„Die Christen von Damaskus fühlen sich verlassen“

Die christlichen Viertel der syrischen Hauptstadt stehen unter permanentem Beschuss der dschihadistischen Milizen, die sich in Ost-Ghouta unter der Zivilbevölkerung verstecken

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Foto: © Bernard Gagnon (Quelle: Wikimedia, Lizenz: GNU Free Documentation License)

Damaskus, 02.03.18 (poi) Die Weltöffentlichkeit ist empört über die Angriffe der syrischen Luftwaffe auf die Kommandozentralen der dschihadistischen Milizen, die sich in Ost-Ghouta unter der Zivilbevölkerung verstecken, aber warum berichtet niemand über die seit Wochen andauernden pausenlosen Granaten- und Raketenangriffe der Dschihadisten auf die christlichen Viertel von Damaskus wie Bab Touma, Abassiyine, Koussour und die Vorstadt Jaramana: Diese Frage wird von syrischen Bischöfen und Kirchenverantwortlichen immer drängender gestellt.

P. Bahjat Elia Karach, der Hausobere (Guardian) des Franziskanerklosters „Pauli Bekehrung“, das die wichtigste Damaszener Pfarrgemeinde des lateinischen Ritus betreut, sagte am Freitag im Gespräch mit der italienischen katholischen Nachrichtenagentur SIR, es bestehe der Eindruck, dass die Islamisten die Christen aus der syrischen Hauptstadt hinausekeln wollen. Wörtlich sagte der Franziskaner: „Die Christen fühlen sich verlassen und frustriert, weil sich niemand um das kümmert, was in den christlichen Vierteln auf Grund des ständigen Beschusses vorgeht. Als christliche Gemeinschaft können wir nichts anderes tun als beten und so vielen Menschen wie möglich konkrete Hilfe leisten, ohne auf Religionsbekenntnis oder Ethnie zu schauen, wie das auch Papst Franziskus verlangt, der als einziger ‚Leader‘ in der Welt Frieden für Syrien fordert“.

Die Aktionen der dschihadistischen Milizen wie „Dschaisch al-Islam“, „Fatah al-Sham“ (früher „al Nusra“), „Ahrar al-Sham“, „Faylaq al-Rahman“ seien „systematisch und insistent“, berichtete P. Bahjat Elia. Am 1. März hätten in der Umgebung des Franziskanerklosters im Bezirk Bab Touma 13 Raketen eingeschlagen, „alle punktgenau zu dem Zeitpunkt, an dem die Kinder und Jugendlichen aus den Schulen kommen“. Die Absicht, Kinder und Jugendliche zu treffen, sei offensichtlich gewesen. Der Franziskaner erinnerte daran, dass in Bab Touma – wo sich die Kathedralen und die Sitze der Patriarchate befinden – am 9. Jänner fünf Zivilisten durch die Raketen und Granaten der Dschihadisten getötet und 30 verletzt wurden, am 22. Jänner habe es wieder fünf Tote und acht Verletzte gegeben. Aber das seien nur zwei Beispiele, insgesamt habe es Dutzende Verletzte gegeben.

Vor zwei Monaten sei die Franziskanerkirche unter Beschuss gewesen, dabei habe es gravierende Schäden, aber zum Glück keine Opfer gegeben, so P. Bahjat Elia. Seit Jahresbeginn seien vier wichtige Kirchen von den Raketen und Granaten der „Rebellen“ getroffen worden – u.a. die maronitische, die griechisch-katholische und die antiochenisch-orthodoxe Kathedrale. Es seien „harte Tage“, aber es gebe auch die Hoffnung auf ein Ende der Kämpfe, damit man in ganz Damaskus – „wie es auch in Aleppo geschehen ist“ – wieder in Sicherheit leben könne.

Die psychologischen Auswirkungen der Situation hat der maronitische Erzbischof von Damaskus, Samir Nassar, eindringlich in seinem Fastenhirtenbrief beschrieben. Er stelle sich mitunter die Frage, ob die kirchliche Struktur in Damaskus nicht langsam am Zusammenbruch sei. Im Vorjahr habe es in der maronitischen Gemeinschaft nur zehn Hochzeiten gegeben, während es 2016 noch 30 waren, die Zahl der Taufen sei von 40 auf sieben gesunken.

In diesem siebenten Kriegsjahr in Syrien habe die Intensität der Kämpfe wieder zugenommen – und das betreffe nicht nur die von den Dschihadisten als Geiseln genommene Zivilbevölkerung von Ost-Ghouta, so Nassar. Der Exodus aus dem geschundenen Land habe sich beschleunigt, besonders unter den Jugendlichen und den Männern, sodass es bereits spürbaren Arbeitskräftemangel trotz der schlechten Wirtschaftslage gebe. Die soziale Krise, die Inflation und die Sanktionen hätten aus den noch im Land verbliebenen Syrern ein „Volk der Armut gemacht, das von Zuwendungen und Bettelei leben muss“, bedauerte der Erzbischof in seinem Hirtenbrief. 80 Prozent der im Gesundheitswesen Tätigen – „darunter die meisten Ärzte“ – hätten das Land verlassen, so Nassar. Das führe u.a. dazu, dass 60 Prozent der Verwundeten und Verletzten sterben.

Angesichts dieses schmerzlichen Gesamtbildes könne seine maronitische Kirche mit ihrem karitativen Einsatz wegen des Mangels an Strukturen und Personal nicht mithalten, stellte der Erzbischof fest. Daher habe die Zahl der von der maronitischen Erzdiözese unterstützten Familien im Vorjahr nur mehr 828 betragen, während es 2016 noch 1.407 waren. Die Situation verschlechtere sich Tag für Tag, so Nassar: «Wir sehen immer mehr Menschen, die weggehen, ohne dass wir sie zurückhalten oder ihnen wenigstens Lebewohl sagen könnten».

Die tiefe Sorge des Erzbischofs wird in seinem Fastenhirtenbrief überaus deutlich. Bei seinem Amtsantritt im Dezember 2006 habe ihn einer seiner Priester gefragt, ob er der letzte maronitische Bischof von Damaskus sein oder ob er einen Nachfolger finden werde, dem er die Schlüssel der Kathedrale in die Hand drücken könne. Wenn er an das irakische Beispiel denke, beschleiche ihn die Furcht, dass die Intuition des fragenden Priesters richtig war, stellte der Erzbischof jetzt im Hirtenbrief fest.

Im Gespräch mit dem «Kirche in Not»-Informationsdienst schilderte die in Damaskus lebende Sr. Annie Demerjian von der Jesus- und Maria-Kongregation, wie sie die Situation erlebt: «Ich habe oft Eltern gesehen, die einfach ihre Kinder gepackt haben und davongelaufen sind. Eine Granate ist auf das Dach des Patriarchats gefallen, aber nicht explodiert. Wenn die in die Luft gegangen wäre, hätten wir alle tot sein können».

Am 20. Februar sei es «die Hölle» gewesen. Es habe Bomben, Granaten und Raketen gehagelt. Zahllose Personen seien verletzt worden. Die Schulen hätten sich nicht anders zu helfen gewusst als vorübergehend zu schließen. «Aber wir müssen weitermachen. Das Leben ist stärker als der Tod. Wir wissen nicht, wie lang die Gewalt noch andauern wird, aber das kann nicht ständig dauern. Gott sei Dank ist bisher keine von unseren Schwestern verletzt worden. Für uns ist der einzige Weg das Gebet», sagte Sr. Annie.