Universität München tätig ist.
In den Beiträgen der katholischen und orthodoxen Experten wird der Ablauf des Florentiner Konzils behandelt, wobei es auch um die Frage geht, wie tiefgehend die Kenntnis der jeweils anderen Tradition auf beiden Seiten war. Es wird aber auch das Zentralproblem dargestellt: Die Nicht-Rezeption der Resultate des Konzils, das die Spaltung zwischen West- und Ostkirche überwinden wollte. Ebenso werden die Auswirkungen dieses Faktums auf die weiteren Beziehungen zwischen den beiden „Lungenflügeln“ des Christentums im Zeitalter der „Unionen“ analysiert – einschließlich der Bezugnahmen auf das Konzil von Florenz bei der Diskussion über das Ökumene-Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils „Unitatis Redintegratio“. Wesentliches Ziel des Expertengesprächs ist es, unter Beachtung der Tatsache, dass die „Unionen“ der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausends heute unter Verdacht stehen, neue Impulse für die Idee der Versöhnung der einen Kirche Christi zu gewinnen.
Der Anlass des sogenannten Florentinums (nach dem Hauptort des Konzils, das ursprünglich in Ferrara begonnen hatte) war im Gegensatz zu den meisten anderen Konzilien nicht die Verteidigung oder Definition der Glaubenslehre oder die Straffung der Kirchendisziplin, sondern es war von Anfang an als Unionskonzil geplant. So war dieses Konzil auch gekennzeichnet durch die Wiederentdeckung der Bedeutung der Synodalität. Das Schisma des Westens hatte schon seit dem Konstanzer Konzil Initiativen gefördert, wieder zu einer Union mit der Ostkirche zu kommen. Auch der christliche Osten nahm unter Führung des Kaisers Johannes VIII. (1425–1448) und des Patriarchen von Konstantinopel Joseph II. besonders angesichts der osmanischen Bedrohung eine offenere Haltung zur Westkirche ein. Als Papst Eugen IV. mit dem Patriarchen Joseph II. in Ferrara zusammentraf, kam es dort zur letzten Begegnung eines Papstes mit einem Ökumenischen Patriarchen bis zum Treffen Papst Pauls VI. mit Patriarch Athenagoras in Jerusalem 1964.
Nach einvernehmlicher Verlegung des Konzils am 16. Jänner 1439 von Ferrara nach Florenz aus Gründen der Seuchenvorbeugung und der päpstlichen Geldnot kam dort die letzte Kirchenunion mit der Orthodoxie zustande. Der feierliche Abschluss dieser Union erfolgte durch die Unterzeichnung des Dekrets „Laetentur coeli“ am 6. Juli 1439 im Dom von Florenz. Wie die Kirchenunion von 1274 auf dem Zweiten Konzil von Lyon hatte auch diese Union keine lange Dauer. Vor allem der Erzbischof von Ephesos, Markos Eugenikos, verweigerte in Florenz seine Unterschrift und organisierte den kirchlichen Widerstand gegen die Union mit den Lateinern. Spätestens mit der am 29. Mai 1453 erfolgten Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen war die Union hinfällig. Allerdings kam es in der Folge des Florentinums und seiner Beschlüsse zu Teilunionen mit Patriarchaten und Eparchien der armenisch-apostolischen und der syrisch-orthodoxen Kirche sowie der Apostolischen Kirche des Ostens. Generell wird aber festgehalten, dass die Beschlüsse von Ferrara-Florenz weder in der West- noch in der Ostkirche dauerhaft umgesetzt wurden und somit letztlich wirkungslos blieben. Manche Historiker vertreten die Auffassung, dass die liegengebliebene Reformarbeit in der Westkirche dann einige Jahrzehnte später zum Mitauslöser der Reformation wurde.