Ukraine: „Menschen sehnen sich nach Oasen des Friedens“

Internationale Aufmerksamkeit ist der Ukraine unmittelbar vor den Präsidentschaftswahlen am 31. März sicher. Ansonsten scheinen der Krieg und die anhaltende Krise dort weit entfernt.

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Foto: © KIRCHE IN NOT

27.03.2019 (Kirche in Not) Die Sorge um die Menschen in der Ukraine bereitet Edward Kawa schlaflose Nächte, erzählt er. Dennoch strahlt der 40-jährige Franziskanerminorit eine Glaubenszuversicht aus, die er auch in seinem Amt als Weihbischof im westukrainischen Erzbistum Lemberg/Lwiw weiterzugeben versucht. Die römisch-katholische Kirche in der Ukraine ist eine kleine, aber vitale Minderheit von rund einer Million Menschen. Etwa fünf Millionen Gläubige zählt die mit Rom unierte griechisch-katholische Kirche.

Die Spannungen mit Russland durchziehen die Politik, aber auch das Leben Kirche im Land. Über Resignation und neue Hoffnungen, den Einsatz der Kirchen für die Bevölkerung und weshalb junge Menschen trotz Schwierigkeiten in der Ukraine bleiben wollen, hat Tobias Lehner bei einem Besuch von Weihbischof bei einer Veranstaltung von „Kirche in Not“ in Köln gesprochen.

ToBIAS lEHNER: Exzellenz, die Ukraine ist Ende 2018 erneut in das Licht der Öffentlichkeit gerückt: Auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim kam es zu Auseinandersetzungen über Durchfahrtsrechte von ukrainischen Schiffen. In deren Folge wurde für 30 Tage das Kriegsrecht verhängt. Wie groß ist die Angst in der Bevölkerung vor einem Krieg?

Weihbischof Edward Kawa: Die Angst ist allgegenwärtig – nicht erst seit der Ausrufung des Kriegsrechts. Denn eigentlich hat der Krieg schon 2014 begonnen: zuerst mit der „Revolution der Würde“, also den blutigen Protesten auf dem Kiewer Maidan, dann mit der Annexion der Krim und durch die Kämpfe in der Ostukraine. Die Lage bleibt sehr angespannt.

Der mittlerweile fünfjährige Krieg in der Ostukraine findet nahezu unter „Ausschluss der Öffentlichkeit“ statt. In den Medien ist davon selten zu hören. Die Menschen in den betroffenen Regionen um Donezk und Luhansk sind isoliert. Was wissen Sie über ihre Situation?

Ich habe Kontakt zu vielen Menschen, die im Kriegsgebiet leben. Die materielle Not ist enorm. Besonders im Kreis Luhansk ist die Lage dramatisch. Die Menschen sind die Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine leid. Sie möchten einfach in Frieden leben. In Donezk und Luhansk gibt es kleine katholische Kirchen. Sie sind immer voll. Die Menschen sehnen sich nach Oasen des Friedens. Das versucht die Kirche zu erfüllen.

Sie haben im Auftrag der Ukrainischen Bischofskonferenz die Verteilung der Hilfsgelder organisiert, die bei der Sonderkollekte in allen katholischen Kirchen Europas im April 2016 gesammelt wurden. Was haben diese Gaben bewirkt?

Es sind fast 16 Millionen Euro zusammengekommen. Wir sind nach der Überlegung vorgegangen: Wenn wir einem Menschen helfen wollen, der durch den Krieg alles verloren hat, dann muss er zuerst ernährt und gekleidet werden. Er muss menschenwürdig wohnen können und Hilfe bekommen. Die meisten Spendengelder haben wir deshalb für Lebensmittel und Kleiderspenden verwendet. Dann folgten Ausgaben für Medikamente und weitere medizinische Hilfen. Wir haben mit den Geldern Notunterkünfte und Wohnungen für tausende Vertriebene und Kriegsflüchtlinge schaffen können.

Ein weiterer wichtiger Punkt waren die sogenannten Rehabilitationszentren für Kinder und Jugendliche. Dort erhalten sie psychologische Hilfe, geistlichen Beistand, aber auch Angebote für Freizeitgestaltung. Wir konnten zum Beispiel Ferienlager oder Ausflüge organisieren, damit die Jugendlichen einmal aus ihrem bitteren Alltag herauskommen.

