Gedenken an die „Opfer von Jasenovac“ in Donja Gradina

Serbisch-orthodoxer Patriarch Irinej leitete das Gebet für die Opfer des auf dem heutigen Territorium der bosnischen Republika Srpska gelegenen einstigen kroatischen Vernichtungslagers

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Foto: © Petar Milošević (Quelle: Wikimedia; Lizenz: Attribution-Share Alike 4.0 International)

Belgrad-Sarajevo-Zagreb, 10.05.19 (poi) In Donja Gradina – einem Ort auf dem heutigen Territorium der bosnischen Republika Srpska, wo sich ein Vernichtungslager des kroatischen faschistischen Staates des Zweiten Weltkriegs befunden hat – wurde am 9. Mai der „Opfer von Jasenovac“ gedacht. Der serbisch-orthodoxe Patriarch Irinej leitete das Gebet für die Opfer; es wurde der Serben, Juden und Roma gedacht, die vom Vernichtungswahn der Ustaschi in den Tod getrieben wurden. Donja Gradina war ein Bestandteil des Lagersystems von Jasenovac, wo es zu besonders grausamen Mordtaten kam. Patriarch Irinej erinnerte daran, dass in den vier Jahren der Terrorherrschaft des sogenannten „Unabhängigen Staates Kroatien“ (NDH) in der Region (1941-1945) mehr Menschen ermordet wurden als in den Jahrhunderten der osmanischen Herrschaft ums Leben kamen. Auch wenn der Streit um die genaue Zahl der Opfer weitergehe, müsse davon ausgegangen werden, dass Jasenovac ein Ort des Martyriums war, für das es kaum Vergleichbares in der Geschichte der menschlichen Zivilisation gebe.

Der israelische Historiker Gideon Graff – Autor der Enzyklopädie „Jasenovac – Auschwitz des Balkans“ –  sagte, er sei durch seine Archivrecherchen zur Ansicht gelangt, dass Jasenovac noch brutaler als Auschwitz war. Umso notwendiger sei es, allen „geschichtsrevisionistischen Tendenzen und ihren gefährlichen Konsequenzen“ entgegenzutreten. Die Präsidentin der Republika Srpska, Zeljka Cvijanovic, stellte übereinstimmend mit der serbischen Regierungschefin Ana Brnabic fest, dass viele Jahrzehnte hindurch das Verbrechen von Jasenovac und seine Ungeheuerlichkeit zuwenig beachtet worden sei; in den letzten Jahren bemühe man sich aber, den Opfern Respekt zu erweisen. Die beiden Politikerinnen kündigten zugleich an, dass die serbische Regierung und die Regierung der Republika Srpska gemeinsam beschlossen hätten, im Bereich von Donja Gradina ein würdiges Mahnmal zu errichten. Dieses Mahnmal werde zugleich ein „Ort des Friedens“ sein, so Milorad Dodik, der derzeitige (serbische) Vorsitzende des bosnisch-hercegovinischen Staatspräsidiums.

Bei der Gedenkfeier in Donja Gradina legten u.a. auch die in Sarajevo akkreditierten Botschafter der USA, der Russischen Föderation und Großbritanniens sowie der EU-Repräsentant in Bosnien, Lars-Gunnar Vigemark, Kränze nieder.

Diana Budisavljevic, die Retterin der Kinder

In den Lagern des Ustascha-Regimes wurden auch Kinder festgehalten. Einer Österreicherin – Diana Budisavljevic – war es zu verdanken, dass viele Kinder aus der Hölle der Lager befreit werden konnten. Am Samstag, 4. Mai, wurde auf ORF III erstmals ein neuer Film über diese bisher weitgehend unbekannte Retterin tausender Kinder ausgestrahlt. Der Film trägt den Titel „Dianas Vermächtnis. Die Kinderretterin aus Tirol“ (Diana Budisavljevic stammte aus Innsbruck, sie war mit einem Zagreber Serben, einem Chirurgen und Universitätsprofessor, verheiratet). „Man weiss nicht genau, wie viele Kinder in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern der Ustaschi ermordet worden sind“, stellt die Gestalterin des Films, Iris Haschek, fest: „Es wären etwa 12.000 mehr gewesen, hätte eine Dame aus der ‚besseren Gesellschaft‘ nicht ihre Rettungsaktion, die ‚Aktion Diana Budisavljevic‘ gestartet. Diana befreite die Kinder aus den Lagern und rettete damit ihr Leben. Sie führte Listen über die Kinder und machte sie damit wieder auffindbar“.

