Neuer Patriarchensitz der syrisch-orthodoxen Kirche im libanesischen Atchaneh eingeweiht

Inauguration stand im Zeichen einer doppelten Premiere: Staatspräsident Aoun dokumentierte durch seine Anwesenheit die Gleichberechtigung der Syrisch-Orthodoxen mit den anderen Konfessionen im Libanon, der syrisch-orthodoxe Patriarch konzelebrierte erstmals mit dem koptisch-orthodoxen Patriarchen und dem armenisch-apostolischen Katholikos von Kilikien – Patriarch und Präsident erinnerten an die entführten Aleppiner Metropoliten

0
1137
Foto: © Vladanr (Quelle: Wikimedia; Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported)

Beirut, 23.06.18 (poi) Mit besonderen Akzenten fand am 22. Juni im libanesischen Atchaneh die Segnung und Eröffnung des neuen syrisch-orthodoxen Patriarchensitzes statt: Der libanesische Staatspräsident Michel Aoun war mit zahlreichen Vertretern des politischen, religiösen und kulturellen Lebens der Zedernrepublik anwesend (womit erstmals die Gleichberechtigung der syrisch-orthodoxen Kirche mit den anderen Konfessionen im Libanon dokumentiert wurde), beim Festgottesdienst in der Marienkirche in Atchaneh konzelebrierten erstmals der koptisch-orthodoxe Papst-Patriarch Tawadros II. und der armenisch-apostolische Katholikos von Kilikien, Aram I., mit dem syrisch-orthodoxen Patriarchen Mor Ignatius Aphrem II. (alle drei Kirchen gehören der orientalisch-orthodoxen Kirchenfamilie an, Konzelebration der Kirchenoberhäupter war aber bisher nicht üblich). Mor Ignatius Aphrem II. hob in seiner Predigt die Konzelebration als erstmalig in der orientalischen Kirchengeschichte hervor.

Der syrisch-orthodoxe Patriarch dankte Präsident Aoun – der der maronitischen Kirche angehört – für seine Anwesenheit. Der Libanon, der seit jeher syrisch-orthodoxen Gläubigen eine Zuflucht geboten habe, sei in den Herzen aller syrisch-orthodoxen Christen in der weltweiten Diaspora. Mor Ignatius Aphrem II. betonte, dass die Leiden der Gegenwart die syrisch-orthodoxe Kirche nicht abhalten könnten, Zeugnis für das Evangelium abzulegen und den eigenen „geistlichen Kindern“ wie auch den muslimischen Brüdern und Schwestern zu dienen, „mit denen wir die Liebe zu unserer syrischen Heimat teilen“. Die „verbrecherischen Hände“, die Kirchen und Klöster zerstört und Priester – an der Spitze die beiden Aleppiner Metropoliten Mor Gregorios Youhanna Ibrahim und Boulos Yazigi – entführt hätten, würden durch die gemeinsamen Anstrengungen aller syrischen Bürger in die Schranken gewiesen werden. Wörtlich fügte der Patriarch hinzu: „Denen, die uns vertreiben wollen, sage ich, dass unser Wille, in Syrien zu bleiben, stärker ist als ihre Versuche, uns auszurotten“.

In herzlichen Worten würdigte der Patriarch die Bemühungen von Präsident Aoun, den Libanon noch mehr als bisher zu einem „Beispiel der Koexistenz“ und einem Brennpunkt des interreligiösen Dialogs zu machen. Auf diese Weise könne den Menschen des Orients ihre Würde wiedergegeben werden.

 

Eine „klare Botschaft“

Nach der Liturgie enthüllte Präsident Aoun eine Gedenktafel am neuen Patriarchensitz, auf der auch des „Sayfo“ (des von der damaligen osmanischen Regierung ab 1915 in Gang gesetzten Völkermords an den Christen der syrischen Tradition) gedacht wird. Aoun bezeichnete den Bau des neuen Patriarchensitzes als eine „deutliche Antwort“ an alle, die aus dem Nahen Osten verschiedene angestammte Gruppen vertreiben wollen, wie auch als eine „klare Botschaft“ an die Entführer der beiden Metropoliten Mor Gregorios Youhanna Ibrahim und Boulos Yazigi. Der Präsident erinnerte an die hunderttausenden syrischen und armenischen Opfer des Völkermords im Osmanischen Reich ab 1915. Heute dürfe es nicht zu einer Wiederholung dieser Untaten kommen. Man müsse daran erinnern, dass die Evangelisierung der ganzen Welt vom Nahen Osten ausgegangen sei. Nach den Massakern und Verfolgungen in der Vergangenheit würden auch heute noch orientalische Christen Opfer von Gewalt. Viele von ihnen seien aus ihrer Heimat weggezogen, „ein menschliches Ausbluten, das aufhören muss „, fügte Aoun hinzu und forderte die Zusammenarbeit der politischen und religiösen Führungspersönlichkeiten, um entsprechende Umweltbedingungen zu schaffen, damit die Menschen bleiben können.

In Atchaneh nahm Aoun auch auf eine heikle innenpolitische Frage des Libanon Bezug. Es sei falsch, den Libanon im Zeichen ethnischer und religiöser „Mehrheiten“ und „Minderheiten“ zu interpretieren: genau dies habe dazu geführt, dass einige Mitglieder der libanesischen Gesellschaft „ihre politischen Rechte und den Zugang zu öffentlichen Ämtern“ nicht wahrnehmen können. Mit dieser Äußerung bezog sich der Präsident auf die Situation jener libanesischen Christen, die nicht der maronitischen oder der griechisch-orthodoxen Kirche angehören.

Der Libanon sei seit Anbeginn der Geschichte ein Land gewesen, in das ethnische und religiösen Gruppen „auf der Flucht vor Verfolgung und auf der Suche nach Zuflucht“ gekommen seien, erinnerte Aoun: „Wir sind alle Minoritäten, miteinander verbunden durch Bürgerschaft und Identität und wir sind alle zusammen die Majorität des libanesischen Volkes“. Daher sei er auch als Parteiführer immer für eine faire Vertretung der syrisch-orthodoxen Christen und anderer als „Minderheiten“ betrachteter Gruppierungen im Parlament eingetreten.

An den Feierlichkeiten in Atchaneh nahmen hochrangige Vertreter aller christlichen Kirchen teil, an der Spitze der maronitische Patriarch, Kardinal Bechara Boutros Rai, der griechisch-orthodoxe Patriarch Youhanna X., der griechisch-katholische melkitische Patriarch Yousef Absi, der syrisch-katholische Patriarch Mor Ignatius Yousef III. Younan und der armenisch-katholische Patriarch Krikor Bedros XX.

 

12. Patriarchen-Treffen

Tags zuvor hatten die orientalisch-orthodoxen Patriarchen Mor Ignatius Aphrem II., Tawadros II. und Aram I. in Atchaneh das 12. Patriarchen-Treffen abgehalten, an dem auch mehrere Bischöfe aus allen drei Kirchen teilnahmen. Im Mittelpunkt der Gespräche stand die Präsenz der Christen im ganzen Nahen Osten, die Entwicklung der offiziellen theologischen Dialoge mit anderen Kirchenfamilien, aber auch die Situation der syrisch-orthodoxen Kirche in Südindien.