Auch in religiöser Hinsicht erregte die Ukraine Ende 2018 aufsehen: Zwei Kirchen, die sich in der Vergangenheit von der russisch-orthodoxen Kirche getrennt hatten, haben zur „Orthodoxen Kirche in der Ukraine“ vereinigt. Wird aus Ihrer Sicht die selbstständige orthodoxe Kirche die Ukraine weiter einen oder spalten?

Für uns Katholiken macht es den Dialog leichter. Die „Orthodoxe Kirche in der Ukraine“ hätte eigentlich schon nach dem Zusammenbruch des Kommunismus entstehen sollen. Viele Ukrainer haben sich in der Kirchenfrage zusammengetan. Das ist ein Beitrag zur Einheit. Aber klar sein muss auch: Wir Christen vereinen uns um Jesus – nicht um eine Partei oder einen Präsidenten. Das schafft unnötige Wunden.

Auch im Westen sind vielen Menschen die Proteste auf dem Maidan in Kiew von November 2013 bis Februar 2014 noch immer präsent. Welche Rolle spielt diese „Revolution der Würde“ heute bei den Menschen in der Ukraine?

Nach den Protesten auf dem Maidan haben viele Menschen auf Veränderung gehofft. Aber das ist eigentlich alles geplatzt. Das war eine Enttäuschung. Vielen Menschen geht es schlechter als vorher. Sie sehnen sich immer noch nach Würde. Diese Sehnsucht ist sehr stark. Das erlebt man auch bei den Gebeten in den Kirchen. Die Menschen warten und erwarten, dass die Lage in der Ukraine besser wird.

Bei Ihrer Weihe im Mai 2017 waren Sie der jüngste Bischof der Weltkirche. Sie sind auch durch Ihre Arbeit nah dran an den Jugendlichen. Viele von ihnen sehen in der Ukraine keine Zukunft mehr und gehen ins Ausland. Ist dieser Trend zu stoppen?

Wir bemühen uns vor allem, in Kontakt zu bleiben mit den jungen Leuten, ob sie nun für kurze Zeit ins Ausland gehen oder für immer. Wir möchten, dass sich jeder junge Mensch als Teil einer Gemeinschaft fühlt und jederzeit willkommen ist. Die jungen Männer und Frauen sollen auch im Ausland ihren christlichen Glauben nicht anonym leben. Dazu versuchen wir sie zu ermutigen, durch Austausch, Seminare und Begegnungen. Wir greifen Themen auf, die junge Menschen heute bewegen. Mein Eindruck ist: Die jungen Leute, die diese Gemeinschaft für sich entdecken, wollen ihr Land nicht mehr verlassen, so schwer es auch bisweilen ist. Sie wollen bleiben und etwas verändern.

Die Christen in der Ukraine stehen nach wie vor an vierter Stelle der Länder, die „Kirche in Not“ unterstützt. Was ist Ihre Botschaft an die Wohltäter?

Überall in der Ukraine sehen wir die Zeichen der Hilfe von „Kirche in Not“, die Gott uns geschenkt hat. Unsere Kirche ist nach dem Kommunismus wieder aufgeblüht durch diese Hilfe. Wir sind dafür jeden Tag dankbar. Wir wissen, dass diese Unterstützung auch in Zukunft Früchte tragen wird. Dank der Hilfe von „Kirche in Not“ ist uns auch bewusstgeworden, dass wir in der Ukraine nicht isoliert sind. Unsere Kirche ist wie eine Familie: Man muss einfach mit den Geschwistern alles teilen, was man hat.

Um die Arbeit der Kirche in der Ukraine weiterhin unterstützen zu können, bittet „Kirche in Not“ um Spenden – entweder online unter: www.spendenhut.de oder auf folgendes Konto:

Empfänger: KIRCHE IN NOT
LIGA Bank München
IBAN: DE63 7509 0300 0002 1520 02
BIC: GENODEF1M05
Verwendungszweck: Ukraine