Iris Haschek und ihr Team von „Inspiris Film“ hatten für den Film den Autor des biografischen Romans „Dianas Liste“, Wilhelm Kuehs, an der Universität Klagenfurt besucht. Er führt im Film durch Dianas Rettungsgeschichte. In Innsbruck erzählten die Mitbegründer des „Runden Tisches über Diana Budisavljevic“ über ihre Bemühungen, Dianas Andenken zu bewahren: die Sprachwissenschaftlerin Vera Merkel und der Obmann des serbisch-orthodoxen Jugendvereins Innsbruck, Vladimir Vlajic. Der Stadtarchivar Lukas Morscher schilderte Innsbrucks Geschichte zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges. In München berichtete der Ustascha-Experte Alexander Korb von der University of Leicester von den komplexen Zusammenhängen des sogenannten NDH-Staates in Kroatien mit dem NS-Regime. Der Osteuropa-Historiker Carl Bethke von der Universität Tübingen analysierte für den Film zeithistorische Zusammenhänge. Der Priester Aleksandar Stolic von der serbisch-orthodoxen Kirchengemeinde Innsbrucks erinnerte an die Kraft der Gemeinschaft.

In Kroatien ging Iris Haschek mit der Historikerin Anna Maria Grünfelder auf den Spuren Dianas zum Staatsarchiv Zagreb und filmte die Wohnhäuser der Familie Budisavljevic.
Die Gedenkstätte am Ort des einstigen Lagers Jasenovac kam ebenso ins Bild wie der Fluss Save, in dem vor mehr als 75 Jahren die Leichen der Ermordeten trieben und der heute so unspektakulär idyllisch wirkt wie die alte Donau.

Unter den kroatischen Serben gibt es bis heute tiefe Dankbarkeit für Diana Budisavljevic. Viele Familien verdanken der Innsbruckerin ihre Existenz und unzählige Kinder von damals das Wissen um ihre eigene Identität. Denn ohne Dianas Katalogisierung besonders kleiner Kinder mittels Foto, Namensnotiz und Liste hätte man diese Kleinkinder niemals ihren Familien zurückbringen können. Man hätte ganz einfach nicht gewusst, wer sie waren.

 

Dianas Geschichte wirkt weit weg, sie ist lange her, stellte Iris Haschek fest. Die Recherche zu diesem Film sei unfassbar traurig gewesen: „Das Filmmaterial von ermordeten Menschen und eingesperrten Kleinkindern auf Strohlagern war unerträglich. Diese Kinder hatten die ‚falsche‘ Ethnie, die ‚falsche‘ Religion, die ‚falsche‘ Staatsbürgerschaft. Viele waren nicht älter als meine beiden Neffen, von denen der größere bald in den Kindergarten gehen wird“. Im deutschsprachigen Raum wähne man sich in Friedenszeiten: „Intellektuell wissen wir, was für Gräuel gar nicht so weit weg dafür sorgen, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen, um zu überleben. Manche von uns helfen auch Geflüchteten und hören ihre Geschichten. So richtig bewusst spüren wir den Krieg hier aber nicht. Der Zweite Weltkrieg ist für meine Generation schon so lange her wie der Erste Weltkrieg für meine Eltern. Was in den Nachbarländern Österreichs zur Zeit des Holocausts passiert ist, haben wir im Geschichtsunterricht neben der ausführlichen Analyse der Habsburger-Erbfolge nur gestreift. Dass es unweit von Zagreb mit Jasenovac ein Konzentrationslager gab, das neben den deutschen Lagern das größte in ganz Europa war, habe ich nicht gewusst“.

Dass es damals jemanden wie Diana Budisavljevic gab, eine Frau aus der feineren Zagreber Gesellschaft, die die Zustände einfach nicht mitansehen konnte, müsse erzählt werden, so die Filmemacherin: „Als Beispiel für uns alle, die wir nicht zulassen dürfen, wie die Grenzen des Akzeptablen immer mehr verschoben werden“. Darum sei der Film keine historische Dokumentation geworden, die eine ferne Begebenheit rezitiert. Es sei vielmehr ein aktueller Film über Heldenmut und Niedertracht, „über die Liebe zu den Menschen, über das Trennende, das so unbesiegbar wirkt und doch so viel weniger wichtig ist, als das Verbindende“.

Nach dem Krieg sei Diana nicht geehrt worden, so Iris Haschek. Es gebe kein Heldendenkmal von ihr in Zagreb und auch nicht in ihrer Heimatstadt Innsbruck. Wohl aber werde ihr zu Ehren in der Tiroler Landeshauptstadt ein Kindergarten benannt, initiiert von der Innsbrucker serbisch-orthodoxen Kirchengemeinde, die dafür eintritt, Dianas Andenken zu ehren. Iris Haschek lässt im Film Vladimir Vlajic zu Wort kommen: „Vielleicht spüren die Kinder in diesem Kindergarten dann ein wenig den Geist von Dianas Aktion und nehmen diese positive Energie mit in ihr späteres Leben“.