Syrien: „Shitstorm“ nach Islamisten-Angriff aus Idlib auf christliche Kleinstadt

Mahardah, ein Städtchen, wo nach der Tradition eine Zeitlang die Gottesmutter ansässig war, wurde zum Symbol-Ort

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Foto: © Bernard Gagnon (Quelle: Wikimedia: Lizenz: GNU Free Documentation License)

Damaskus, 09.09.18 (poi) In der laufenden, auch medialen Auseinandersetzung um die letzte Rückzugsposition der islamistischen Milizen in der syrischen Provinz Idlib gibt es einen neuen Symbolort: Die südlich der Frontlinie zwischen der syrischen Armee und den Terroristen liegende Kleinstadt Mhardeh (auch: Mahardah) wurde am 7. September Ziel eines Raketenangriffs der in Idlib verschanzten Islamisten (vor allem „Hayat Tahrir al-Sham“ und „Jaysch-al-Nasr“); in der ausschließlich von griechisch-orthodoxen Christen (und einer evangelisch-presbyterianischen Minderheit) bewohnten Stadt wurden durch die islamistischen Angriffe neun Menschen getötet (darunter drei Kinder, deren Mutter und Großmutter) sowie mehr als 20 verletzt. Niemand hatte mit einem Angriff gerechnet. Beim kirchlichen Begräbnis waren tausende Menschen aus der Stadt und der Umgebung anwesend. Weit über die Grenzen Syriens hinaus entstand wegen des „absoluten Schweigens“ des Westens über die Angriffe auf Mahardah ein „Shitstorm“ gegen die „von Trump und Europa unterstützten Mördertruppen“: „Wenn das Blut von Christen fließt, kümmert das niemand“. Russische Flugzeuge bombardierten Kafr Zeita – im von den Islamisten kontrollierten Gebiet -, von wo die Angriffe auf Mahardah und benachbarte christliche Orte ausgegangen waren.

In Syrien wird vermutet, dass der Angriff auf Mahardah nicht von ungefähr erfolgte. Die Stadt ist eine christliche Hochburg, sie ist die Heimatstadt des einstigen griechisch-orthodoxen Patriarchen von Antiochien, Ignatios IV. Hazim (1921–2012), und Wohnort nicht weniger gemischter syrisch-russischer Familien (die entstanden, als in den 1970er-Jahren viele Syrer in Moskau studierten). In den letzten Jahren war Mahardah mehrfach Ziel der (auch aus dem Westen finanzierten) Milizen, so im Mai 2016 und im März 2017.

Der „Mukhtar“ von Mahardah, Simon Yousef al-Khoury, sagte vor kurzem im Gespräch mit der Hildesheimer „Kirchenzeitung“: „Wir sind ein Volk, das Frieden will“. Seit 2011 seien 8.000 Raketen und Granaten in Mahardah eingeschlagen, 90 Zivilisten und 24 junge Soldaten seien getötet worden. Früher sei Mahardah die „Mutter der umliegenden Dörfer“ gewesen, aus denen jetzt die Angriffe erfolgen. Die Bauern seien aus den Nachbarorten gekommen, um auf dem Markt in Mahardah ihr Vieh, Obst und Gemüse zu verkaufen. Doch 2011 hätten muslimische Bewohner der Dörfer plötzlich sehr extremistische Ansichten vertreten und die Bürger von Mahardah zu „Ungläubigen“ erklärt. Simon al Khoury macht Einflüsse aus dem Ausland, auch aus der Türkei, für die Eskalation verantwortlich. Die Christen von Mahardah stünden an der Seite der Regierung und der syrischen Armee: „Sie greifen die Armee an, also greifen sie auch uns an“. Trotzdem hofft der Mukhtar auf Versöhnung: „Gute Menschen können sich versöhnen. Wir alle werden die Vergangenheit vergessen und eine neue Seite in unserem Zusammenleben aufschlagen. Und wenn der Krieg zu Ende ist, werden wir gemeinsam alles wieder aufbauen“.

Simon al-Khoury ist gut über die Lage der Menschen in Mahardah informiert. 22.663 Personen, 6.200 Familien leben in dem Ort, zählt er auf. Aufgrund des Krieges hätten 480 Familien den Ort verlassen und lebten heute an der Küste oder in Damaskus. 50 Familien aus Mahardah seien nach Deutschland gegangen und dort gut aufgenommen worden. Er hoffe, dass alle nach dem Ende des Krieges zurückkehren.

Mahardah hat auch eine hohe religiöse Bedeutung, weil nach der Tradition die Gottesmutter Maria einige Zeit in einem Haus verbrachte, das heute eine kleine Kirche neben dem Hauptplatz ist. Wie in Russland während des Zweiten Weltkriegs werden auch in Mahardah Marien-Ikonen in allen vier Himmelsrichtungen ausgelegt, um das Städtchen vor den Feinden zu schützen.

Die etwa 23 Kilometer nordwestlich von Hama am Orontes gelegene Stadt war auf Grund der hohen Auswanderungsquote immer wohlhabend. Das Hauptziel der Migranten war Lateinamerika (wo heute auch etliche Staatspräsidenten christlich-arabischer Herkunft sind). Strategisch ist Mahardah wegen seiner Position an der Hauptstraße von Damaskus nach Aleppo von höchster Bedeutung.